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Unter der Haut liegen die Knochen

// Bettina Conci //
Marlene Pardeller (Jahrgang 1982) ist in Südtirol aufgewachsen und lebt in Berlin. Als Mitbegründerin der Initiative #keinemehr ist es der freischaffenden Filmemacherin ein Anliegen, auf die strukturellen Hintergründe des Feminizids aufmerksam zu machen – zuletzt mit dem Dokumentarfilm „Unter der Haut liegen die Knochen“, den sie Anfang Oktober in der Stadtbibliothek Brixen vorgestellt hat.
Kreuze in Lomas del Poleo Planta Alta (Ciudad Juárez, Chihuahua), wo im Jahr 1996 acht Frauenleichen gefunden wurden. © WikiCommons
Dass in Mexiko Frauen häufig von Männern begleitet werden, ist mir vor 16 Jahren schon stark aufgefallen – und ich fand das altmodisch, aber durchaus charmant. Vor dem Hintergrund der Frauenmorde bekommt diese Erinnerung eine andere, bedrohlichere Konnotation. Wie empfandest du deinen Aufenthalt als (fremde) Frau in Mexiko?
Ähnlich wie deine! Ich wurde ständig von jemandem begleitet und habe mich gleichzeitig so unsicher wie selten irgendwo auf der Welt gefühlt. Es gilt ja wegen der Armut, der hohen Kriminalität und der damit verbundenen Gewaltbereitschaft grundsätzlich etwas vorsichtiger zu sein, und als Frau ist man zusätzlich größeren Gefahren ausgesetzt.
Wie kamst du auf die Idee zu deinem Film?
Das Thema Frauenmorde hat in mir eine starke Solidarität ausgelöst, weil es mich genauso betrifft wie andere. Die Idee zu einem Dokumentarfilm kam mir, als ich 2012 am „Feminist Blog Camp“ in Livorno teilnahm, zu dem auch die Anwältin und Menschenrechtsaktivistin Barbara Spinelli eingeladen war, um ihr Buch vorzustellen, in dem sie das Konzept des „Feminizids“ in den italienischen Kontext einführt. Sie geht von den Frauenmorden in Mexiko aus, vor allem der Grenzstadt Ciudad Juarez, die an den Bundesstaat Texas grenzt und auf der anderen Seite der Mauer El Paso heißt. Dort wurden zwischen 1993 und 2005 370 Frauen ermordet. Sie war die erste, die sich an einen Vergleich zwischen Italien und Mexiko wagte, unter anderem mit der Aussage, dass die Zahlen sich unterscheiden mögen, aber eine Gegenüberstellung durchaus möglich und angebracht sei. Der Gedanke an einen Vergleich zwischen Mexiko und Italien oder gar Südtirol irritierte mich und ließ mich nicht los. Ich begann zu recherchieren und stieß auf viele Unterschiede, aber auch Parallelen.
Wie die Tradition der Schuhplattlerinnen und jene der Mariachis im Film…
Die Schuhplattlerinnen waren eigentlich als Gegenstück zur mexikanischen Lucha-libre-Kämpferin gedacht, die im Film porträtiert wird. Sie alle sind Frauen, die eine ursprünglich typisch männliche Domäne für sich erobern.
Sind die Gründe für Gewalt gegen Frauen etwa im Traditionsbewusstsein eines Landes zu suchen?
Tradition per se ist ja nichts Negatives. Die Frage ist vielmehr: Wie gehen wir damit um? Am Anfang meines Films wird die klassische Südtiroler Sage von Oswald von Wolkenstein erzählt. Eine Geschichte, die, wenn man sie immer so weitererzählt, ein für Frauen äußerst negatives Bild zeichnet. Diese Muster muss man aufbrechen, so wie die Schriftstellerin Anita Pichler es mit ihrer Version der Geschichte getan hat. Dann wird ein Denkprozess in Gang gebracht, der schließlich zu Veränderungen führt. Weil wir uns die Frage stellen, was das mit uns macht, wenn Frauen von der Geschichte so gecancelt werden.
Wie kann man die Gewalt, die sich gegen Frauen richtet, am besten beschreiben?
Der Mechanismus der geschlechtsspezifischen Gewalt bewirkt, dass Frauen immer wieder Gewalt ausgesetzt werden. Und das geht über den privaten Raum hinaus. In Mexiko handelt sich einfach um ein rudimentäres Gesellschaftssystem, das Menschen in zwei Geschlechter einteilt. Eines hat die Macht, das andere ist untergeordnet. So drückt sich diese Ordnung aus, die auf den Pfeilern Macht, Ausbeutung, Gewalt und Unterdrückung fußt und um jeden Preis aufrechterhalten werden muss. Wenngleich man die öffentliche Gewalt, die in Mexiko auch durch Armut, Drogenkriminalität und andere Faktoren bedingt ist, nicht mit Italien vergleichen kann, ist diese Tradition der Geschlechterstereotypen auch hierzulande, auch in Südtirol, tief verwurzelt
Wie kamst du auf den Titel für deinen Film?
In meinen Seminaren für Frauen zur Sprachbildung kamen immer wieder die Vergleiche von Frauen mit Blumen oder Steinen vor. In der Literatur werden Frauen manchmal zu Steinen. Alle sinnlichen Empfindungen, die eine Haut ermöglicht, sind mit ihrem Tod ausgelöscht und es bleibt nur mehr das reine, harte Knochengerüst übrig, das nichts mehr empfinden kann. Gefühle sind das Letzte, was einem das Leben noch ermöglicht, bevor man tot ist, Knochen der letzte physische Beweis für das Leben dieser Frauen, etwas, woran wir uns festklammern können.
Die Kernaussage von Frau Spellbring ist die, dass wir uns die Frage stellen müssen, wie es sein kann, dass in unserer modernen, aufgeklärten Gesellschaft so viele (männliche) Täter heranwachsen können. Was siehst du als Grund dafür – in Südtirol?
In Brixen wurde bei der Diskussion, die auf meine Filmvorführung folgte, viel über Erziehung geredet. Damit waren Erzieher, Lehrer, Nachbarn, Eltern, aber auch Organisationen wie z. B. die Kirche gemeint. Die Erziehung unserer Kinder ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. In Südtirol herrscht allerdings eine starke Normiertheit (die auch durch die kirchlichen Traditionen gefördert wird), das Geschlechterbild ist Mann-Frau, wer auch nur ein bisschen von der Norm abweicht, kriegt auf den Deckel.
Wie können wir Frauen uns besser vernetzen? Auch und besonders im Kleinen, wie in unserer Südtiroler Realität?
Meiner Erfahrung nach braucht es auch immer einen dritten Faktor, der in die Interaktion hineinspielt. Etwas, wofür sich die Frauengruppe interessiert, worüber man sich austauschen kann und unterschiedliche Positionen mitkriegt. So wachsen Strukturen. Nur eine Frau zu sein, reicht nicht für die gemeinsame Sache. Geschlechter sind leeres Konzept, das allein nicht für eine Gruppenbildung reicht. Auch funktionieren Netzwerke besser im Kleinen – und wenn man sich mit positiven Zielsetzungen aufhält. Wenn zu viel Wut da ist, oder interne Reibereien, dann funktioniert es wieder nicht. Frauennetzwerke sollen Orte sein, an denen wir uns Energie holen, keine, an denen sie uns entzogen wird. Ein guter Umgang ist wichtig.
Zehn Frauen pro Tag werden in Mexiko umgebracht.


¼ davon, weil sie Frauen sind.
99 Prozent der Fälle werden nicht aufgeklärt.
93 Prozent bleiben unbestraft.
26 Feminizide gab es in Südtirol in den vergangenen 30 Jahren.*
97 Prozent der Opfer häuslicher Gewalt kennen ihren Peiniger.


Quellen: ZDF/ARD, Astat (2019), *Rainews (eindeutig zugeordnete Frauenmorde, die Dunkelziffer dürfte bedeutend höher sein)
Filmemacherin Pardeller über die Parallelen zwischen Mexiko und Italien: “Der Gedanke, einen Vergleich anzustellen, irritierte mich. Konnte man das machen? Waren die Länder vergleichbar?“ © Marlene Pardeller

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L’affermazione di genere è la libertà di scegliere come relazionarsi al proprio corpo

// Sarah Trevisiol //
Le libertà non vengono concesse, vanno conquistate
Arianna Miriam Fiumefreddo è la nuova presidentessa dell’associazione LGBTQIA+1 altoatesina Centaurus. Palermitana di origine, sociologa e counsellor, ex componente della commissione provinciale pari opportunità di Trento, attivista e persona t*2. Attualmente lavora presso l’associazione Pro Positiv e per una comunità educativa.
“Per me libertà significa poter affermare la mia identità di genere e il mio orientamento sessuale in modo autodeterminato e critico con le norme imposte. Significa cercare un mio personale equilibrio tra le norme di genere socialmente accattate e la relazione intima con il mio corpo e le mie scelte. Le libertà non vengono concesse, vanno conquistate e affermate e se vogliamo liberarci della violenza di genere dobbiamo riconoscere che anche il genere può essere una gabbia e che ogni persona deve poter avere la possibilità di affermare la propria identità. Le identità non sono sempre identificabili entro categorie nette o stabili, possono essere fluide e possono cambiare col tempo, dove cambiamento non significa minaccia ma piuttosto libertà d’essere.”
Arianna o Miriam, per chi la conosce meglio, si batte ormai da anni per la causa LGBTQIA+ affinché la società, le istituzioni e anche associazioni come Centaurus si aprano ad una visione più ampia di identità di genere. In modo che le stesse associazioni Arcigay non siano rappresentate solo da uomini bianchi omosessuali, ma alla pari anche da lesbiche, persone bisessuali o transgender. Difatti dal 2020 il direttivo di Centaurus, cosa fino ad ora ancora molto rara per un’associazione italiana, è per metà composto da persone cisgender3 e per metà da persone transgender.
“Le discriminazioni subite da persone t* sono ingiustizie sociali alla pari di altre vissute da comunità marginali come per esempio persone con disabilità o background migratorio. Esistono poi persone che subiscono diverse forme di discriminazione, come persone t* disabili e/o migranti. Bisogna riconoscere che le diverse forme di discriminazione sono interconnesse. Non basta chiedere diritti uguali per tutt*, bisogna abbattere ogni meccanismo di oppressione e costruire giustizia anche all’interno del proprio gruppo.”
Dopo aver cambiato direttivo e statuto, l’associazione Centaurus si presenta oggi sotto nuove vesti, ancora più progressiste, inclusive, aperte e rivolte al pubblico. Oltre a voler offrire maggiore supporto e consulenza a persone LGBTQIA+ (grazie a sportelli specifici e una casa protetta), l’intento è quello di dare più visibilità e legittimazione pubblica alle persone interessate, grazie ad eventi e collaborazioni con istituzioni e associazioni locali (come le reti femministe). “La meta finale dovrebbe essere che ogni persona possa sentirsi fiera della propria identità di genere, che possa viverla apertamente, senza timore di norme o giudizi. La causa LGBTQIA+ può servire a far riflettere la società intera su quelle che sono le categorie imposte e quali le possibilità di decostruirle per sentirci liber* di autodeterminare chi siamo.”
1 LGBTQIA+ = abbreviazione internazionale per indicare la comunità di persone lesbiche, gay, bisessuali, transgender, queer, intersessuali, asessuali e altri.
2 t*/transgender = abbreviazione per persona transgender, che quindi non si identifica con genere biologico assegnatole alla nascita.
3 Persona cisgender = persona che si identifica con genere biologico assegnatole alla nascita.
La nuova presidentessa di Centaurus Arianna Miriam Fiumefreddo© Centaurus