THINK

Kolumne – Das verflixte schlechte Gewissen

// Alexandra Kienzl //
Was nützt uns das Supermami-Abzeichen, wenn wir uns dabei selbst verloren gehen?

Einmal in der Woche kommt Andrea zu uns und hilft mit. Sie geht mit den Kindern auf den Spielplatz, hält das Baby, wenn es quengelt, und würde gewiss auch mal den Abwasch machen, wenn ich sie darum bäte. Andrea bekommt nichts bezahlt dafür, sie ist eine der Freiwilligen von „Family Support“, einer Initiative der Südtiroler Eltern-Kind-Zentren. Dabei kommen Ehrenamtliche zu Familien mit Neugeborenen nach Hause und greifen den Müttern für einige Stunden in der Woche unter die (nun einmal nur zwei) Arme. Sowas ist Gold wert in Zeiten, wo man nicht mehr mit der Großfamilie unter einem Dach wohnt, die Großeltern nicht in Reichweite hat oder letztere vielleicht noch berufstätig oder schon pflegebedürftig sind bzw. aus anderen Gründen als Hilfe ausfallen. Als nun neulich die Koordinatorin der Initiative hier war um zu fragen, wie es läuft, meinte ich: Alles gut. Nur manchmal hätte ich ein schlechtes Gewissen. „Das“, antwortete die Koordinatorin, „höre ich öfters“, und ich glaubte, ein leichtes Seufzen in ihrer Stimme zu hören. Die Mütter hätten ein schlechtes Gewissen, wenn sie mal durchschnaufen könnten. Wow, dachte ich, was haben wir Mütter doch für einen Hieb.
Wir glauben tatsächlich, wir müssten alles alleine stemmen, von früh bis spät, und dabei noch das perfekte Lächeln aufsetzen: Kinder anziehen, ausziehen, Windeln wechseln, Hintern wischen, Brei kochen (natürlich nur mit Zutaten aus dem Bioladen!), bei den Hausaufgaben helfen, Buchele vorlesen, Turm bauen, Haare kämmen, Pflasterle aufkleben, trösten, schimpfen, loben, und daneben natürlich noch fegen, wischen, saugen, putzen, abwaschen, aufräumen und kochen, kochen, kochen. Tagein, tagaus, die anderen schaffen es ja auch. Falls Sie es bemerkt haben, bei dieser Aufzählung ist der Aufwand für die eigene Person, die ja überraschenderweise auch noch existiert, nicht dabei; und man möchte doch auch zumindest angezogen, gekämmt und mit geputzten Zähnen unter die Leute gehen. Gilt basic Körperhygiene schon als Me-Time?, stellt sich da die Frage. Vermutlich ja, denn so lange die Kinder klein sind, winkt einem etwa die Vorstellung, mal wieder in Ruhe ein Buch zu lesen, wie eine verheißungsvolle Fata Morgana aus weiter Ferne zu. Trotzdem sind die meisten von uns anscheinend total unfähig mit dem Luxus von geschenkter Zeit für Mama umzugehen. Anstatt genüsslich die Füße hochzulegen, nähren wir das schlechte Gewissen, das an uns klebt wie der Spuckfleck auf der Schulter, mit Gedanken wie: Eigentlich sollte ich jetzt, eigentlich müsste ich doch…Stop! Es gäbe immer noch mehr zu tun, mehr zu putzen, mehr zu fördern, und die Wintersachen wären jetzt auch mal zu verräumen. Da hilft die Erkenntnis, dass wir Mütter a) keine Roboter sind, und b) auch mal Kraft tanken müssen, um gute Mütter sein zu können. Und „gut“ reicht völlig aus. Das Baby wird auch gedeihen, wenn es nicht bis zum dritten Lebensjahr gestillt wird, die Tochter kann auch mal ungekämmt zur Schule gehen, der Sohn wird keine größeren Schäden davontragen, wenn man ihn mal eine Stunde vor dem Fernseher parkt, um in Ruhe mit der Freundin telefonieren zu können und sich daran zu erinnern, dass es auch noch eine Welt außerhalb der Puppenstube gibt.
Ich schreibe diesen Text mit dem Baby auf dem Schoß, in der Pyjamahose, und dabei ist es schon Mittagszeit, hinter mir türmt sich der Wäscheberg. Egal, pfeifen wir auf Perfektion und erlauben uns das schlechte Gewissen nur noch in einem Fall: Wenn wir uns selbst verloren gehen. Und das passiert garantiert nicht unter dem Wäscheberg, sondern wenn wir uns keine Zeit mehr für unsere eigenen Wünsche und Bedürfnisse mehr nehmen. Und das nur, um einem Bild zu entsprechen, das wir glauben nach außen hin abgeben zu müssen. Es ist okay zu sagen, ich schaffe das jetzt nicht. Es ist okay, zu sagen, ich mache das ein anderes Mal, jetzt schaue ich auf mich. Und es ist okay, einfach nur „Danke“ zu sagen, anstatt sich schlecht zu fühlen, weil man es nicht 24/7 alleine auf die Reihe bekommt. Danke.

THINK

Kümmern ist menschlich

// Ingrid Kapeller //
Das Gender Pay Gap ist nur eines von vielen Gaps, die die Krater hinsichtlich Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen aufzeigen. Da gibt es beispielsweise noch das Gender Pension Gap, das Gender Orgasm Gap oder das Gender Care Gap: Frauen bekommen weniger Rente als Männer, sie erreichen beim Sex seltener einen Orgasmus und sorgen sich häufiger um Kinder und pflegebedürftige Angehörige. Davon ist das Gender Pay Gap mit ca. 17 Prozent in Südtirol wohl noch das geringste, denn das Pension Gap erreichte 2019 hierzulande ca. 32 Prozent. Das Orgasm Gap ist, weltweit betrachtet, mit 30 Prozent ähnlich hoch.
Das größte aller Gaps findet sich jedoch in der unbezahlten Care-Arbeit: Frauen verbringen nämlich knapp zweimal so viel Zeit mit Care wie Männer.
Der Begriff „Care“ kommt aus dem Englischen und bedeutet „Sorge, Fürsorge“. Care-Arbeit ist demnach (Für)Sorgearbeit und fasst alle Formen der emotionalen, pflegerischen und häuslichen Arbeit in einem Begriff zusammen. Bei Care-Arbeit geht es darum, sich um andere Menschen zu kümmern und dafür zu sorgen, dass zwischenmenschliche Beziehungen funktionieren und Grundbedürfnisse, wie etwa Sicherheit, Nahrung oder Liebe, gestillt werden. Sie ist der Grund, warum unsere Gesellschaft in erster Linie funktionieren kann, da ohne Care-Arbeit keine andere Form von Arbeit verrichtet werden könnte. Schließlich sind die Erziehung von Kindern, die Pflege von älteren Menschen sowie ein funktionierendes Miteinander genauso wichtig für unsere Gesellschaft wie das Bauen von Gebäuden oder Autos – und das nicht nur aus wirtschaftlicher Perspektive.
Und jährlich grüßt die Lohnlücke
Alle Jahre wieder müssen wir uns aufgrund von sexistischen und patriarchalen Gesellschaftssystemen und Versagen der Politik über das Gender Pay und das Gender Pension Gap empören; immer und immer wieder dieselbe Forderung skandieren: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Ein Anspruch, der weder neu noch innovativ ist, sondern eigentlich längst Vergangenheit sein sollte. Ebenso müssen alljährlich längst überholte und bereits ausdiskutierte Diskussionen darüber geführt werden, warum es diese Ungleichheiten überhaupt gibt. Häufig genannte (und ebenso stumpfsinnige) Erklärungsversuche für das Gender Pay Gap sind beispielsweise, dass Frauen oft in Teilzeit arbeiten, weniger Überstunden machen und deshalb keine Führungspositionen einnehmen können, weil sie sich um die Familie kümmern müssen (…darin liegt doch bereits der erste Fehler, denn warum sollen bitte nur Frauen das machen müssen?). Ähnliche, vermeintliche Erklärungsansätze finden sich auch oft in der Diskussion über das Gender Pension Gap: Frauen bleiben halt ab dem ersten Kind zuhause, arbeiten nicht mehr und können demnach nicht mehr in die Pensionskasse einzahlen, zumindest nicht mehr so viel wie Männer. Was dabei übersehen wird: die Care-Arbeitsleistungen, die (meist) Frauen fast immer gratis erbringen.
Der wahre Wert von Care
Genau weil diese Art der Arbeit meist im Privaten verrichtet und nicht entlohnt wird, wird ihr wenig Anerkennung geschenkt, in vielen Fällen wird sie sogar als selbstverständlich betrachtet. Lohnarbeit hingegen wird bewundert und, wie der Name bereits verrät, monetär entlohnt. Warum die eine Art von Arbeit mehr wert sein soll als die andere und sich das dann auch noch im (Renten)Einkommen niederschlägt, ist doch eigentlich unverständlich. Immerhin arbeiten Frauen in ihrem Leben fünf Prozent mehr als Männer, nur verbringen sie zweimal so viel Zeit damit, sich um andere zu kümmern und emotionale Arbeit zu leisten.
Dabei haben volkswirtschaftliche Studien herausgefunden, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) eines Landes zwischen 10 und 39 Prozent steigen würde, würde unbezahlte Care-Arbeit in der Gesamtwertschöpfung erfasst und als Arbeitsleistung gelten. Mit diesem Wert würde Care-Arbeit mehr zum BIP eines Landes beitragen als die Sektoren Handel, Produktion oder Transport. Schließlich liegt die Zeit, die täglich weltweit für unbezahlte Care aufgewendet wird, Schätzungen der UN-Women zufolge bei 16 Milliarden Stunden.
In Österreich beispielsweise leisteten Frauen während den Anfängen der Pandemie (April 2020 bis Mai 2021) rund 60 Prozent der unbezahlten Care-Arbeit, was ca. 27 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung entsprechen würde. In Geld umgerechnet haben Frauen in Österreich während dieser Zeit also unbezahlt Care-Arbeit im Wert von 108 Milliarden Euro geleistet.
Das European Institute for Gender Equality (EIGE) sieht im Gender Care Gap die Wurzel des Problems der ungleichen Bezahlung und daher dringenden Handlungsbedarf. Es betont, dass die Pandemie das Care Gap drastisch vergrößert hat.
Geteilte Care ist halbe Care
Die Umverteilung von Care ist essenziell, und eigentlich längst überfällig: Ein ausgewogenes 50:50-Modell wäre nicht nur wünschenswert, sondern muss auch das Ziel sein. Wenn Männer ihre 50 Prozent der Haus- und Care-Arbeit übernehmen, werden Frauen nicht nur emotional entlastet, sondern haben auch mehr Möglichkeiten und vor allem Zeit, sich selbst zu verwirklichen; in Arbeit, in Freizeit, in Politik, worin auch immer. Sie tragen nicht mehr alleine die Verantwortung über das Wohlbefinden der Familie, sondern können die soziale und wirtschaftliche Teilhabe wahrnehmen, die ihnen zusteht.
Doch abgesehen von der individuellen Pflicht eines*einer jeden, seinen*ihren Beitrag im Kleinen zu leisten, sind realistische, umsetzbare und rentable politische Maßnahmen erforderlich, die (Care-)Dienstleistungen und grundlegende Strukturen bereitstellen. Nicht nur um die Aufteilung der Haus- und Betreuungsarbeit zwischen Männern und Frauen zu fördern, sondern auch um Alleinerziehenden zu helfen und Frauen vor der (Alters)Armut zu bewahren.
Wann also fangen wir endlich damit an, Care-Arbeit aufzuwerten? Sie zu bezahlen? Frauen aus der Doppelbelastung zu befreien? Und nicht zuletzt damit, das Problem an seiner Wurzel zu packen, auszureißen und damit alle Gender Gaps zu schließen – beginnend mit dem Gender Care Gap?