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Was ist ein Frauenleben wert?

// Kathinka Enderle //
Weltweit schockiert aktuell vermutlich kein Tod so sehr wie der von Mahsa Amini, einer 22-jährigen Jura-Studentin aus dem Iran. Ihr Tod war der tragische Anfang einer Frauenrechtsbewegung, deren Hintergrund seit Jahrzehnten viel tiefer liegt.
Mahsa Amini besuchte mit ihrer Familie ihren Bruder in Teheran, als sie gewaltsam von der Sittenpolizei in einen Polizeiwagen verfrachtet wurde und man sie zur „Umerziehung“ und „Korrektur“ brachte. Zwei Stunden nach ihrer Festnahme wurde sie in das Krankenhaus von Kasra gebracht und lag dort drei Tage im Koma, bis sie verstarb. Der Grund für ihre Festnahme war „das falsche/lockere Tragen ihres Hijabs“, da man ihren Haaransatz sehen konnte. Von der Polizei wurde ihr in der eigens vorgesehenen Anstalt so lange auf den Kopf geschlagen, bis sie Hirnblutungen erlitt und schließlich ihren Verletzungen erlag. Der Staat bestreitet die Verursachung ihres Todes und nennt als Grund dafür eine Vorerkrankung. Ein veröffentlichter CT-Scan zeigt jedoch deutlich einen Schädelbruch, auch die sichtbaren Blutungen aus ihrem Ohr und die blauen Flecken unter ihren Augen sind ein eindeutiges Zeichen für die Gewalt, welche die Polizei ihr während ihrer Festnahme skrupellos zufügte.
Die junge Iranerin ist nicht die einzige, welche die Innenräume dieser Haftanstalt zu sehen bekam. Vieles, was hierzulande zu einem normalen Jugendleben dazu gehört, wird im Iran wegen „unmoralischem Verhalten“ bestraft. Partys besuchen, Alkohol trinken und mehr führten dazu, dass zahlreiche junge Iraner*innen in Haftanstalten verhört, ausgepeitscht und vergewaltigt wurden. Kommt es dabei zu Todesfällen, sorgt die Sittenpolizei dafür, dass nicht nur die Familien nicht mehr reden – auch die Leichen sollen nicht mehr sprechen. Das Bedrohen der Familien oder das Zubetonieren der leblosen Körper (für die Vernichtung von Beweisen) gelten als das Standard-Prozedere der Polizei. Aminis Familie widersetzte sich und begrub ihre Tochter in Saqqez, Kurdistan.
Seit ihrem Tod protestierten zahlreiche Iraner*innen im eigenen Land sowie auch international. Viele iranische Schauspielerinnen und Prominente solidarisierten sich und posteten im Internet Videos, in denen sie sich ihre Haare abschnitten. Der Ruf nach Transparenz und die Forderungen nach Freiheit, Gerechtigkeit und dem Ende des Patriarchats wurden immer größer. Daraufhin beschloss die iranische Regierung, das Internet abzuschalten. Ab diesem Moment fielen noch mehr Schüsse auf Demonstrant*innen, Häuser wurden gestürmt, Menschen entführt und verhaftet. Videos wurden trotz allem veröffentlicht, welche klar zeigen, wie die Polizei Menschen durch die Straßen schleift. Der Versuch, das Patriarchat zu beenden, lässt Blut auf Irans Straßen fließen.
Die Proteste wurden zu einer Bewegung, in der es ums (Auf)Atmen geht: vor allem für die Frauen, die durch die Regierung seit mehr als 40 Jahren unterdrückt werden. Irans Volk ist vereint im Zorn und resolut gegenüber ihren Postulaten. Seit dem 16. September führen Frauen die Proteste an, verbrennen ihre Hijabs als symbolisches Zeichen gegen die männerdominierte Herrschaft, durch die sie seit 1979 unterdrückt werden.
Auch hier in Südtirol solidarisierte man sich mit den iranischen Frauen, wie beim Frauenmarsch – Donne in Marcia am 15.Oktober 2022.

Es ist eine vielseitige Vergangenheit, in der viel aufgearbeitet werden muss. Begriffe wie Privileg, Macht und Ungerechtigkeit dürfen auch uns Südtiroler*innen nicht länger unbekannt bleiben. Im Schmerz, der Trauer und dem Zorn sollten Frauen, wenn eine Weitere so erbarmungslos genommen wird, vereint sein. Die Revolution im Iran ist ein Zeichen des Feminismus. Gesichter und Geschichten verändern sich, aber der Ruf nach Freiheit bleibt unmissverständlich – im Iran und auf der gesamten Welt.

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Der Teufel in der „Liebe“

// Kathinka Enderle //
Wenn ich an die Begegnung mit Anna* (23) denke, spüre ich eine Gänsehaut. Obwohl ich Einzelheiten ihrer Geschichte bereits im Vorfeld kannte, wusste ich nicht, wie tief dieses Gespräch werden würde. Als sich die Eingangstür öffnete und sich unsere Blicke trafen, war mir klar, dass dieses Interview kein einfaches werden würde. Anna bestellte sich etwas zu trinken, atmete tief ein und sah mich an. „Fangen wir an…“
„Ich habe mir als kleines Mädchen immer gewünscht, irgendwann meinen Traumprinzen zu finden. Er sollte ein echter Charmeur sein. Als ich 2013 Alex kennenlernte, dachte ich das erste Mal, dass ich meinen Traumprinzen gefunden habe. Es war wie aus einem typischen Jugendroman: Wir lernten uns in der Schule kennen und waren gemeinsam in einer Klasse. Schon bald freundeten wir uns an und aus dem Jungen, der anfangs nur ein Freund war, wurde bald mein fester Freund. Blicke ich zurück, erkenne ich den Wendepunkt unserer Beziehung. Nach dem Schulabschluss veränderte sich alles. Wie in Goethes „Faust“ erfuhr ich immer öfters, wie sehr der Teufel in meinem geliebten Alex steckte. Sexuelle Übergriffigkeiten passierten häufig. Den Sex mit ihm wollte ich nicht immer, doch auch wenn ich Nein sagte, kam ich nicht drum rum. Alex setzte immer öfters psychischen Druck mir gegenüber ein, um den Sex zu bekommen, den ich in diesen Momenten nicht wollte. Auch physisch zwang er mich dazu. Ich schottete mich immer mehr ab, ebenso vor meinen Freund*innen. Nach fünf Jahren Beziehung und einer zu langen Zeit in der Hölle auf Erden trennten wir uns. Das war der Punkt, an dem ich mir dachte: Sowas geschieht mir nicht mehr. Ich sollte aber falsch liegen.
2021 hatte ich das Gefühl, mit dem Erlebten klarzukommen. Ich wurde zur Studentin, zog von Daheim aus und begann ganz neu. Neue Freunde, neue Unabhängigkeit und neue Freiheit. Warum nicht auch ein neuer Freund? Ich meldete mich bei einer Dating-App an. Leon wurde mir vorgeschlagen. Wir fingen an zu schreiben und trafen uns bald. Es gefiel mir, wie ambitioniert er war und dass er mich zum Lachen brachte. Ich hatte das Gefühl, er stünde mit beiden Beinen im Leben und war offen für jegliche Abenteuer, die auf ihn warteten. Sobald wir nach 1,5 Monaten nicht mehr nur auf Dates gingen, sondern von einer Beziehung sprachen, sah ich erneut den Teufel, wie er sich in einem von mir geliebten Mann versteckte.
Wir stritten uns häufig. Nahezu täglich wurde ich beschimpft und angeschrien. Wenn wir stritten, spürte ich oft seine Hand um meinen Hals, wie sie mich immer stärker würgte. Ich wurde bespuckt und mit Objekten beworfen. Seine Hand traf mich oft im Gesicht. Ich versuchte mich verbal zu wehren. Obwohl ich mich auch von ihm trennte, habe ich nach wie vor in jeglicher zwischenmenschlichen Beziehung Angst vor Auseinandersetzungen. Ich bekomme Panik, wenn nicht alles perfekt läuft und habe Angst, meine Meinung zu sagen oder generell zu widersprechen. Mein jetziger Partner weiß über meine Ex-Freunde Bescheid. Er behandelt mich gut und gibt mir die Zeit, die ich brauche. Es musste einige Zeit vergehen, damit ich Sexualität wieder genießen konnte. Wir kommunizieren über jede Kleinigkeit, trotzdem bleibt die Angst, dass die kleinsten Dinge alles kaputtmachen würden. Es ist ein Teufelskreis. Ich dachte immer, dass mir so etwas nie passieren würde. Dass ich sicher und geschützt wäre und kein Mann, der von Liebe spricht, so grausam wäre. Ich lag falsch, – zwei Mal.“