Gewalt: ein Überblick

Wo fängt Gewalt an?

// Maria Pichler //
Drohungen und Demütigungen, Stöße & Tritte, Verbote und Zwänge: Gewalt an Frauen ist eine weitreichende Menschen­rechtsverletzung. Ein Überblick
Stößt, beißt und tritt er dich? Spuckt er dich an? Verbrennt dich mit Zigaretten? Trifft dich mit der Faust, gibt Ohrfeigen? Zerstört er Gegenstände, die dir lieb sind, oder deine wichtigen Dokumente? Raubt er dir deinen Schlaf, verweigert Zugang zu medizinischer Versorgung? Das sind physische Einschüchterungen und Aggressionen gegen dich, deinen Körper und dein Eigentum. Das ist PHYSISCHE GEWALT.

Er kritisiert, demütigt dich? Macht er dich vor anderen lächerlich? Verbietet er dir, deinen Interessen nachzugehen? Droht, dir, deinen Kindern oder deiner Familie Gewalt anzutun? Kontrolliert er dich, dein Handy, deine Post? Verbietet er dir Verwandte und Freunde zu treffen? Das sind respektlose Angriffe gegen deine persönliche Würde. Verhaltensweisen, die das Ziel haben, dir das Gefühl von Unterlegenheit und Abhängigkeit zu vermitteln und dies als „normal/richtig“ scheinen zu lassen. Das ist PSYCHISCHE GEWALT.

Hindert er dich daran, einen Arbeitsplatz zu suchen bzw. diesen zu halten? Verbietet er dir ein eigenes Bankkontokorrent? Schließt er dich von der Verwaltung des Familieneinkommens aus? Kontrolliert er deine Ausgaben? Überhäuft er dich mit Schulden oder Zahlungsverpflichtungen? Weigert er sich den Unterhalt für die Kinder zu zahlen? Diese Formen direkter oder indirekter Kontrolle über deine ökonomische Unabhängigkeit sind ÖKONOMISCHE GEWALT.

Zwingt er dich zum Geschlechtsverkehr? Zwingt er dich pornografisches Material anzuschauen oder zu verwenden? Nötigt er dich zum Geschlechtsverkehr mit Anderen oder vor Anderen? Vergewaltigt er dich oder versucht er dies zu tun?
Jeder Zwang zu sexuellen Handlungen oder Geschlechtsverkehr ohne deine Zustimmung innerhalb oder außerhalb der Beziehung, ist SEXUELLE GEWALT.

Du erhältst ständig Telefonanrufe, SMS, E-Mails, Drohungen und unerwünschte Besuche? Verfolgt er dich? Wartet vor deiner Wohnung oder vor deinem Arbeitsplatz? Holt er Informationen über dich ein? Erscheint an Orten, die du üblicherweise besuchst und du fühlst dich gefangen, wie in einer „Falle“?  Jede Art von Verfolgung und Belästigung, ausgeübt vom Partner/Ex-Partner oder unbekannten Personen, die darauf abzielt, dich ständig in Alarmbereitschaft zu halten und dich psychischem Stress auszusetzen, nennt man STALKING.

Sind deine Kinder Zeugen der Gewalt die du erlebst? Leben sie in einer Atmosphäre der latenten Gewaltbereitschaft, in einem Klima der Unsicherheit, Angst und Bedrohung? Wenn das so ist, sprechen wir von MITERLEBTER GEWALT.
Sie liegt vor, wenn ein minderjähriges Kind innerhalb der Familie Gewalt miterlebt, die gegen Bezugspersonen (Mutter, Vater, Schwester, Bruder usw.) ausgeübt wird. Das Mitsehen und Mithören der Gewalt traumatisiert. Auch ein Vater, der eine überwiegend positive Beziehung zu seinen Kindern hat, aber zugleich seine Partnerin misshandelt, übt psychische Gewalt gegen seine Kinder aus.
Diese (gekürzte) Übersicht stammt aus der Broschüre „Mir zuliebe!“ des Vereins „Donne contro la violenza - Frauen gegen Gewalt“. Dieser führt seit 1993 im Auftrag der Bezirksgemeinschaft Burggrafenamt die Beratungsstelle gegen Gewalt an Frauen in Meran und hat unlängst das 30-jährige Bestehen gefeiert. www.frauengegengewalt.org

Sexualbegleitung

Recht auf Nähe und Intimität für alle

// Heidi Ulm //
Sex ist ein menschliches Grundbedürfnis - unabhängig von einer Behinderung. Manche Menschen brauchen dabei jedoch Unterstützung durch Sexualbegleiter*innen. Nicole, Astrid und Ben gewähren Einblicke in ihre Arbeit.
Sexualbegleitung öffnet keine „triebgesteuerte Büchse der Pandora.“ © Ivan Samkov - pexels
Sexualbegleitung ist ein Angebot, das es etwa in Deutschland und Österreich gibt, in Italien jedoch nicht. Was ist das aber genau? Sexualassistenz oder Sexualbegleitung ist eine sexuelle Dienstleistung für Menschen mit Behinderung. Die Zielgruppe können aber auch Menschen mit psychischen Erkrankungen, ältere Menschen oder Menschen sein, die sich im Umgang mit der eigenen Sexualität schwertun. Die Sexualbegleiterin Ben hat eine schöne Metapher für ihren Beruf gefunden. „Der Begriff Sexualbegleitung zeigt, dass Sexualität eine Reise ist. So wie man sich in einem fremden Land eine*n Fremdenführer*in vielleicht zu Hilfe holt, gibt es das auch für Sexualität.“
Ablauf einer Sexualbegleitung
Die drei österreichischen Sexualbegleiterinnen Nicole, Astrid und Ben schildern einen ähnlichen Ablauf der Treffen. Zuerst gibt es ein Vorgespräch, in dem man sich unverbindlich kennenlernt und Wünsche, Erfahrungen und Erwartungen der Klienten geklärt werden. Danach gibt es ein nächstes Treffen – entweder in einem Hotel, bei den Klienten zuhause oder in ihren Pflegeeinrichtungen. Was dann folgt ist sehr individuell. Das Angebot reicht von der Hilfe bei der sexuellen Befriedigung über Kuscheln bis hin zum Geschlechtsverkehr. Sex kann also Teil eines Treffens sein, steht aber meistens nicht im Fokus. Es geht vor allem um Nähe durch Berührungen. Die oberste Regel ist, dass sich beide Seiten mit den Tätigkeiten wohlfühlen und Grenzen eingehalten werden.
Zwischenmenschlichkeit als oberste Priorität
Die drei Sexualbegleiterinnen nehmen aber nicht jede*n Kund*in an. Nicole erklärt den Grund: „Das hat gar nichts mit dem Schweregrad der Behinderung zu tun, sondern eigentlich mehr mit der zwischenmenschlichen Ebene, die dann vielleicht nicht passt, oder wenn die Vorstellungen von Sexualbegleitung komplett auseinander gehen.“ Alle drei arbeiten auch mit nonverbalen Kund*innen. Nicole findet es sogar spannend, eine gemeinsame Sprache zu finden und sich mit Gebärden, Piktogrammen und Körpersprache zu verständigen. „Jede Person hat ihre Art zu kommunizieren und die lernt man zum Beispiel durch längere Vorgespräche mit Einbeziehung der Umgebung“, erläutert Ben. Astrid betont aber, dass es für sie eine größere Herausforderung ist, die Grenzen von nonverbalen Kund*innen wahrzunehmen. Es gilt: langsames Herantasten.
Tabuisierung und Arbeitsrealität
In der Welt der Sexualbegleitung gibt es auch noch andere Herausforderungen. Ein großer Aspekt ist die gesellschaftliche Tabuisierung von Sexualbegleitung und Sexarbeit im Generellen. Kund*innen und Sexbegleiter*innen sind häufig Stigmatisierung ausgesetzt, die ihre Arbeit erschwert und viele Menschen davon abhält, diese Dienstleistung in Anspruch zu nehmen oder anzubieten.
Nicole unterstreicht die Wichtigkeit einer guten Zusammenarbeit aller beteiligten Personen, beispielsweise wenn Menschen in Einrichtungen leben. Für Astrid ist es entscheidend trotz der erforderlichen Intimität eine angemessene Distanz zu wahren und die eigenen Grenzen zu kennen und zu wahren. Sie erzählt, dass zu einer Sexualbegleitung auch Situationen gehören, die für manche als „ekelig“ empfunden werden könnten. Dabei spricht sie über Kund*innen, die aufgrund von Inkontinenz unabsichtlich urinierten oder sehr viel speicheln. In solchen Situationen ist eine offene Kommunikation unumgänglich.
Erfüllende Momente
Trotz dieser Herausforderungen gibt es auch viele positive Aspekte in der Arbeit als Sexualbegleiter*in. Die Möglichkeit, Menschen auf eine sehr persönliche und verletzliche Weise kennenzulernen und sie auf ihrer Reise zur Entdeckung ihrer eigenen Sexualität zu unterstützen, wird von allen Interviewpartnerinnen als äußerst bereichernd empfunden. Ben, Astrid und Nicole betonen, wie schön es ist, das Selbstbewusstsein und die Lebensqualität ihrer Kund*innen durch ihre Arbeit zu stärken. Darüber hinaus berichtet Astrid, dass sie auch positives Feedback von Betreuungspersonen erhält. Beispielsweise gibt es Klient*innen, die nach der Begleitung besser auf ihre Körperhygiene achten.
Weniger Stigma, mehr Akzeptanz
Eine der zentralen Forderungen der Sexualbegleiterinnen ist die Beseitigung des Stigmas ihres Berufs. Es wird unterstrichen, dass die meisten Sexarbeiter*innen freiwillig arbeiten, was auch gesellschaftlich anerkannt und akzeptiert werden sollte.
Bens Forderung an die Politik ist, dass „Sexualität und die freie Entfaltung als richtiges, zu verteidigendes Recht anerkannt wird.“ Außerdem sollte Sexualbegleitung durch die Krankenkassen bezahlt werden.
Nicole wünscht sich weniger Angst von den An­gehörigen im Umgang mit Sexualbegleitung. Sie öffne keine „triebgesteuerte Büchse der Pandora“, wie viele meinen. Zudem ist es für sie wichtig, die Zielgruppe mehr über Sexualbegleitung aufzuklären, viele wüssten gar nichts von dem Angebot.
Astrid hat hingegen den Wunsch nach einer Harmonisierung der Prostitutionsgesetze in Österreich, da jedes der neun Bundesländer eigene Regelungen hat. Dadurch könnten Hausbesuche für nicht mobile Kund*innen österreichweit ermöglicht werden.


Die Sexualbegleitung ist also nicht nur ein Beruf, sondern ein wichtiger Aspekt der sexuellen Gesundheit und des individuellen Wohlbefindens von Menschen mit Behinderung. Die Ansichten zu diesem vielschichtigen Thema mögen unterschiedlich sein, Abwertung und Diskriminierung sind aber nicht haltbar. Es sollte außer Frage stehen, dass Menschen mit Behinderungen genauso wie Menschen ohne Behinderungen das Verlangen nach Nähe und Intimität sowie das Recht auf Sexualität haben.