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Wir müssen uns nicht alle liebhaben

// Bettina Conci //
Dem Phänomen des „Girl hate“ (neudeutsch für „Zickenkrieg“) tritt man laut der Bloggerin Tavi Gevinson am besten mit der sogenannten „Shine Theory“ entgegen, die von der US-amerikanischen Journalistin Ann Friedman aufgestellt wurde. Diese besagt, dass Frauen stärker davon profitieren, wenn sie sich gegenseitig unterstützen, statt sich als Konkurrentinnen zu sehen. Scheint banal, im echten Leben ist dieses „Zammschauen“ allerdings manchmal etwas komplizierter. Was aber nicht heißt, dass Frauenbündnisse unmöglich sind. Wir müssen nur die rosarote Brille abnehmen und uns auf unsere Stärken besinnen. Ein Plädoyer für Frauensolidarität ohne Perfektionsanspruch.
Zusammen geht’s leichter – auch ohne Harmonie um jeden Preis. © Tim Marshall/Unsplash
Die Weltfrauenkonferenz war eine Veranstaltung der UN, die ursprünglich alle fünf Jahre durchgeführt werden sollte. Bereits bei der ersten Zusammenkunft 1975 in Mexiko City kam es zu grundlegenden Meinungsverschiedenheiten unter den Delegierten der zivilgesellschaftlichen Frauenorganisationen aus 133 Ländern, die über „Gleichberechtigung, Entwicklung und Frieden“ diskutieren sollten. Auslöser dafür war die unterschiedliche Gewichtung der Themen Frieden, Gleichstellung, Recht auf freie Meinungsäußerung und Entscheidungsfreiheit über den eigenen Körper. Themen, deren verschiedenartige Wahrnehmung wiederum auf die jeweiligen Lebenswelten der Teilnehmerinnen zurückzuführen war.
Ein typischer Fall von mangelnder Frauensolidarität, wie sie uns auch heute noch vorgeworfen wird, schlimmstenfalls unter Verwendung diverser genderstereotypen Huftiermetaphern. Oder?
Wir sind nicht alle gleich, nur weil wir Frauen sind
Werfen wir einen Blick darauf, wie das Ganze ausging. Trotz aller Streitigkeiten steigerten das heterogene Meinungsspektrum innerhalb der Teilnehmerinnen und die verschiedenen Realitäten, aus denen sie kamen, die Bedeutung der Frauenrechte auf internationaler Ebene ungemein. Frauenfeindlichkeit wurde dem Rassismus gleichgesetzt, als Folge der Konferenz wurde ein Jahr später der UN-Entwicklungsfonds für Frauen (UNIFEM) gegründet, 1979 die auf der Konferenz entworfene Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau auf den Weg gebracht. Die UN-Weltfrauenkonferenz fand noch dreimal statt, zum letzten Mal 1995. Der Grund für das (vorläufige) Ende ist so einfach wie traurig: Die Aktionsplattform, die bei der letzten Zusammenkunft in Peking gegründet worden war, erstellte 12 Schwerpunktthemen mit Zielen, von denen einige bis heute nicht erreicht wurden. Somit wurde beschlossen, keine weitere Konferenz mehr einzuberufen, bis man sich diesen Zielen angenähert hatte. Manche*r behauptete auch, die Diskussion um die Flut an Themen und ihre unterschiedlichen Prioritäten habe dazu geführt, dass keine der Teilnehmerinnen große Lust dazu hatte, die Konferenzen fortzuführen.

1975 war nicht nur das Jahr der ersten Weltfrauenkonferenz, sondern auch das Jahr, in dem die Vereinten Nationen zum ersten Mal den Weltfrauentag feierten. Als sozialistischer Kampftag bereits 1911 auf europäischem Boden aus der Taufe gehoben, wandelte sich der 8. März vom Aktionstag über eine verbotene Tradition zur Zeit des Nationalsozialismus (damals wurde er wegen der besseren Harmonie mit der Nazisymbolik durch den Muttertag ersetzt) bis hin zum belächelten Anlass, Blumen zu schenken, und in jüngerer Zeit zum feministischen Kampftag, der nicht nur Frauen, sondern alle LGBTQIA*-Personen miteinbezieht. Und siehe da, auch so ein vermeintlich universeller Brauch wie der Frauentag schafft es regelmäßig, die Gemüter zu erhitzen. So zirkulierten als Motto für 2022 die verschiedensten Alliterationen wie „Break the Bias“, „Choose to Challenge“ oder „Climate Change“, je nachdem, welche Organisation sich dem Thema gerade widmete. Am weitesten verbreitet war schließlich der Slogan „Each for Equal“: jeder und jede für Gleichberechtigung. Ein inklusiver Claim, der niemanden ausschließen soll, aber von einer unrealistischen Prämisse (oder einem unrealistischen Ziel) ausgeht: dass wir alle gleich sind.
Mehr Einigkeit in all dem Facettenreichtum
Harmonie um jeden Preis ist der Tod jeder konstruktiven Diskussion, weshalb wir Frauen vielleicht einfach lernen sollten, unsere unterschiedlichen Ansichten als Facettenreichtum zu sehen – und zu nutzen. Schließlich arbeiten wir kollektiv auf ein Ziel hin – oder behaupten es zumindest. Da dürfen wir uns nicht von einer anerzogenen Abneigung gegen Streitkultur von diesem Ziel abbringen lassen. Wir dürfen diskutieren, streiten, und das auch laut und ohne Rücksicht auf Verluste. Nur dürfen wir nicht vergessen, uns danach wieder an einen Tisch zu setzen, um in all unserer Vielfalt an unseren Zielen zu arbeiten (zur Erinnerung: jene der Aktionsplattform der Weltfrauenkonferenz, die seit 1995 auf ihre Verwirklichung warten, sind Gleichstellung der Frau in allen Bereichen, Schutz der Frauen vor Verfolgung, Gewalt und Armut, Abbau geschlechtsspezifischer Unterschiede in der Gesundheitsversorgung und im Bildungssystem).

Die Mimose, mit der man in Italien am 8. März als weiblich gelesene Person unweigerlich beschenkt wird, wurde übrigens nicht nur wegen ihrer Ubiquität als Symbol für die Frauen und ihren Kampf für Geschlechtergerechtigkeit gewählt: Ihre Blüten bestehen aus vielen kleinen Kügelchen, einer Vielzahl einzelner Elemente, die ein Kollektiv bilden.

* LGBTQIA+ = ist eine Abkürzung der englischen Wörter Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual/Transgender, Queer, Intersexual und Asexual und weitere.
Wo wir schon bei bildhaften Vergleichen sind: auch Stutenbissigkeit ist passé. © Mikael Kristenson/Unsplash

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„Hey, du heiße Schnitte“

// Ingrid Kapeller //
Catcalling ist eine Form der verbalen oder nonverbalen sexuellen Belästigung, der Frauen* immer und überall ausgesetzt sind. Dennoch wird Catcalling oft verharmlost und bagatellisiert. Dabei haben weder „Hey du heiße Schnitte“ noch „Geiler Arsch“ noch (andere) vermeintliche Flirtversuche etwas mit gutgemeinten Komplimenten zu tun, sondern einzig und allein mit Macht, Gewalt und Geschlecht.
Anzügliche Blicke, sexualisierte Gesten, Zurufe, Zisch-, Kuss- und Stöhngeräusche, Beschimpfungen, Kommentare und, nicht zu vergessen, angebliche Schmeicheleien von Fremden auf der Straße. Die Liste davon, wie ein Catcall ausschauen kann, ist ebenso lang wie jene, wo Frauen* überall ge-catcallt werden – sei es beim Laufen, in der Bar, beim Einkaufen, auf dem Weg zur Arbeit oder in Bus oder Bahn. Täter dringen mit Catcalls unmittelbar in die Privatsphäre der Opfer ein. Diese werden dadurch nicht nur objektifiziert und, im wahrsten Sinne des Wortes, wie Tiere behandelt, sondern auch in ihrer Würde verletzt und in ihrer sozialen Teilhabe geschmälert. Wissenschaftlich werden Catcalls als eine Art der (non)verbalen sexuellen Belästigung von Fremden im öffentlichen Raum definiert. Damit wird klar, dass Catcalls nicht nur einfache Beleidigungen oder, wie oft angenommen, Komplimente sind, sondern – nennen wir die Dinge beim Namen – eine Form der Gewalt.
Wir alle kennen sie, wir alle hassen sie
Den meisten Frauen* sind solche Situationen bekannt: Ein fremder Mann ruft im Vorbeigehen etwas unangebracht Anzügliches, die Frau* ist wie gelähmt, perplex, ihr fehlen die Worte. Sie läuft weiter, tut oft so, als ob sie gar nichts gehört hätte und muss das Erlebnis gezwungenermaßen aufarbeiten – auf welche Weise auch immer. Dass Situationen wie diese für viele Frauen* nichts Neues, sondern, ganz im Gegenteil sogar Alltag sind, belegen zahlreiche Studien. Sie zeigen, dass zwischen 85 und 100 Prozent aller Frauen* mindestens einmal in ihrem Leben gecatcallt wurden. Eine Studie der Cornell-Universität in England bestätigt ähnlich hohe Zahlen und verweist darauf, dass 84 Prozent aller Frauen* weltweit bereits vor dem 18. Lebensjahr gecatcallt werden. Außerdem werden Schwarze Frauen* und Women* of Colour nicht nur häufiger Opfer von Catcalls, sondern erleben auch andere, intersektionale Formen davon. Das heißt, dass sie sowohl aufgrund ihres Geschlechts als auch ihrer Hautfarbe belästigt und sexualisiert werden. Daraus ergeben sich weißen Frauen* unbekannte Diskriminierungsformen.
Nein, Catcalls sind keine Komplimente!
Entgegen der weitverbreiteten Annahme, es könne sich bei einem Catcall ja aber um ein Kompliment oder – Göttin bewahre – einen Flirtversuch von ehrenhaften Gentlemen handeln, steht die Tatsache, dass Komplimente zumeist von Personen im unmittelbaren Nahraum geäußert werden. Zudem müsste mir dann nochmal eine*r genau erklären, wie genau denn sexualisierte Beschimpfungen oder Aufforderungen zu sexuellen Handlungen von Fremden nochmal als Kompliment zu interpretieren sind. Ach ja genau, nämlich gar nicht.
Bei Catcalls geht es nicht um Galanterie, sondern um geschlechtlich codierte Macht. Allein die Tatsache, dass Catcalls von fremden Männern auf der Straße gegenüber Frauen* geäußert werden und nicht etwa umgekehrt, zeigt, dass sich Catcaller in einer überlegenen Position fühlen. Sie fühlen sich ermächtigt andere lauthals zu kommentieren; sie fühlen sich im öffentlichen Raum sicher und beanspruchen ihn für sich. Mit einem Catcall bringen Täter Frauen* in einen Zustand der Ohnmacht, denn jedwede Reaktion, durch welche Frauen* in diesem Fall versuchen sich (Handlungs)Macht zurückzuholen, ist riskant. Die Reaktion des Catcallers ist nicht einzuschätzen und könnte weitere Gewalthandlungen zur Folge haben.
Actio und Re-actio, oder so ähnlich…
Die Episode eines Catcalls ist für Opfer, anders als für den Täter, nicht damit beendet, dass sich ihre Wege wieder trennen, nein. Das Opfer wird gezwungen, irgendwie mit dieser Situation umzugehen. Reagieren kostet Mut und kann gefährlich sein, aber auch ignorieren ist leichter gesagt als getan. Frauen* werden hier in eine Zwickmühle gesteckt, da beide Optionen keine wirkliche Alternative darstellen. Doch der Umgang von Opfern mit Catcalls ist nicht nur währenddessen oder kurz danach schwierig, sondern oft noch lange später. Catcalls können für Frauen* schwerwiegende psychische und physische Folgen mit sich bringen, wie etwa Angstzustände, Depressionen, Schlaf- und/oder Essstörungen sowie eine gestörte Beziehung zum eigenen Körper. Diese Folgen führen wiederum dazu, dass sich Frauen* einschränken, ihre soziale Teilhabe nicht wahrnehmen können oder aus dem öffentlichen Raum verdrängt werden.
Basta mit Bagatellisieren
Das wahre Problem mit Catcalls ist jedoch nicht die potenzielle Reaktion der Frau* auf einen Catcall, sondern die gesellschaftliche Bagatellisierung davon sowie das Rechtfertigen des Verhaltens der Täter. Immer wieder hören Opfer Aussagen wie „Dein Rock war zu kurz“, „Ist doch eh nichts passiert“ oder „Der hat’s nur gut gemeint“. Sie sind nicht nur Nonsens, sondern legitimeren Belästigung und Gewalt und erfassen den Sexismus, die Misogynie und die ungleiche Machthabe, denen Catcalls zugrunde liegen, nicht. Dieses gesellschaftliche Beschönigen von sexueller Belästigung geht sogar so weit, dass Opfer diese verinnerlichen; frau objektifiziert sich selbst und sucht den Fehler bei sich (wo sie ihn nicht finden wird, weil er nicht dort ist). Aussagen wie die obigen müssen deshalb umgehend aus Vokabular und Denkweise gestrichen werden. Denn, es kann nicht oft genug wiederholt werden, das Opfer ist niemals schuld, es ist das Verhalten des Täters, das zu verurteilen ist.