Speak

Schulen für Afghanistan

// Bettina Conci //
Die ehemalige Lehrerin und Bibliothekarin Margret Bergmann hat es sich seit über 20 Jahren zur Aufgabe gemacht, Geld für die Schulbildung vor allem junger Mädchen in Afghanistan zu sammeln. Was als soziales Projekt in der Bibliothek Haslach begonnen hatte, ist zu ihrem Lebenswerk geworden, auf das sie mit Dankbarkeit zurückblickt. Geboren in München und aufgewachsen in Bozen, hat die „Südtirolerin des Jahres 2014“ für ihre Verdienste als Friedensbotschafterin in Afghanistan und als Pädagogin 2012 das Verdienstkreuz des Landes Tirol erhalten.
Beim Singen mit Schülerinnen © Margret Bergmann
Sie sind 1940 geboren, erlebten also den Zweiten Weltkrieg durchaus bewusst mit.
Ja, den Krieg habe ich erlebt und auch die Flucht. Die ersten Erinnerungen aber stammen wohl aus den Erzählungen meiner Eltern. Wir waren arm, sehr arm, aber mein Vater konnte durch seine Zielstrebigkeit und durch sein Können als Schneidermeister die Familie aus der Not retten.
Nun herrscht Krieg in der Ukraine, und ganz Europa bekommt die Auswirkungen zu spüren. Wie fühlen Sie sich?
Wenn Sie mich fragen, wie ich mich jetzt fühle… ich fühle mich wie ein geschlagener Hund. „Nie wieder Krieg, nie wieder Krieg!“ hat man damals geschworen – und jetzt? 25 Länder der Welt befinden sich im Krieg, mit all den Schrecken, den Gräueltaten, den Morden, den Witwen und hungernden Kindern, ohne Medikamente, ohne Wasser, ohne Schutz vor der Kälte, vor Angriffen,
Bombardements, ...!
Diese Ausgabe der „ëres“ ist dem Thema „Aufbruch“ gewidmet. Wie ist dieses Wort bei Ihnen besetzt, positiv oder negativ? Was verbinden Sie damit?
Der Begriff „Aufbruch“ beinhaltet nur Positives für mich: Wir alle müssen aufbrechen in eine neue, friedlichere und umweltfreundlichere Zukunft. Wir dürfen uns nicht hängenlassen, wir müssen uns einsetzen, für die Rechte der Menschen und für unsere geschundene Um-Welt.
Sie sind ja auch jemand, der aufgebrochen ist, um hinaus in die Welt zu gehen. Wann war das, wie ist es dazu gekommen, was hat Sie als Lehrerin und Bibliothekarin überhaupt dazu bewogen, sich an das Abenteuer Afghanistan zu wagen?
In meiner langen Zeit als Lehrerin und später in der Bibliotheksarbeit habe ich immer versucht, das Gute, das Positive zu unterstreichen. Als Leiterin der Bibliothek veranstaltete ich jedes Jahr eine Adventsaktion für Hilfsbedürftige hier und anderswo. Nach dem Krieg der USA gegen die Taliban-Regierung, wie ich die im Sand nach essbaren Wurzeln schürfenden Frauen gesehen hatte, die Kriegsverstümmelten, beschloss ich, einen Benefizabend für Afghanistan mit afghanischen Märchen für Erwachsene zu veranstalten. Aus dem einen Abend wurden dann an die 1100 Benefizveranstaltungen in Südtirol, aber auch außerhalb. Die Missio Bozen-Brixen hat mein Anliegen in den ersten Jahren tatkräftig unterstützt, wofür ich sehr dankbar bin.
Der Erlös meiner Benefizveranstaltungen verschiedenster Art kam dann durch meinen Verein „Südtiroler Ärzte für die Welt“ dem Jesuiten-Flüchtlingsdienst in Afghanistan JRS zugute. Wir haben die Kinder aufgefangen und sie auch in den Wintermonaten, in denen die Schulen aufgrund der argen Schneeverhältnisse geschlossen sind, unterrichtet und mit Nahrungsmitteln versorgt. Wir haben den Mädchen, den Studierenden, mit den besten Unterrichtsmethoden zu mehr Selbstwertgefühl, zu einem guten Abschluss und guten Berufsaussichten verholfen, Lehrpersonen und Universitätsprofessoren ausgebildet und vor allem: den Menschen eine Chance zum Frieden und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft gegeben.
Was bedeutet der derzeitige Rückschritt für die jungen Frauen in Afghanistan?
Die aktuelle Situation der Mädchen und Frauen in Afghanistan ist unbeschreiblich schrecklich! Und damit meine ich nicht nur die unmenschlichen Verbote der Taliban, das Eingesperrt-sein in den Häusern, das Verbot, eine höhere Schule zu besuchen, der unersättliche Hunger nach Wissen und Bildung, die Verpflichtung, von den Haaren bis zu den Zehen verdeckt zu sein, die Sorge um ihre Kinder, um die Familie, die stündliche Angst vor einem Angriff, dazu kommt der Hunger, die Kälte, im Sommer die Hitze, die Trockenheit und so vieles mehr. Aber die afghanischen Frauen sind stark! Und die Welt weiß, dass Afghanistan nur überleben kann, wenn den Frauen ihre Rechte zurückgegeben werden.
Ihre Liebe gehört eindeutig der Sprache und dem Erzählen. Wie muss man sich die Kommunikation mit den afghanischen Mädchen und Frauen vorstellen?
Die Kommunikation mit den Einheimischen ist sehr schwierig, weil die Zeit vor meinem ersten Besuch zu kurz war, um deren Sprache zu erlernen. Auch war ich ja als Volontärin des JRS immer mit Englisch unterwegs, das nur die Mitarbeiter und Lehrpersonen gut sprechen konnten. Doch Englisch wurde mit den besten Lehrmitteln auch den Schülerinnen und Schülern beigebracht. Zu denen konnte ich eine gute Beziehung aufbauen.
Sind Sie Feministin? Wie definieren Sie Feminismus?
Feministin? Nein, das bin ich nicht. Ich setze mich für die Würde der Menschen (auch der Frauen, natürlich) ein; aber mich stört das Verhalten vieler Jugendlicher und Frauen, das Sich-Entblößen, die Art ihrer Kleidung, wobei ich mir immer denke: Ist das nicht auch ein Verstoß gegen die Menschenachtung der Immigranten und deren Religion? Feminismus sollte meiner Ansicht nach die Frauen nicht dazu inspirieren, den Männern übergeordnet zu sein. Nein, ich finde, ein einvernehmliches Auskommen ist besser.
Liest man Ihren Lebenslauf, so scheint klar, dass das Thema „Aufbruch“ für Sie nichts an Aktualität eingebüßt hat. Was haben Sie für Pläne?
Mit 82 Jahren darf man nicht mehr viele Pläne haben. Was ich mir von Herzen wünschen würde, ist, noch einmal mein geliebtes Afghanistan zu besuchen und die neuen Projekte, die wir planen, zu sehen, das Meinige dazu zu tun, zusammen mit meinen Unterstützern.
Bei der Einweihung des Technical Institutes in Herat. © Margret Bergmann

Speak

„Wir müssen uns selbst genug wert sein“

// Bettina Conci //
Die Landesvorsitzende der KVW-Frauen Helga Mutschlechner befasst sich seit Jahren mit dem Thema der finanziellen Vorsorge von Frauen. Sie und ihre Mitarbeiterinnen sensibilisieren südtirolweit dafür, sich rechtzeitig damit zu befassen – will heißen: früh genug, um sich nicht dem sehr realen Szenario stellen zu müssen, in die Altersarmut abzudriften. Denn, und das sagt Mutschlechner in aller Klarheit: „Altersarmut ist weiblich.“
© Omid Armin/ Unsplash
Was sind die „klassischen“ Ursachen für Altersarmut in einer so reichen Provinz wie Südtirol?
Es sind dieselben Ursachen wie anderswo. Altersarmut von Frauen ist ein europäisches Phänomen. Frauen tun sich schwer, einer kontinuierlichen Arbeit nachzugehen, und zwar aufgrund der Familienarbeit, der Unterbrechungen durch Mutterschaft und durch die Pflegezeit für erkrankte Familienangehörige. Auch ist ein Neueinstieg ins Berufsleben oft problematisch. Ehrenamtliche Arbeit liegt oft in Frauenhänden und nimmt viel Zeit in Anspruch. Und die Berufswahl hängt natürlich ebenfalls damit zusammen, sowie die Tatsache, dass veraltete Rollenbilder immer noch in den Hinterköpfen vorhanden und durch die Pandemie wieder mehr in den Vordergrund gerückt sind.
Viele dieser Arbeiten, die für die Gesellschaft unverzichtbar sind, werden unbezahlt geleistet und zwar vorwiegend von Frauen, das heißt, auf ein arbeitsreiches Leben folgt ein Alter in Armut.
Und die Arbeitsmodelle selbst?
Teilzeitarbeit kann zur Falle werden – geringere Rentenbeiträge werden eingezahlt, weil die derzeitigen Renten auf das beitragsbezogene System aufgebaut sind. Neue Arbeitsmodelle zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf müssen geschaffen werden, in der Gesellschaft muss ein Umdenken stattfinden. Oft wird die Arbeit der Frauen weniger anerkannt. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit heute, heißt auch bessere Absicherung im Alter. Die Familienarbeit muss gerecht zwischen beiden Partnern aufgeteilt werden. Das sogenannte „Landeskindergeld+“ wurde in fünf Jahren lediglich von 465 Vätern in Südtirol in Anspruch genommen (Quelle: AFI-IPL). Auch hier fehlt es an Bewusstsein für diese Möglichkeiten, in den allermeisten Fällen sind es die Frauen, die zuhause bleiben müssen.
Was kann Frau also tun?
Die grundlegende Erneuerung des Rentensystems in den vergangenen Jahren hat dazu geführt, dass die Bevölkerung, besonders die Frauen, künftig mit erheblich niedrigen Renten rechnen muss. Um dieses Rentendefizit zu decken, bedarf es der Ergänzungsvorsorge. Das Rentenberechnungssystem verzeiht außerdem keine langfristigen Lücken, daher gibt es Möglichkeiten, sich freiwillig weiter zu versichern. Da Frauen vorwiegend in Teilzeit und als Hausfrau arbeiten, werden wenige oder keine Beiträge in die Rentenkasse eingezahlt. Es ist notwendig, diese niedrigen Beiträge zu ergänzen und Beiträge in die Rentenkasse oder auch in einen Zusatzrentenfonds einzuzahlen. Dann ist es noch möglich, für die Erziehungszeiten um Beiträge von der Autonomen Provinz Bozen anzusuchen, ebenso gibt es Zuschüsse für pflegende Angehörige. Die KVW-Frauen fordern schon seit langem die Anerkennung von zwei Jahren an Erziehungszeiten.
Ist diese Forderung realistisch?
Warum nicht! In der öffentlichen Verwaltung werden drei Jahre an Erziehungszeiten anerkannt.
Ich kann es nicht oft genug betonen und appelliere an alle Frauen: Jede von uns muss sich fragen, was für sie wichtig ist. Dass muss ich mir selbst wert sein. Mangelnde finanzielle Absicherung bedeutet ja auch geringere gesellschaftliche Teilhabe, weniger Selbstwertgefühl und Anerkennung, Isolation, man kann sich weniger leisten.
Stichwort Niederschwelligkeit: Wie einfach ist es, selbst aktiv zu werden?
Sehr einfach. In den Patronaten des KVW werden kostenlose Beratungen zum Thema angeboten. Detaillierte Informationen werden auf der Homepage, sowie in den Broschüren des KVW angeführt. Die Wichtigkeit zur Einzahlung einer Zusatzrente wird leider oft unterschätzt, weshalb wir auch mit Aufklärungskampagnen in Zusammenarbeit mit der Politik und anderen Akteuren darauf hinweisen. Jedes Patronat, jede Gewerkschaft gibt Auskunft zu diesen Themen. Es gibt viele Anlaufstellen – einen Termin machen und hingehen müssen die Frauen halt selbst.
Was ist Ihre Botschaft an die Leserinnen?
Wir arbeiten wirklich tagtäglich daran, die Frauen wachzurütteln. Frauen müssen sich selbst so viel wert sein, an sich und die eigene Zukunft zu denken. Es ist kein Trost, dass es ein weitverbreitetes Phänomen ist, dass die Rentenlücke, das sogenannte Gender Pension Gap, ein gesamteuropäisches Problem ist, und auch keiner, dass die Situation der Frauen in Südtirol besser als in den anderen Regionen Italiens ist. Wenn ich etwas will, dann muss ich mich informieren, so einfach ist es.




Informationen, Adressen und nützliche Links finden sich auf den folgenden Webseiten:


ASWE: www.aswe.provinz.bz.it
PensPlan: www.pensplan.com
KVW: www.mypatronat.eu und www.mycaf.eu


Unermüdlicher Einsatz bei der Schaffung von mehr Bewusstsein für weibliche Altersvorsorge © ëres/Bettina Conci