Geschlechtergleichstellung

Macht kommt von machen

// Bettina Conci //
Die europäische Charta für die Geschlechtergleichstellung auf lokaler Ebene hält endlich auch in den Amtsstuben Südtirols Einzug, Italien legt Maßnahmen fest, die zur Annäherung der Geschlechter auf vielen Ebenen führen sollen, und beim Frauengipfel in Rom wurde ein Aktionsplan erstellt, der das Thema beim G20-Gipfel auf den Tisch bringt. Macht wird uns nicht geschenkt. Also holen wir sie uns.
Es gilt, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. © Unsplash / Gemma Chua-Tran
2006 wurde die Europäische Charta für die Gleichstellung von Frauen und Männern auf lokaler Ebene verabschiedet, für mehr Sichtbarkeit der diesbezüglichen Politik und einer gemeinsamen Strategie für alle Mitgliedsstaaten. Darin wird die Gleichstellung als Grundrecht verankert, Diskriminierungen werden angesprochen, eine ausgewogene Mitwirkung wird zur Grundbedingung erklärt, außerdem sollen Geschlechterstereotypen beseitigt, Geschlechterperspektiven einbezogen und Aktionspläne und Programme erarbeitet werden.
Formelle Absegnung durch Landeshauptmann Kompatscher im Herbst
Der Tag der Chancengleichheit am 16. September bietet sich an, um einmal einen Blick auf die aktuelle Situation in Südtirol und im Rest Italiens 15 Jahre später zu werfen.
Mit Beschluss vom 16. Februar 2021 war der Landesbeirat für Chancengleichheit mit der Ausarbeitung der Zielsetzungen und Schwerpunkte eines Gleichstellungsaktionsplans für Südtirol betraut worden. Ein erstes Konzept für die Erarbeitung dieses Plans – als Basis für einen mehrjährigen, kontinuierlichen Prozess – liegt mittlerweile vor. Nun bleibt der Startschuss abzuwarten, um konkrete Ziele und Maßnahmen definieren zu können. Dieser soll noch im Herbst erfolgen, und zwar mit der Unterschrift der EU-Charta durch den Landeshauptmann als Zeichen einer breiten politischen Zustimmung zum Gleichstellungsaktionsplan. Diese Charta kann online auf www.ccre.org/docs/charte_egalite_de.pdf eingesehen werden.
Anschließend kann mit der konkreten Umsetzung der Maßnahmen zu mehr Teilhabe der Frauen begonnen werden, die sich an die gesamte Bevölkerung richten. Wie Lilli Gruber im Interview auf Seite 22 dieser Ausgabe so treffend sagt: „Wir müssen sie wollen, die Macht.“
Ein nationales Strategiepapier für die Gleichstellung von Frauen und Männern
Auch auf staatlicher Ebene ist frau nicht untätig: Im Juli veröffentlichte die Abteilung für Chancengleichheit (www.pariopportunita.gov.it) des italienischen Ministerrates ihre Nationale Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter. Darin werden Fünfjahrespläne angestrebt, die sich auf Maßnahmen in den Großbereichen Arbeit, Einkommen, Kompetenzen, Zeitmanagement und Macht konzentrieren.
Konkret sieht die Strategie Steuererleichterungen und Förderungen für Unternehmen vor, die Frauen einstellen, vor allem in Süditalien und für den Wiedereinstieg nach der Elternzeit. Weibliches Unternehmertun soll finanziell unterstützt und Smart Working gepusht werden. Der Gender Pay Gap soll gesetzlich definiert werden, um Situationen der Ungleichheit klarer zu identifizieren und Maßnahmen für die einzelnen Betriebe zu ergreifen. In diesem Kontext ist es auch wichtig, die Höhe der Rente, die durch eine Mutterschaft für Frauen geringer ausfallen kann, anzugleichen. Der Bereich Kompetenzen schließt den Bildungszugang und die Sichtbarkeit der Frauen in Lehrmaterialien ein, außerdem den Zugang zu den MINT-Fächern, in denen Frauen meist unterrepräsentiert sind. Auch hier sollen konkrete Maßnahmen für eine Erleichterung zum Tragen kommen – und auch hier spielt der Schutz junger Mütter, die eine Ausbildung anstreben, eine Rolle. Die Frauenquote in Entscheidungsgremien, Aufsichtsräten und in der Politik ist in dem Dokument ebenso verankert wie die Maßnahmen für eine bessere Aufteilung der Elternzeit und Organisation der Kinderbetreuung. Bereichsübergreifend soll zunehmend mehr Wert auf eine gendergerechte Sprache und auf den Schutz fragiler Gruppen gelegt werden.
Ein umfassendes Papier, das fast alle Bereiche berührt, in denen Frauen Aufholbedarf haben und in denen es gilt, Hindernisse aus dem Weg zu räumen.
Gleichstellung als grundlegendes Ziel für den G20-Gipfel
Auf dem hybriden W20-Gipfel in Rom trafen sich vom 13. bis 15. Juli Delegierte aus der ganzen Welt zu einem frauenpolitischen zivilgesellschaftlichen Dialog, im Rahmen dessen auch ein Kommuniqué erstellt wurde, das beim G20-Gipfel in Rom am 30. Und 31. Oktober den teilnehmenden Führungskräften der einzelnen Staaten vorgelegt werden soll.
Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, rief dazu auf, Gleichstellung als Basis, als grundlegendes Ziel für den G20-Gipfel herzunehmen, während die stellvertretende Direktorin von UN Women mehr Aufmerksamkeit für den Kampf gegen Gewalt an Frauen und Mädchen weltweit forderte. Die italienische Parlamentspräsidentin Maria Elisabetta Alberti Casellati, welche die Konferenz eröffnete, forderte Gleichstellungspolitik als Leitprinzip bei allen politischen Maßnahmen, was eine inklusive Vision mit Parität in politischen Ämtern einschloss.
Das W20-Italy Kommuniqué wurde mit einem umfangreichen Aktionsplan ergänzt und schließlich dem italienischen G20-Sherpa Luigi Mattioli übergeben. Es ist auf w20italia.it abrufbar. Die Punkte, die darin behandelt werden, sind im internationalen Dokument naturgemäß nochmal breiter gefächert als die Maßnahmen im nationalen Strategiepapier Italiens. So nimmt zum Beispiel die Gesundheitsvorsorge mehr Raum ein, der Zugang und die Teilhabe von Frauen ist ein wichtiges Thema, wie auch die Gewaltprävention.
Mehr Diversität an der Spitze sorgt für mehr Erfolg, der schließlich auch wirtschaftlich messbar ist. © Unsplash / Nick Fewings

Eindämmung des Covid-19-Virus im Schulbetrieb

Gähnende Lehre?

// Bettina Conci //
Damit ist vielleicht noch nicht die Situation in den Klassenzimmern gemeint, sondern die Programme und Versprechen zur Eindämmung des Covid-19-Virus und seiner Varianten im Schulbetrieb. Laut Ministerium soll der Unterricht zu 100 Prozent garantiert werden. Dem gegenüber stehen 25 Prozent. So viele Lehrpersonen waren laut offizieller Erhebung Ende August noch ungeimpft.
Das dritte „Covid-Schuljahr“ hat begonnen. Mit ihm gehen bange Fragen vieler Eltern einher, denen bereits vor dem Gespenst Fernunterricht graut. Werden wir es dieses Jahr schaffen, dem Coronavirus den Kampf anzusagen mit effektiven Maßnahmen, vernünftigen Stundenplänen, Klassengrößen, Belüftungssystemen, Impf- und Teststrategien?
In manchen Regionen Italiens gibt es Impfquoten von 90 Prozent unter dem Lehrpersonal. Was das Vorhaben des italienischen Bildungsministeriums, den Unterricht zu garantieren, schwierig, aber nicht unmöglich macht. In Südtirol wird sich dies nicht mehr ausgehen. Alternativen müssen her.
Laut Rundschreiben des italienischen Gesundheitsministeriums vom 11. August 2021 sollen recht komplizierte Regeln für die Quarantäne und Isolation geimpfter Bevölkerungsgruppen (die in Gruppen mit niedrigem und hohem Ansteckungsrisiko unterteilt werden) Anwendung finden. Für die Vorsitzende der Südtiroler Schulgewerkschaft, Petra Nock, ist der Traum vom „normalen Schulbetrieb“ allerdings mit sehr vielen Fragezeichen behaftet. Diese betreffen in erster Linie die Greenpass-Pflicht für Lehrer, die in Südtirol zu einem massiven Mangel an pädagogischen Fachkräften führen könnte. „Man muss sich auch die Frage stellen, wer diese fehlenden Stellen abdecken soll“, meint Nock. „Unsere Schülerinnen und Schüler sollen ja nicht von Hinz und Kunz unterrichtet werden, sondern von fachlich kompetenten Pädagoginnen und Pädagogen.“ Sie fügt hinzu: „Wir würden es begrüßen, wenn man festlegt, zumindest die Zeit von 8 bis 13 Uhr mit den zur Verfügung stehenden Lehrkräften abzudecken. Damit kann man arbeiten.“
Der Gewerkschaft sei vor allem eines wichtig: Die Arbeit soll kontinuierlich weitergeführt werden. Fast gleich wichtig ist, dass das Personal nicht übermäßig belastet wird. Durch den Ausfall vieler impf- und testunwilliger Lehrpersonen müssen Stunden abgedeckt werden, was anstrengende Mehrarbeit für viele bedeutet.
Beim Thema Homeschooling ist Petra Nock realistisch. Wir sollten uns nicht ganz von der Vorstellung verabschieden, ist ihre Meinung dazu. Vor allem dann, wenn es im Herbst zu einer weiteren Welle unter den jungen Schülerinnen und Schülern kommen sollte. Eine höhere Durchimpfungsrate in der Autonomen Provinz anzustreben, die italienweit an vorletzter Stelle liegt, was den Prozentsatz der geimpften Bevölkerung angeht, sei sicherlich eine vernünftige Strategie, um das alltägliche Leben und den gewohnten Gang – auch im Bildungswesen – so wenig wie möglich zu beeinträchtigen.
Petra Nock ist zurückhaltend, was die Unterrichtsplanung betrifft. © Petra Nock