Cecilia Kukua

„Offen wie ein Kind bleiben“

// Bettina Conci //
Cecilia Kukua, Jahrgang 1990, stammt ursprünglich aus Bozen und lebt in Wien. Im Oktober ist die Schauspielerin, die drei Sprachen spricht, in der Wiederaufnahme des Kinderstücks „Dr. Dolittle“ im Theaterhaus für junges Publikum Dschungel Wien auf der Bühne zu sehen, ein neues Stück für Kinder ab sechs Jahren, „Peterchens und Annelieses Mondfahrt“, wird dort am 8. Dezember Premiere feiern. Kukua steht auch schon mal hinter der Kamera oder schreibt in Stückentwicklungen an Bühnentexten.
Was Cecilia Kukua am Herzen liegt: „Die Vielfalt der Gesellschaft soll auf der Bühne gezeigt werden.“ © Christian Ariel Heredia
Du hast Südtirol recht früh verlassen und bist nach Wien gegangen. Was könnte (oder sollte) sich der Südtiroler Kulturbetrieb von der österreichischen Hauptstadt abschauen?
Für mich ist das etwas schwierig zu beurteilen, weil ich dadurch, dass ich in Wien lebe, die Szene in Südtirol nicht mehr so gut kenne. Die Szene in Wien ist natürlich größer und es gibt deshalb mehr Möglichkeiten, Nischen zu bedienen. Südtirol erlebe ich immer als sehr engagiert, und soweit ich Einblick habe, gibt es einige aufstrebende Vereine und Projektideen. Generell wünsche ich mir, dass die Theaterbetriebe die Gesellschaft so widerspiegeln, wie sie tatsächlich ist. In ihrer ganzen Vielfalt. Dass mutiges Theater gemacht wird und wir uns von Klassischem und Gleichbleibendem mehr und mehr lösen. Das gilt für beide Orte. In beiden gibt es das schon teilweise, speziell in der Freien Szene, es gibt aber auch noch Luft nach oben.
Du stammst aus Bozen, bist in Südtirol aufgewachsen, hast hier studiert und jüngst im Auftrag der Provinz in einem der Kurzfilme zu „Südtirols Zukunftsszenarien 2030“ mitgewirkt. Wie nahe bist du Südtirol noch?
Mittlerweile ist mein Lebensmittelpunkt in Wien. Ich kenne viele Künstler*innen, die hier arbeiten und es entstehen auch immer wieder spannende Projekte. Mit der Heimat verbindet mich auf alle Fälle der Dialekt. Die Südtiroler*innen, so finde ich, haben außerdem so eine Macher-Mentalität. Das habe ich vor allem in meiner Zeit an der Theaterschule in Bruneck festgestellt und das gefällt mir. Ich freue mich immer, wenn sich ein Projekt oder eine Zusammenarbeit in Südtirol ergibt. Da komme ich gerne heim und verbringe etwas mehr Zeit hier.
Ist dir Südtirol zu eng geworden? Oder zog es dich so oder so in die Ferne?
Es war kein bewusstes „Ich will weg.“ Mir selbst hat das Theaterspielen unheimlich gutgetan, als ich so 12, 13 Jahre alt war. Da bin ich richtig aufgeblüht. Nach der Matura wollte ich auf die Schauspielschule und ging erst mal nach Innsbruck. Schließlich habe ich mich für die Ausbildung zur Theaterpädagogin entschieden und so landete ich in Wien. Die Idee, Jugendlichen etwas zu geben, gefiel mir – auch wenn es mir am Ende zunächst wichtiger war, selbst auf der Bühne zu stehen.
Warst du immer schon Feministin bzw. war das schon immer selbstverständlich für dich, für die Gleichstellung der Frauen zu kämpfen, oder wurde es dir erst im Laufe der Zeit bewusst?
Ich habe mir eigentlich immer schon die Frage gestellt: Was bringt das, was ich mache? Ich wollte immer schon Theater mit purpose machen, mit einem Bezug zu realen Konflikten. Das Feministische spielte allerdings nicht bewusst eine Rolle, in dem Sinn, dass ich einen Text geschrieben oder ein Stück gemacht hätte, wo dieses Thema im Vordergrund stand.
Am Anfang ging es mir als Schauspielerin vor allem darum, Erfahrungen zu sammeln. Das Spielen stand im Vordergrund, Projekte wurden gestartet, und erst nach und nach setzte ich gewisse Schwerpunkte. So ist mir zum Beispiel das Gendern wichtig, und dass dies auch beim Schreiben nicht vergessen wird. Durch gewisse literarische Vorbilder habe ich mich mit dem Feminismus auseinandergesetzt, und im Rahmen der Feministischen Wochen in der Schweiz habe ich einen Theaterworkshop geleitet, der sich an als Frauen fühlende Personen richtete. Das Stück „Medeas Töchter“, in dem Frauen in systemrelevanten Berufen zu Wort kommen, bringt die Themen der antiken Figur in die heutige Zeit und verleiht ihnen Aktualität.
Das klingt aber doch nach einer recht anständigen Portion Feminismus…
Ja, jetzt wo ich darüber nachdenke, bin ich vielleicht doch engagierter in dieser Hinsicht, als mir bewusst war. Als Frau habe ich mich früher damit auseinandergesetzt als in schauspielerischer Hinsicht, wo es eine Entwicklung in diese Richtung hin war.
„Medeas Töchter“ mit Kukua und Kollegin Ivana Nikolic in der Kulturbackstube in Innsbruck im Juni 2022 © Alena Klinger
Was ist bei deiner Arbeit wichtig für dich?
Theater soll nicht nur Spaß machen, sondern auch etwas erreichen. Die Zuschauer*innen sollen etwas mitnehmen können. Emotionen, Denkanstöße, ein Gefühl. Je mehr Zeit ich meinem Beruf widme, umso mehr setze ich mir allerdings auch zum Ziel, dass Theater etwas für die Gesellschaft als Ganzes bewirkt. Auf der Bühne ist mir nach wie vor die spielerische Komponente wichtig, im wahrsten Sinn des Wortes. Vor allem bei Stücken, die sich an Kinder und Jugendliche richten. Kinder sind neugierig, sie sind einfach. Alles dreht sich darum, im Moment zu sein. Ehrlich. Daran müssen wir uns erinnern. Uns selbst und andere herausholen aus diesem Erwachsenengetue. Deshalb mag ich Improvisationen sehr. Und Stückentwicklungen. Dieses Aus-sich-selber-Kommen. Dinge einfach passieren lassen.
Wie veränderte die Pandemie den Theaterbetrieb?
Ich habe den Eindruck, die Menschen haben das Theater sehr vermisst. Vor allem bei Theaterstücken für Kinder und Jugendliche, an denen ich mitgewirkt habe, ist festzustellen: Die Stücke sind ausverkauft, die Leute dürstet nach Theater. Das tut der Szene sicher gut. Die Pandemie hat einiges in punkto Beschäftigungsverhältnisse und Verträge ins Rollen gebracht. Ich als Künstlerin bin aufmerksamer und überlege mir im Vorhinein: Worauf lasse ich mich ein? Bin ich ausreichend abgesichert? Und auch anderen ging es in bestimmten Phasen der Pandemie so.
Auch meine persönliche Entwicklung und mein Verständnis als Künstlerin wurden von dieser Zeit beeinflusst, denke ich. Ich habe diesen Beruf gewählt, und ich stehe dazu. Vielleicht hat die Pandemie so ein „Jetzt erst recht“-Gefühl in mir ausgelöst: Anstatt zu resignieren, gab ich nicht auf, sondern bleibe dran.

Think
Kolumne

Magische Nächte

// Alexandra Kienzl //
Die Frauen-EM war viel mehr als nur Fußball: Sie war ein Statement.
Haben Sie schon mal vom Bechdel-Test gehört? Dieser Test besteht aus drei Fragen und dient dazu, die Darstellung von Frauen in einem Film zu beurteilen. Die Fragen sind folgende: Gibt es mindestens zwei Frauenrollen im Film? Sprechen die Frauen miteinander? Und sprechen sie über etwas anderes als einen Mann? Traurigerweise bestehen die meisten Filme diesen Test nicht. Frauenrollen dienen oft nur als Staffage, als Accessoire für den männlichen Helden. Wie gut, dass da diesen Sommer etwas anderes zur besten Sendezeit im Abendprogramm lief als klischeebeladene Unterhaltung: Genau, die Europameisterschaft im Frauen-Fußball. Mokierten sich Nörgler*innen anfangs noch darüber, dass der Sendeplatz nur deshalb frei war, weil halt kein anderes sportliches Großevent zur Verfügung stand, zeigte sich bald: Das war ja richtig spannend. Nicht nur in sportlicher Hinsicht, weil natürlich auf hohem Niveau, sondern vor allem in Bezug auf das Frauenbild, das da transportiert wurde. Nix hübscher Zusatz zum männlichen Akteur, vielmehr traten da Frauen im Team in Erscheinung: entschlossen, kämpferisch und nicht immer ganz zimperlich. Frauen unterschiedlicher Herkunft, die gewinnen wollten, die schwitzten und rempelten, die ausspuckten und schrien, die schimpften und jubelten. Männer gab es nur im Publikum oder als Kommentatoren, die Bühne gehörte den Frauen, und das mehrmals die Woche. Was für ein Ereignis!
Ganz selbstverständlich sahen sich Tochter und Ehemann die Spiele an und was war ich dankbar dafür, dass sich hier eine neue Welt auftat: Abseits der Stereotypen von der aufopferungsvollen Mutter, der kinderlosen Karrierefrau, der vom Prinzen zu erobernden Prinzessin, des schüchternen Häschens, der Bilder eben, die das Fernsehen üblicherweise viel zu oft vermittelt. Wenn eine Frau hier ihr Shirt auszog, dann um zu jubeln, und nicht, um männliche Blicke zu befriedigen oder zu beweisen, dass sie einem Schönheitsideal entsprach. „Mama, de rennt im BH ummer!“, rief meine Tochter erstaunt, als eine Torschützin ihr Leibchen triumphierend wie ein Lasso über dem Kopf schwang, und es ist bezeichnend, dass sie das für eine Frau bemerkenswert fand, während das sexualisierte Posen in Unterwäsche als normal empfunden wird.
Auf Twitter berichteten Eltern davon, dass ihre Töchter nun Fußballerinnen werden wollten oder sich in den örtlichen Verein eingeschrieben hatten, und das macht deutlich, wie wichtig weibliche Vorbilder in allen Bereichen sind und wie wichtig es ist, diese sichtbar zu machen, ob in den Medien, im Unterricht oder zuhause. Zu wissen, dass es auch FußballerInnen gibt, ist das Eine. Zu sehen, wie sie kämpfen und feiern, das Andere. Und das nicht nur für Mädchen. Auch den männlichen Zusehern, egal welchen Alters, dürfte nach vielleicht anfänglicher Skepsis irgendwann gar nicht mehr aufgefallen sein, dass da Frauen auf dem Feld waren – und das wäre ja das Ziel für alle Lebensbereiche: Dass es keine Rolle spielt, welche Herkunft oder welches Geschlecht jemand hat. Dass es einfach nur Fußball ist. Guter Fußball.