Geschlechtersensible Erziehung

Der kleine Prinz

// Bettina Conci //
Der Vorteil als Jungsmami ist ja, dass einem der ganze Mädchenkram erspart bleibt. Dachte ich.
Zur Belohnung für eine Erziehung ohne Geschlechterklischees wachsen unsere Kinder zu aufgeschlossenen, eigenständigen und toleranten Menschen heran. © www.istockphoto.com
„Also, mein Mann würde das nicht erlauben,“ sagt die Mutter eines Buben im Alter meines Sohnes zu mir und mustert mit (neidischem? tadelndem?) Seitenblick Eddies rot lackierte Zehennägel (der korrekte Farbton ist Wassermelone, wie er allen, die es nicht hören wollen, fröhlich entgegenkräht). Ich nicke verständnisvoll und ein bisschen entschuldigend. Sie ist die dritte Mutter, die mir das mitteilt. Und auch wenn ich versuche, Erklärungen für diese Haltung zu finden, wird es doch langsam mühsam. Die einen runzeln die Stirn, wenn ich ihm ein Kopftuch gegen die Sonne aufsetze, die anderen wundern sich über sein lila Fahrrad oder darüber, dass er lieber singt als Fußball spielt.

Mein Sohn ist zwei. Und als Frau, die noch nie auf Mädchensachen stand, die Haare am liebsten kurz trägt, erst mit 40 auf die Idee kam, sich Ohrringe stechen zu lassen und heute noch lieber auf Bäume klettert als zur Maniküre geht, genieße ich das in jeder Hinsicht neue Erlebnis, mit ihm Friseur zu spielen oder zu „kochen“. Er mag Ponys und Peppa Pig lieber als Paw Patrol, fängt aus Solidarität an mitzuweinen, wenn ein anderes Kind traurig ist, und seine Lieblingsbücher sind „Der Ostermann“ und „Das kleine Ich-bin-ich“. Und weil andere Mamis nervös werden, wenn er sich in eine Stoffwindel wickelt und ruft „Schau! Mein neues Kleid!“, sehe ich mich gezwungen, mich in Ratgeber und Artikel zum Thema gendersensible Erziehung einzulesen.

In seinem Buch „Prinzessinnenjungs“ plädiert Autor Nils Pickert „nicht für eine vorurteilsfreie, sondern für eine vorurteilsbewusste Erziehung“, was ich sehr befürworte. Der Autor erlangte nach eigenen Worten seine fünfzehn Minuten Berühmtheit durch ein Foto, das ihn beim Spazierengehen mit seinem kleinen Sohn zeigte – der damals Fünfjährige im roten Trägerkleidchen, Papa im farblich dazu passenden Rock. Das Foto des „Skirt Dad“ ging um die Welt. Und während ich darüber grüble, warum Mädchen Hosen und kurze Haare tragen, Puppen und Fußball spielen dürfen, Jungs aber keine Haarclips oder gar Glitzer (auf den sie genauso stehen wie Mädchen – alle!), lese ich weiter, was Jungen versäumen, die nicht mit Puppen spielen dürfen. Nämlich das Erlernen von Tugenden wie sozialer Interaktion, Kümmern, Pflege, Verantwortung, Sprachschatz, Vorstellungskraft. Warum sollte man es ihnen also vorenthalten? Gilt beim Spielen nicht der Grundsatz: Erlaubt ist, was Spaß macht?

In Spielzeuggeschäften überkommt mich mitunter die Wut. Alles, was mit Pferden zu tun hat, scheint mit Blümchen und rosa Rüschen verschandelt, das Duplo ist nach Mädchen (Garten, Tiere, Küche) und Jungs (Fahrzeuge, Landwirtschaft, und… ist das ein Pizzaiolo?) sortiert, und die pinke Schwimmbrille, die sich der Kleine so sehnlich wünscht, wird ihm von der Verkäuferin schmallippig lächelnd und nur zögerlich ausgehändigt. Unsere Konsumgesellschaft trägt absolut nichts zu einer offeneren Erziehung bei. Und die Verantwortung dafür tragen wir Erwachsene.

Wir könnten ruhig damit aufhören, unsere eigenen Vorurteile an unsere Kinder weiterzugeben und ihre Kindheit mit Genderklischees zuzumüllen. Zur Belohnung wachsen sie dann zu aufgeschlossenen, eigenständigen, toleranten Menschen heran. Ob mit oder ohne Schleifchen im Haar, ist dann doch… gleich, oder?

Sei servita - Das Bild der Frau in der Werbung

Wir brauchen keine Eier!

// Sarah Trevisiol //


Von der Süddeutschen Zeitung als „Manifest der Gleichberechtigung“ gefeiert; ein Spot, der alle begeistert hat, weil er viel, viel mehr ist als nur eine Sponsorwerbung. Die Hamburger Werbeagentur thjnk hat bereits 2019 gezeigt, wie zeitgenössische Werbung wirklich funktioniert: Eine haltungsstarke Kampagne, die nicht nur Sexismus ablehnt, sondern Chancengleichheit fördert, ohne großes Budget oder „Eier“, nur mit viel Mut.
Die Protagonistinnen dieser Kampagne der Commerzbank sind die Fußballspielerinnen der deutschen Nationalmannschaft. Sie sind es, die lautstark verkünden, welchen täglichen Ungleichheiten und Vorurteilen sie ausgesetzt sind: Sie spielen für eine Nation, die ihre Namen nicht kennt und haben für den ersten Europameister-Titel 1989 gerade mal ein Kaffeeservice erhalten. „Seit es uns gibt, treten wir nicht nur gegen Gegner an, sondern gegen Vorurteile. Frauen sind zum Kinderkriegen da, gehören in die Waschküche, genau wie Amateurfußball. Aber weißt du was, wir brauchen keine Eier – Wir haben Pferdeschwänze! Und unsere Vorbilder: Die sind wir längst selbst!“
Statt 90 Minuten Gegner zu bezwingen, kämpfen die Deutschen Fußball-Frauen 90 Sekunden gegen Klischees und Vorurteile. Jede Szene eine selbstbewusste Abrechnung. Provokant, mutig, mit entwaffnender Selbstironie stürzen sie veraltete Rollenbilder und bringen Frauenfußball in ein neues Licht. Der Spot wurde unmittelbar nach seinem Erscheinen ein medialer Boom, wurde von Redaktionen aufgegriffen, von Promis und Publikum diskutiert und verbreitet. Der Hashtag #Pferdeschwänze wurde als Symbol für Emanzipation in ganz Deutschland gefeiert und auf tiktok spielten in Folge hunderte von Mädchen ihre Lieblingsszenen aus dem Commerzbank-Spot nach. Die Werbung wurde viral und erhöhte enorm die Gewinne und das Klientel der Bank.
„Eine Arbeit, auf die ich super stolz bin. Aber auch super dankbar, denn ohne den Mut und das Vertrauen der Commerzbank und des DFB wäre das nicht möglich gewesen. Die Spielerinnen sind übrigens der Knaller – wir hatten sehr viel Spaß am Set. Wir bei thjnk drücken ganz doll die Daumen und werden uns auf jeden Fall jedes Spiel anschauen. Haut sie weg!“, erklärte Tobias Grimm, Geschäftsführer der thjnk Hamburg.