Think
Hoch lebe die Bauchfreiheit
// Ingrid Kapeller//
© Gursimrat Ganda / Unsplash
Seit Mitte April wurde in Südtirol immer wieder darüber diskutiert, ob Mädchen mit bauchfreien T-Shirts in die Schule gehen können oder nicht. Ausgelöst wurde die Diskussion von einem Brief der Direktorin des Sozialwissenschaftlichen Gymnasiums und Kunstgymnasiums in Bruneck, der an die Eltern der Schüler*innen adressiert war. Darin drohte die Direktorin mit Disziplinarmaßnahmen, sollten Schüler*innen mit „anstößiger Bekleidung“ oder „bauchfrei“ in die Schule kommen. Argumentiert wurde diese Haltung mit „ethischen Prinzipien der Würde und Dezenz“ (Zitat aus dem Elternbrief), die in öffentlichen Institutionen wie einer Schule einzuhalten seien.
Marina Dragà ist 18 Jahre alt, liebt Musik und möchte später Psychologie studieren. Zurzeit ist sie Schülerin am Sozialwissenschaftlichen Gymnasium mit Fachrichtung Musik, und geht, wie sie erklärt, des Öfteren bauchfrei zur Schule. Warum sie der Meinung ist, dass die Diskussion über die Kleiderordnung in der Schule falsch geführt wird und alle das tragen sollen, womit sie sich wohl fühlen, erklärt sie im Interview mit ëres.
Sobald wir von dem Brief gehört haben, haben sich alle extrem aufgeregt. Kurz darauf, also schon in der nächsten Stunde, haben sich alle Klassensprecher*innen getroffen, um zu besprechen, was man hier unternehmen könnte. Alle waren dahinter, weil einfach alle wütend waren.
Aber eigentlich haben mich alle, mit denen ich geredet habe, in meiner Meinung unterstützt und bestärkt. Also Lehrer*innen, Mitschüler*innen, meine Eltern, meine Freund*innen – alle. Auf Gegenwind sind wir eigentlich nicht gestoßen, aber vielleicht bin ich ein bisschen in einer Bubble, wo alle so denken wie ich. Nämlich, dass alle selbst entscheiden sollen, was sie anziehen möchten.
Nur einige Lehrer [sic!, Anmerkung der Autorin] haben in den Gesprächen im Unterricht so Sachen gesagt, dass Mädchen in bauchfreien Shirts halt selbst schuld seien, wenn Männer ihnen nachpfeifen. Das finde ich krass. Auch einige Lehrerinnen haben ähnliche Dinge gesagt, was mich noch mehr schockiert. Man sollte Frauen immer unterstützen, aber wenn man selbst eine Frau ist, dann nochmal mehr, weil man selbst ja weiß, wie das ist.
Es gäbe so viele wichtigere Aspekte: mentale Gesundheit, Ernährung, was weiß ich…
Wenn Mädchen ihren Bauch verstecken müssen, kommen sie auch überhaupt erst auf die Idee, dass sie sich für etwas schämen müssten. Ich habe von vielen gehört, dass sie sich jetzt, wegen diesem Brief denken: Passt etwas nicht mit meinem Körper?
Vielen Lehrer*innen war es auch sehr unangenehm, wenn Mädchen nicht mehr bauchfrei gekommen sind, weil sie glauben, dass Schüler*innen denken, dass die Lehrer*innen sie durch eine sexualisierte Linse sehen. Das Verbot ist also auch ungut für sie.
Und dann stört mich auch noch der Umgang mit uns Jungen generell. Wenn man jung ist, wird man weniger ernst genommen. Da wird oft gesagt, dass wir uns nur gegen dieses Verbot wehren, weil wir stur sind, weil wir in der Pubertät sind, weil wir jung sind. Man kommt nicht auf die Idee, dass wir schon auch mitdenken und eine eigene Meinung haben.
Marina Dragà ist 18 Jahre alt, liebt Musik und möchte später Psychologie studieren. Zurzeit ist sie Schülerin am Sozialwissenschaftlichen Gymnasium mit Fachrichtung Musik, und geht, wie sie erklärt, des Öfteren bauchfrei zur Schule. Warum sie der Meinung ist, dass die Diskussion über die Kleiderordnung in der Schule falsch geführt wird und alle das tragen sollen, womit sie sich wohl fühlen, erklärt sie im Interview mit ëres.
ëres: Wie war die Stimmung in der Schule, als Sie von dem Brief an die Eltern erfahren haben?
Marina Dragà: Alle waren sehr überrascht über den Brief, auch die Mehrheit der Lehrer*innen – wir haben dann fast in jeder Stunde mit ihnen darüber gesprochen. Das hat sich einfach niemand erwartet, immerhin hat uns nie irgendjemand auf kurze oder zu kurze Shirts angesprochen. Es war kein Thema – und ich kenne viele Leute, die bauchfrei zur Schule gehen. Ich gehe auch meistens bauchfrei.Sobald wir von dem Brief gehört haben, haben sich alle extrem aufgeregt. Kurz darauf, also schon in der nächsten Stunde, haben sich alle Klassensprecher*innen getroffen, um zu besprechen, was man hier unternehmen könnte. Alle waren dahinter, weil einfach alle wütend waren.
ëres: Hat es Protestaktionen gegeben? Was haben die Klassensprecher*innen unternommen?
Es hat mehrere Aktionen gegeben: Ich habe gleich online eine Petition gegen diese Maßnahmen gestartet, die in kürzester Zeit von vielen unterstützt wurde. Dann haben wir beschlossen, dass am nächsten Tag alle, die möchten, bauchfrei in die Schule gehen. Also alle, die sich damit wohlfühlen, schließlich wollen wir niemanden dazu zwingen. Bei der Aktion haben viele mitgemacht, auch Jungs! Wir haben zwar nicht so viele an unserer Schule, aber einige haben sich solidarisch gezeigt und sind am nächsten Tag bauchfrei zum Unterricht erschienen.
ëres: Welche Reaktionen hat es auf die Protestaktion gegeben? Wurden Sie unterstützt?
Ich weiß nicht, ob es an anderen Schulen ähnliche Aktionen gegeben hat, aber wir haben von vielen Schüler*innen aus anderen Schulen im ganzen Land gehört, dass sie diese Vorschriften für kompletten Schwachsinn halten. Zu wissen, dass wir nicht alleine sind, hat uns sehr gefreut.Aber eigentlich haben mich alle, mit denen ich geredet habe, in meiner Meinung unterstützt und bestärkt. Also Lehrer*innen, Mitschüler*innen, meine Eltern, meine Freund*innen – alle. Auf Gegenwind sind wir eigentlich nicht gestoßen, aber vielleicht bin ich ein bisschen in einer Bubble, wo alle so denken wie ich. Nämlich, dass alle selbst entscheiden sollen, was sie anziehen möchten.
Nur einige Lehrer [sic!, Anmerkung der Autorin] haben in den Gesprächen im Unterricht so Sachen gesagt, dass Mädchen in bauchfreien Shirts halt selbst schuld seien, wenn Männer ihnen nachpfeifen. Das finde ich krass. Auch einige Lehrerinnen haben ähnliche Dinge gesagt, was mich noch mehr schockiert. Man sollte Frauen immer unterstützen, aber wenn man selbst eine Frau ist, dann nochmal mehr, weil man selbst ja weiß, wie das ist.
ëres: Wie sehen Sie solche Aussagen?
Wenn Lehrer*innen so Sachen sagen, dann sollte man auf jeden Fall mit ihnen darüber sprechen. Das Problem liegt da ja eindeutig bei ihnen, und nicht bei einem T-Shirt oder dem Mädchen, das es trägt. Sie müssen es aushalten können, einen Bauch zu sehen, das ist schließlich nichts anderes wie eine Schulter oder ein Arm. Ich finde es generell so einen Schwachsinn, einem Bauch oder irgendeinem Kleidungsstück Schuld an irgendetwas zu geben. Dasselbe Argument hört man auch oft bei sexueller Belästigung, „Was hat sie denn angehabt?“ Das ist immer eine der ersten Fragen. Es ist halt einfach nur Kleidung. Und das sollte keine Auswirkungen darauf haben, wie man gesehen oder behandelt wird.
ëres: Womit wurde denn für die Einführung einer Kleiderordnung argumentiert?
Womit oft argumentiert wurde, ist, dass dieses Bauchfrei-Ding Essstörungen fördern würde. Aber ein Verbot von bauchfreien Shirts ändert an diesem Problem nichts. Da wäre es doch besser, wenn sie uns über Essstörungen aufklären würden, anstatt uns etwas zu verbieten. Überhaupt, wenn es um die Gesundheit geht, wird nur bei Mädchen drauf geschaut. Wie viele Jungs laufen im Winter in kurzen Hosen oder ohne Jacke rum und niemand sagt etwas? Aber wenn es um Mädchen geht, dann schon. Das finde ich ganz schlimm. Und wenn Gesundheit, dann nur physische.Es gäbe so viele wichtigere Aspekte: mentale Gesundheit, Ernährung, was weiß ich…
Wenn Mädchen ihren Bauch verstecken müssen, kommen sie auch überhaupt erst auf die Idee, dass sie sich für etwas schämen müssten. Ich habe von vielen gehört, dass sie sich jetzt, wegen diesem Brief denken: Passt etwas nicht mit meinem Körper?
Vielen Lehrer*innen war es auch sehr unangenehm, wenn Mädchen nicht mehr bauchfrei gekommen sind, weil sie glauben, dass Schüler*innen denken, dass die Lehrer*innen sie durch eine sexualisierte Linse sehen. Das Verbot ist also auch ungut für sie.
ëres: Was stört Sie an der ganzen Diskussion allgemein?
Dass die Leute diese Debatte vom Sexismus weggelenkt haben, der wurde oft übersehen. Es wurden oft Argumente gebracht, wie eben das mit der Gesundheit, die eigentlich nichts oder wenig zur Sache tun.Und dann stört mich auch noch der Umgang mit uns Jungen generell. Wenn man jung ist, wird man weniger ernst genommen. Da wird oft gesagt, dass wir uns nur gegen dieses Verbot wehren, weil wir stur sind, weil wir in der Pubertät sind, weil wir jung sind. Man kommt nicht auf die Idee, dass wir schon auch mitdenken und eine eigene Meinung haben.
ëres: Wie ist die Stimmung in der Schule jetzt?
Mittlerweile hat sich die Stimmung beruhigt. Das einzige, was man noch macht, sind Witze, wenn jemand bauchfrei kommt. Sowas wie: „Was? Du kommst bauchfrei? Da trag ich dich aber ein!“. Es ist ein „Running Gag“ geworden. Ich gehe fast jeden Tag bauchfrei in die Schule, und es passiert nichts. Es wird auch nicht mehr groß darüber geredet, zum Glück.Marina Dragà