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„Hey, du heiße Schnitte“
// Ingrid Kapeller //
Catcalling ist eine Form der verbalen oder nonverbalen sexuellen Belästigung, der Frauen* immer und überall ausgesetzt sind. Dennoch wird Catcalling oft verharmlost und bagatellisiert. Dabei haben weder „Hey du heiße Schnitte“ noch „Geiler Arsch“ noch (andere) vermeintliche Flirtversuche etwas mit gutgemeinten Komplimenten zu tun, sondern einzig und allein mit Macht, Gewalt und Geschlecht.
Anzügliche Blicke, sexualisierte Gesten, Zurufe, Zisch-, Kuss- und Stöhngeräusche, Beschimpfungen, Kommentare und, nicht zu vergessen, angebliche Schmeicheleien von Fremden auf der Straße. Die Liste davon, wie ein Catcall ausschauen kann, ist ebenso lang wie jene, wo Frauen* überall ge-catcallt werden – sei es beim Laufen, in der Bar, beim Einkaufen, auf dem Weg zur Arbeit oder in Bus oder Bahn. Täter dringen mit Catcalls unmittelbar in die Privatsphäre der Opfer ein. Diese werden dadurch nicht nur objektifiziert und, im wahrsten Sinne des Wortes, wie Tiere behandelt, sondern auch in ihrer Würde verletzt und in ihrer sozialen Teilhabe geschmälert. Wissenschaftlich werden Catcalls als eine Art der (non)verbalen sexuellen Belästigung von Fremden im öffentlichen Raum definiert. Damit wird klar, dass Catcalls nicht nur einfache Beleidigungen oder, wie oft angenommen, Komplimente sind, sondern – nennen wir die Dinge beim Namen – eine Form der Gewalt.
Bei Catcalls geht es nicht um Galanterie, sondern um geschlechtlich codierte Macht. Allein die Tatsache, dass Catcalls von fremden Männern auf der Straße gegenüber Frauen* geäußert werden und nicht etwa umgekehrt, zeigt, dass sich Catcaller in einer überlegenen Position fühlen. Sie fühlen sich ermächtigt andere lauthals zu kommentieren; sie fühlen sich im öffentlichen Raum sicher und beanspruchen ihn für sich. Mit einem Catcall bringen Täter Frauen* in einen Zustand der Ohnmacht, denn jedwede Reaktion, durch welche Frauen* in diesem Fall versuchen sich (Handlungs)Macht zurückzuholen, ist riskant. Die Reaktion des Catcallers ist nicht einzuschätzen und könnte weitere Gewalthandlungen zur Folge haben.
Wir alle kennen sie, wir alle hassen sie
Den meisten Frauen* sind solche Situationen bekannt: Ein fremder Mann ruft im Vorbeigehen etwas unangebracht Anzügliches, die Frau* ist wie gelähmt, perplex, ihr fehlen die Worte. Sie läuft weiter, tut oft so, als ob sie gar nichts gehört hätte und muss das Erlebnis gezwungenermaßen aufarbeiten – auf welche Weise auch immer. Dass Situationen wie diese für viele Frauen* nichts Neues, sondern, ganz im Gegenteil sogar Alltag sind, belegen zahlreiche Studien. Sie zeigen, dass zwischen 85 und 100 Prozent aller Frauen* mindestens einmal in ihrem Leben gecatcallt wurden. Eine Studie der Cornell-Universität in England bestätigt ähnlich hohe Zahlen und verweist darauf, dass 84 Prozent aller Frauen* weltweit bereits vor dem 18. Lebensjahr gecatcallt werden. Außerdem werden Schwarze Frauen* und Women* of Colour nicht nur häufiger Opfer von Catcalls, sondern erleben auch andere, intersektionale Formen davon. Das heißt, dass sie sowohl aufgrund ihres Geschlechts als auch ihrer Hautfarbe belästigt und sexualisiert werden. Daraus ergeben sich weißen Frauen* unbekannte Diskriminierungsformen.
Nein, Catcalls sind keine Komplimente!
Entgegen der weitverbreiteten Annahme, es könne sich bei einem Catcall ja aber um ein Kompliment oder – Göttin bewahre – einen Flirtversuch von ehrenhaften Gentlemen handeln, steht die Tatsache, dass Komplimente zumeist von Personen im unmittelbaren Nahraum geäußert werden. Zudem müsste mir dann nochmal eine*r genau erklären, wie genau denn sexualisierte Beschimpfungen oder Aufforderungen zu sexuellen Handlungen von Fremden nochmal als Kompliment zu interpretieren sind. Ach ja genau, nämlich gar nicht.Bei Catcalls geht es nicht um Galanterie, sondern um geschlechtlich codierte Macht. Allein die Tatsache, dass Catcalls von fremden Männern auf der Straße gegenüber Frauen* geäußert werden und nicht etwa umgekehrt, zeigt, dass sich Catcaller in einer überlegenen Position fühlen. Sie fühlen sich ermächtigt andere lauthals zu kommentieren; sie fühlen sich im öffentlichen Raum sicher und beanspruchen ihn für sich. Mit einem Catcall bringen Täter Frauen* in einen Zustand der Ohnmacht, denn jedwede Reaktion, durch welche Frauen* in diesem Fall versuchen sich (Handlungs)Macht zurückzuholen, ist riskant. Die Reaktion des Catcallers ist nicht einzuschätzen und könnte weitere Gewalthandlungen zur Folge haben.
Actio und Re-actio, oder so ähnlich…
Die Episode eines Catcalls ist für Opfer, anders als für den Täter, nicht damit beendet, dass sich ihre Wege wieder trennen, nein. Das Opfer wird gezwungen, irgendwie mit dieser Situation umzugehen. Reagieren kostet Mut und kann gefährlich sein, aber auch ignorieren ist leichter gesagt als getan. Frauen* werden hier in eine Zwickmühle gesteckt, da beide Optionen keine wirkliche Alternative darstellen. Doch der Umgang von Opfern mit Catcalls ist nicht nur währenddessen oder kurz danach schwierig, sondern oft noch lange später. Catcalls können für Frauen* schwerwiegende psychische und physische Folgen mit sich bringen, wie etwa Angstzustände, Depressionen, Schlaf- und/oder Essstörungen sowie eine gestörte Beziehung zum eigenen Körper. Diese Folgen führen wiederum dazu, dass sich Frauen* einschränken, ihre soziale Teilhabe nicht wahrnehmen können oder aus dem öffentlichen Raum verdrängt werden.
Basta mit Bagatellisieren
Das wahre Problem mit Catcalls ist jedoch nicht die potenzielle Reaktion der Frau* auf einen Catcall, sondern die gesellschaftliche Bagatellisierung davon sowie das Rechtfertigen des Verhaltens der Täter. Immer wieder hören Opfer Aussagen wie „Dein Rock war zu kurz“, „Ist doch eh nichts passiert“ oder „Der hat’s nur gut gemeint“. Sie sind nicht nur Nonsens, sondern legitimeren Belästigung und Gewalt und erfassen den Sexismus, die Misogynie und die ungleiche Machthabe, denen Catcalls zugrunde liegen, nicht. Dieses gesellschaftliche Beschönigen von sexueller Belästigung geht sogar so weit, dass Opfer diese verinnerlichen; frau objektifiziert sich selbst und sucht den Fehler bei sich (wo sie ihn nicht finden wird, weil er nicht dort ist). Aussagen wie die obigen müssen deshalb umgehend aus Vokabular und Denkweise gestrichen werden. Denn, es kann nicht oft genug wiederholt werden, das Opfer ist niemals schuld, es ist das Verhalten des Täters, das zu verurteilen ist.