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Age Positivity

// Bettina Conci //
Der Sommer ist da, und mit ihm die leidige Frage nach dem Beach-Dresscode. Dass die sozialen Medien mit ihren omnipräsenten Bildern durchtrainierter, gestylter, gepimpter und notfalls eben gefilterter und retuschierter Körper einen schlechten Einfluss auf junge Menschen ausüben können, ist mittlerweile gemeinhin bekannt. Es wird auch versucht, dem entgegenzuwirken, und „Body Positivity“ ist immer mehr im Kommen. Aber wie sieht es eigentlich bei den Alten aus?
Als unbeliebtester Körperteil, bei welchem durchaus auch ein chirurgischer Eingriff in Erwägung gezogen wird, werden Bauch bzw. Taille genannt. © Fuu J/Unsplash
Heidi Klums immer wieder mal umstrittene – und gerade deswegen erfolgreiche – Fernsehshow „Germany’s next Topmodel“ ist dieses Jahr auch auf den Diversitäts-Zug aufgesprungen, bricht mit herkömmlichen Model-Stereotypen und bietet dem Publikum Frauenkörper in allen Formen, Größen, Farben – und in verschiedenen Stadien körperlichen Verfalls. Dabei fällt auf, dass genau die „Vorzeige-Alte“ Lieselotte die Meinungen spaltet. Zum einen, weil die 66-Jährige eine etwas andere Herangehensweise als ihre Möchtegern-Model-Kolleginnen hat, zum anderen, weil sie mit ihrer koketten Art, mit dem eigenen Alter umzugehen, durchaus polarisiert. Heidi freut‘s, und die interessierte Zuschauerin fragt sich: Was haben wir eigentlich für ein (gestörtes) Verhältnis zu alternden Frauenkörpern? Ist die Ü50-Generation, also die, die garantiert nicht auf TikTok oder Instagram zu finden ist, zufriedener mit ihrem Aussehen, weil der ständige Vergleich fehlt? Was für ein Verhältnis haben wir Frauen überhaupt zu unserem Körper, sobald er nicht mehr als „jung“ durchgeht?
„Frauen gelten schneller als alt“
„Vor dem Hintergrund leistungsgesellschaftlicher Ansprüche mit nahezu skurrilen Idealbildern des Alter(n)s, wird die Entwicklung bzw. Aufrechterhaltung einer positiven Altersidentität zur großen Herausforderung.“ So das Fazit der Autorinnen Alexandra Grillitsch und Brigitte Jenull in ihrem 2015 im Journal für Psychologie erschienenen Artikel „50+ und der Traum vom jugendlichen Aussehen.“

Die Altersforschung unterscheidet zwischen dem 3. Lebensalter, das mittlerweile durchaus positiv besetzt ist (die „agilen Alten“), und dem 4. Lebensalter, die sogenannten „Hochbetagten“ (Ü80), wo es zunehmend zu altersspezifischen Funktionsverlusten kommt: Gesundheits- und Mobilitätsprobleme, Schmerzen, und: das Gefühl, dem Bild jugendlichen Aussehens gerecht werden zu müssen, das die Gesellschaft vor allem von uns Frauen verlangt. Diese geschlechtsspezifischen Vorstellungen davon, wie wir altern (sollen), werden auch von Grillitsch und Jenull thematisiert: „Frauen gelten schneller als alt. Die unterschiedliche soziale bzw. gesellschaftliche Bewertung des Alter(n)s bei Frauen und Männern wird dadurch deutlich, dass Frauen als alt betitelt werden, sobald sie das jugendliche Alter überschritten haben.“
Der doppelte Standard des Alterns
Susan Sontag sprach bereits 1972 vom „Double Standard of Ageing“, dem doppelten Standard, wenn es ums Altern geht: Graues Haar und Falten gelten bei Männern als interessant, bei Frauen als unästhetisch. Während Frauen sich Gedanken darüber machen, ob Bikini oder Badeanzug angebracht sind, ob man die Dellen an den Oberschenkeln mit einem locker an der Hüfte sitzenden Pareo (im Italienischen treffend-uncharmant Copricellulite genannt) verdecken sollte und ob der Busen noch herzeigbar genug ist, um oben ohne am Strand zu liegen, recken Männer munter ihre Wohlstandsbäuche in die Sonne, lassen ihre Man-Boobs baumeln und schwitzen unter ihren Rückenhaarmatten, aus denen sich ganze Pullis stricken ließen, denn der nächste Winter kommt bestimmt.
Der Subjective age bias, also das Gefühl, sich jünger als sein kalendarisches Alter zu fühlen, betrifft beide Geschlechter und nimmt mit steigendem Alter zu. Bei Frauen über 50, so hat die Studie von Grillitsch und Jenull an 99 Teilnehmerinnen ergeben, liegt dieser Unterschied bei elf Jahren. Interessant dabei ist, dass sich diese Frauen zwar jünger fühlen, aber weniger zufrieden mit ihrem Aussehen als ihre jüngeren Geschlechtsgenossinnen sind. Auch ist ein BMI, der in der Norm liegt, nicht immer mit größerem Selbstwertgefühl gleichzusetzen: leicht übergewichtige Frauen, die an der Studie teilnahmen, fanden sich selbst attraktiver als solche mit Normalgewicht.
Gute Aussichten für den Lebensabend
Der weibliche Körper unterliegt schon sehr früh der Bewertung von außen, und zwar oft bereits seitens der Mütter mit deren Einstellung zum Körperbild (die ja auch mittlerweile getrost als überholt betrachtet werden darf), aber auch die Gesellschaft im Allgemeinen definiert Frauen eher über ihr Aussehen als Männer.

Als Trost sei allen Leser*innen mitgegeben: Die Untersuchung einer Stichprobe von über 1.000 Mädchen und Frauen zwischen 14 und 93 Jahren (Pook, Brähler und Tuachen-Caffier, 2009) zeigte, dass Frauen über 65 generell weniger unzufrieden mit ihrer Figur sind als jüngere. Die Körperzufriedenheit von Frauen scheint sich in höheren Lebensjahrzehnten zu verbessern und ab 75 Jahren sogar jener der Männer anzugleichen. Forscher*innen sind sich größtenteils einig, dass Frauen im Alter zu einem positiveren Körperbild finden und ihr Selbstwertgefühl daraus schöpfen.

Ändern können wir den doppelten Standard, wenn es um unsere alternden Leibeshüllen geht, sowieso nur auf eine Art: indem wir uns zeigen, wie wir sind. So natürlich, wie wir möchten (Schönheits-OPs zu verteufeln ist ebenso intolerant wie über Falten und Fett zu meckern), so alt, wie wir sind, und so ver- oder enthüllt wie wir gerade Lust haben. Wir googeln nicht „ab wann kein bikini mehr“ (über 10 Millionen Treffer), sondern halten es mit Marilyn Monroe, die gesagt hat: „Wahre Schönheit und Weiblichkeit sind alterslos."
Schön mit 85: Tante Berta, die stets den Rat ihres Arztes befolgt hat, eine gerade Haltung zu bewahren.

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Kolumne | Zuig, zuig, zuig

// Alexandra Kienzl //
Frauen, die Gatekeeper des Haushalts: Lassen wir kein Zeugs mehr rein
Neulich öffnete ich ein Kästchen um etwas zu verstauen, zweifellos Kinderspielzeug, und ich hätte es besser nicht getan: Mir flutete eine Masse an Firlefanz entgegen, ein Maelstrom aus Bügelperlen, Malbüchern, Puzzleteilen, Bestandteilen irgendwo versickerter Kinderspiele, und vielleicht war sogar das Bernsteinzimmer darunter. Ich schaffte es nicht, die Türen des Kästchens rechtzeitig wieder zu schließen, eine Strategie, die ich offensichtlich in der Vergangenheit erfolgreich angewendet hatte, um das Chaos sowohl räumlich als auch gedanklich zu verdrängen, und so ließ sich der Sauhaufen, der sich vor mir auf den Fußboden ergoß, nicht mehr ignorieren. Ich wollte ihn tapfer beseitigen, Ordnung schaffen, ausmisten, in andere Kästchen räumen, allein: Auch dort wartete es schon auf mich, das Zuig, Zuig, Zuig, und glotzte mich hämisch an. Ätschbätsch, zu spät, schon besetzt.
Wie das passieren kann, ich weiß es nicht. Taschenweise bringe ich Zuig in den Recyclinghof, zum Tauschmarkt, zum Müllcontainer, doch für jeden Bauklotz, der entsorgt wird, kommen ganz magisch zwei neue dazu. Als die alten Griechen die Hydra ersonnen haben, das vielköpfige Ungeheuer, dem die Köpfe immer doppelt nachwachsen, sobald man ihm einen abschlägt, da müssen sie Kinderspielzeug im Sinn gehabt haben. Aber es verhält sich ja nicht nur mit dem Spielzeug so. Wir haben von allem genug, nein: zu viel, und noch mehr. Schränke voller Gewand, Schubladen voller Haargummis, Regale voller Krimskrams, der sich im Laufe der Zeit einschleicht und sich wie ein frecher Hausbesetzer sein Wohnrecht ersitzt. Wobei, ganz so mysteriös gelangt das Zeug gar nicht in unsere vier Wände. An mindestens vier Gelegenheiten im Jahr (Ostern, Allerheiligen, Weihnachten, Geburtstag), spontane Anlässe gar nicht mitgerechnet, bekommt man von wohlmeinenden Verwandten die Frage gestellt: Wos brauchen die Kinder? Nichts, wäre die ehrliche Antwort, und allzu oft haben die Kinder selbst ja auch gar keine Antwort darauf, weil das Bedürfnis danach meist erst in dem Moment geweckt wird, in dem sie des Geschenks ansichtig werden (das wenig später dann unbeachtet in der Ecke liegt, es hatte seine 15 Minuten Ruhm). Trotzdem schenken wir hin und her, wir meinen es ja gut, und es geht ja so schnell, rein in den Laden, greifen, zahlen, einpacken lassen, rumliegen tut es ja dann bei jemand anderem. Sie merken, ich bin kein Fan von materiellen Geschenken. Alles, was ich brauche, kaufe ich mir selbst, alles andere ist bloße Belastung.
Trotzdem bin ich selbst nicht gefeit vor der Einkauferitis. Vor kurzem hat im Einkaufszentrum im Nachbardorf ein Laden aufgemacht, nett anzusehen, in dem man von Pastellfarben eingelullt diabolische Deals eingehen kann: Kinderleibchen um 2 Euro, Plastikspielzeug um 3 Euro, ein Schnäppchenparadies, es gehörte verboten. Frauen mit leuchtenden Augen wandelten, den vollbepackten Warenkorb am Arm, durch die Regale, scheinbar gelassen aber innerlich unter Strom, weil die Hand bald hierhin bald dorthin zuckte: billig! billig! billig! Wenn das billige Spielzeug aber schon den Geist aufgibt, noch bevor es überhaupt Bekanntschaft mit den Kinderhänden gemacht hat, dann war es definitiv zu teuer. Meine drei Euro wanderten also direkt in den Müllcontainer, die Kosten für die Umwelt sind sowieso nicht zu beziffern. Ich müsste es besser wissen, und werde doch immer wieder rückfällig. Manchmal denke ich dann an meine Mutter, die als Kind an Weihnachten Socken und ein paar Orangen bekam. Die Orangen wurden aufgegessen, die Socken waren irgendwann durch, da blieb nix liegen, über das man stolperte und sich logistische Gedanken machen musste. Damals war es Armut, heute könnte Verzicht eine Haltung des Luxus sein, die uns sagen lässt: Ich brauche nicht mehr, ich mache da nicht mehr mit. Freilich, die Kinder hätten keine große Freude mit drei Orangen unterm Tannenbaum, das Geschrei möchte ich mir gar nicht ausmalen, aber insgesamt weniger, bewusster, auch das kann ein Aufbruch sein.