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Couch Komfort und Kino Konversationen: Zwischen Klischees und Komplexität

// Kathinka Enderle //
Nachdem wir uns den Film „Miller’s Girl“ im Kino angesehen hatten, versanken meine Freundinnen Chiara, Giulia und ich in ein so tiefes Gespräch, dass wir unsere längst leeren Popcornschachteln gar nicht bemerkten.
© Ava Sol - unsplash
Heilige oder Verführerin?
Als Chiara den Anfang machte, konnte ich nicht anders, als zuzustimmen: „Wisst ihr, der Film war so gar nicht das, was ich erwartet hatte. Er war... besser und tiefgründiger, wenn man darüber nachdenkt.“ Giulia stimmte ihr zu: „Ja, der Trailer war irreführend. Ich dachte, wir kriegen die typische Geschichte von der Studentin, die ihren Professor verführt und alle klischeehaften Dramen, die dazu gehören. Aber der Film hat mich echt zum Grübeln gebracht. Er war bei der Verführung viel mehr involviert, als man zunächst annimmt. Und ja, er hat seine Machtposition definitiv ausgenutzt, ich glaube, das wird oft vergessen. Was meint ihr?“ „Die Beziehungsnuancen zwischen Cairo und Mr. Miller waren wirklich faszinierend“, warf ich ein, während ich über ihre Dynamiken nachdachte. „Er befeuerte all das, was zwischen den beiden passiert ist, definitiv und war gar nicht so sehr das Opfer, das er am Ende zu spielen versuchte. Besonders den Bezug zu seiner Ehe fand ich interessant. Seine Ehefrau wurde als chaotische Schriftstellerin dargestellt, die ihn nicht bemerkt und in ihrer eigenen Welt lebt. Ich las online oft, dass manche ihn als Opfer sehen und sie als die Schuldige. Aber es ist doch absurd, dass der Frau so oft die Schuld zugeschoben wird. Einerseits war seine Ehefrau die Schuldige, weil er aus seiner Ehe flüchten musste, andererseits wurde aber auch Cairo, die Studentin, schuldig gesprochen, weil sie ihm den Ehebruch ermöglichte. Er wäre immer das Opfer. Das zeigt für mich, dass Sexualität und Lust immer noch Themen sind, bei denen die Frau oftmals in Schubladen gesteckt wird. Mal sind wir zu prüde, mal verrucht, mal die Heilige, mal die Hure… Da soll man sich noch auskennen.“ Giulia fügte nachdenklich hinzu: „Es ist frustrierend, wie Frauen immer noch in stereotypen Rollen feststecken. Ich wünschte, man würde Frauen das Recht auf eigene Wünsche und Bedürfnisse zusprechen, ohne sofort zu urteilen.“
Wenn Fremde urteilen
Giulia erzählte von einer unangenehmen Erfahrung: „Letztens waren meine Freunde und ich gemütlich alle zusammen ein paar Drinks genießen. Da im Lokal recht wenig los war, hat sich eine andere Gruppe zu uns gesellt, die wir nicht kannten. Irgendwann erzählte eine meiner Freundinnen einigen unserer Gruppe von ihrem letzten Date, das mit einer heißen Nacht endete“, dabei wackelte sie lachend mit ihren Augenbrauen. „Wir haben uns für sie gefreut, aber die andere Gruppe konnte ihre Kommentare nicht für sich behalten. Meine Freunde sind offen und unterstützend, aber die Negativität der anderen hat die Stimmung gedämpft. Wir haben sie dann höflich gebeten zu gehen, bevor noch schlimmere Kommentare fallen. Dass das ein ‚billiges‘ Verhalten sei, war dabei noch eine nette Aussage…“ „Und wie geht es deiner Freundin jetzt damit?“, fragte ich neugierig. „Sie war natürlich geschockt, aber sie lässt sich davon nicht unterkriegen“, erzählte Giulia. Chiara fügte hinzu: „Es ist wirklich lächerlich, wie manche immer noch so engstirnig denken. Es ist doch die Entscheidung von jedem selbst, wie man das eigene Leben gestaltet. Manche scheinen noch im Steinzeitalter zu leben – oder sich zumindest so zu verhalten.“
Tragen wir noch immer ein Korsett?
Giulia nickte zustimmend und fügte mit einem Augenzwinkern hinzu: „Frauen werden immer noch in ein Korsett aus Erwartungen und Vorurteilen gestopft, besonders wenn es um ihre Sexualität geht. Ich meine, es ist 2024 und ich kann das nicht oft genug sagen, aber wir sollten doch weiter sein! Diese Doppelmoral ist noch so 19. Jahrhundert. Ich hoffe, dass Frauen irgendwann ungestört ermutigt sind, eigene Entscheidungen zu treffen, ohne sich ständig erklären zu müssen oder Sprüche zu ernten.“ Ich nickte eifrig und dachte an meine eigenen Momente, in denen ich das Gefühl hatte, meine Entscheidungen vor anderen verteidigen zu müssen, als ob ich Rechenschaft schuldete für das, was ich mit meinem Leben anstelle.
Eine Ode an den Käfer im Film
„Ist euch der glänzende Käfer im Film aufgefallen? Der wurde immer wieder gezeigt. Ihr wisst ja, dass ich gerade meine spirituelle Ader suche", begann Chiara mit einem schelmischen Funkeln in den Augen. „Der Käfer durchläuft laut Google verschiedene Lebensstadien, bis er zum fliegenden Insekt wird. Das wird als Spiegel des menschlichen Wandels interpretiert. Ich finde das passend. Sein Panzer war strahlend, und eigentlich ist sicher und einvernehmlich ausgelebte Sexualität auch etwas, das strahlen darf, aber trotzdem teilweise als etwas Hässliches wahrgenommen wird – wie ein Käfer." Giulia und ich grinsten. „Ich wünsche Frauen auch einen Wandel. Von den Tagen der Schuldzuweisungen und Verurteilungen, die wir Frauen in der Geschichte erlebten, bis hin zur Freiheit“, warf ich ein. „Ich sehe schon die Schlagzeile: Der Wandel von Frau zur fliegenden Göttin!“, lachte Giulia.
Fliegen lernen: Von Kokons zu Schmetterlingen
Wir grinsten über die Vorstellung, wie sich Frauen metaphorisch aus ihren eigenen und auferlegten Kokons befreien und wie strahlende Schmetterlinge durch das Leben flattern, frei von den Fesseln der Vergangenheit und Gesellschaft. Es war ein amüsanter Gedanke, aber mit einem Funken Wahrheit, der uns daran erinnerte, dass Veränderung möglich ist, wenn wir weiter danach streben. Was uns mehr begeisterte, der Film oder das Gespräch und dessen Wandlung, überlassen wir Ihnen.

Sex Positivity, SafeR Spaces und Awareness

„Die eigenen Fantasien ausdrücken“

// Hannah Lechner //
Seit fast drei Jahren macht Lauli Awareness-Arbeit in Clubs und auf anderen Veranstaltungen des Wiener Nachtlebens. Aktuell ist sie Teil der Awareness AG des Vereins hausgemacht und als „Hüterin des SafeR Space“ unter anderem auf dessen Sex Positive-Partys unterwegs. Was Sex Positivity bedeutet, was sie mit Respekt, Selbstakzeptanz und dem Aufbrechen von Normen zu tun hat und wie Partys als sichere Räume gestaltet werden können.
© Elisabeth Prast – hausgemacht
Erst mal: Wer ist hausgemacht, was macht ihr so und was macht euch aus?
hausgemacht ist ein basisdemokratischer und gemeinnütziger Kunst- und Kulturverein, der seit fast zehn Jahren das Nachtleben in Wien prägt. Wir sind feministisch, anti-rassistisch, gegen jegliche Form der Diskriminierung von LGBTQIA+-Personen und zelebrieren Körperakzeptanz. Die Musik unseres Herzens ist Techno und alle Spielarten davon, wir fördern auf unseren Events gerne lokale Kunstschaffende, die unsere Werte teilen, unterstützen und leben. Zu unserem Repertoire gehören Techno-Partys, aber auch Body-Neutrality sowie Sexpositive-Partys, bei denen das Augenmerk aber ebenfalls auf der Musik und dem Tanzen liegt. Und auf all diesen Partys sind stets mehrere Awareness-Teams mit Lichterketten unterwegs, als Hüter*innen des SafeR Space.


Du bist auch Teil dieser Teams, organisierst sie teilweise mit und schulst neue Menschen ein. Was bedeutet Awareness und wie sieht eure Arbeit aus?
Awareness steht für Aufmerksamkeit. Wir als Awareness-Team sind der glitzernde Mörtel zwischen dem Club, der den Rahmen für die Veranstaltung darstellt, und den Gästen, die diesen Rahmen durch ihre Emotionen befüllen – so hat es ein Kollege mal treffend ausgedrückt. Wir sind da, um zu informieren, sowohl Gäste als auch Clubpersonal. Wir machen auf Dinge aufmerksam und verkörpern den Geist des Miteinanders – einerseits durch aktives Ansprechen, aber auch einfach nur, indem wir da sind und durch Lichterketten für alle eindeutig als Awareness-Team erkennbar. Mich erfüllt Awareness immens, die Party und die Atmosphäre aktiv mitgestalten zu können und zu schauen, dass sich alle wohlfühlen. Natürlich gibt es auch herausfordernde Situationen – besonders wenn bei den Gäst*innen viel Alkohol oder andere Substanzen im Spiel sind. Um genau in solchen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren, ist es wichtig, selbst nüchtern zu sein und zu wissen, wieviel allein schaffbar ist und wann es Zeit ist, die Verantwortung abzugeben und Sanitäter*innen oder Securities zu holen.


Was sind Safe(R) Spaces und was für Räume wollt ihr mit euren Partys schaffen?
Ein „Safe Space“ ist ein sozialer Raum, in dem sich marginalisierte und diskriminierte Gruppen frei bewegen können und keiner Ausgrenzung ausgesetzt sind. Dabei handelt es sich um ein theoretisches Konstrukt, in dem sämtliche Trigger ausgeschlossen werden und alle Beteiligten ihre Individualität ausleben können, ohne Einschränkung durch andere zu erleben oder andere einzuschränken. Dieser Idealzustand ist leider aufgrund vieler komplexer Faktoren kaum umzusetzen, weshalb wir bewusst von „SafeR Spaces“ (Deutsch: SichererER Raum) sprechen – um darauf hinzuweisen, dass am Erreichen des Ideals gearbeitet wird, dieses jedoch nicht garantiert werden kann, sondern nur ein Kontext, der möglichst nahe rankommt. Wir wollen, dass unsere Partys ein sicherer Ort für alle sind. Grenzüberschreitendes oder übergriffiges Verhalten, Diskriminierung, (sexualisierte) Gewalt etc. haben bei uns nichts zu suchen, sind jedoch in der Realität für viele Personen (vor allem FLINTA*s, queere Personen, BIPoC etc.) ein großes Problem beim Fortgehen. Menschen, die unsere Partys besuchen, sollen einen verantwortungsvollen und respektvollen Umgang miteinander lernen und leben. Awareness und das Fragen nach Consent (Deutsch: Zustimmung, Einwilligung) sollen selbstverständlich werden – nur ein JA ist ein JA! – und abseits vom Clubleben auch in den Alltag übergehen.


Wie kann man sich Body Neutrality und Sexpositive-Partys denn jetzt konkret vorstellen?
Sex-Positivität bedeutet, alle konsensuellen sexuellen Aktivitäten als positiv zu betrachten, sie steht für eine sinnvolle und umfassende Aufklärung zu Konsens, Sex und Safer Sex und für einen respektvollen Umgang mit sich selbst, anderen und unseren Körpern. Mit unseren Partys wollen wir nicht nur einen Platz zum Feiern schaffen, sondern eben auch einen solchen Platz der Freiheit und Entfaltung. Alles kann, nichts muss. Sexuelle Handlungen sind fast überall auf der Party erlaubt, es gibt ein paar gekennzeichnete Sex-freie Zonen, wie z.B. die Toiletten. Sex ist aber nicht das zentrale Thema der Party, sondern die Musik und das Tanzen. Unsere Partys sind keine Swinger-Partys – wer nur für Sex kommt, kommt nicht rein. Außerdem gibt es einen Dresscode für Outfits, aber ohne genauen Leitfaden mit konkreten Dresscode-Geboten. Was immer geht, sind knappe, freizügige und durchdachte Outfits. Body Neutrality-Partys (Deutsch: Körper-Neutralität) sind perfekte Einsteigerpartys für Menschis, die Interesse an Sexpositive-Partys haben, aber erst mit dem Konzept „kinky“1 in Berührung kommen wollen. Auf diesen Partys stehen Selbstbestimmung und Körperrespekt, Selbstakzeptanz und das Feiern von Vielfältigkeit im Mittelpunkt. Sexuelle Handlungen sind nur im Darkroom (Deutsch: abgedunkelter Raum) erlaubt. Man kann sich outfittechnisch ausprobieren, es muss schon freizügiger sein, aber wir sind nicht so streng wie bei Sexpos. Es geht uns außerdem nicht darum, dass unsere Gäst*innen in den nächsten Sexshop laufen und sich mit fetish-wear (Deutsch: Fetisch-Bekleidung) eindecken, die sie vielleicht nicht fühlen, sondern vielmehr darum, dass das gewählte Outfit das sexuelle Wesen der Menschis unterstreicht und auch streichelt.
Viele tragen auch Dinge, die sie sich nicht trauen würden, öffentlich zu tragen – z.B. cis-Männer Röcke und Make-Up. Kreativität und Konzept sind sehr gerne gesehen – ein Stofftuch aus der hintersten Ecke des eigenen Kleiderschrankes als Rock, Leinen aus dem Tierfachgeschäft, Fake-Blumen aus dem Blumenladen?


Was für eine Rolle spielt Selektion vor den Partys und am Eingang für euer Konzept des sicheren und respektvollen Feierns?
Um die Gäst*innen schon im Vorfeld der Partys zu sensibilisieren, betreiben wir auf dem hausgemacht Instagram und auf unserer Website Aufklärung, etwa bezüglich unserem Konzept von SafeR Spaces, Feminismus und Consent. Bei Sexpositive-Partys wird, bevor man eine Karte kaufen kann, durch einen Fragebogen das Wissen geprüft, von dem wir denken, dass es bei allen Gäst*innen erforderlich ist, damit der Raum entsteht, den wir uns vorstellen. Außerdem muss ein kurzer Text verfasst werden – all diese Texte lesen wir uns durch, bevor wir Tickets freigeben. Zusätzlich selektieren wir sehr streng an der Tür. Selektion am Eingang ist für die Errichtung eines SafeR Space grundlegend erforderlich – schon allein, damit keine Personen auf die Party kommen, die schon so betrunken sind, dass sie die Grenzen anderer und auch die eigenen nicht mehr wahren können. An der Tür stellen wir außerdem nochmal Fragen zu unseren Werten und führen einen Vibe-Check durch, damit wir ganz sicher sind, dass nur Menschis auf die Party kommen, die den Raum auch bereichern und dazu beitragen, dass ein SafeR Space entsteht. Für Leute, die sich vorbereiten und unsere Werte leben, sollte dies aber kein allzu großes Hindernis sein. Im Inneren der Party gibt’s dann noch das schon erwähnte Awareness-Team, das dafür sorgt, dass der SafeR Space gewahrt wird und im Austausch mit Besuchenden und den Mitarbeitenden wie Securities oder Barleuten steht. All das ist sehr viel Aufwand, aber bei jeder Party merke ich wieder: Es hat sich gelohnt, hier fühl ich mich wohl und sicher! Und von unseren Gäst*innen bekommen wir dieselbe Rückmeldung.


Und zum Abschluss: Was bedeutet Sex Positivity für dich?
Sex Positivity bedeutet für mich Selbstakzeptanz, Offenheit, Neugierde, Respekt für die Grenzen der anderen und die eigenen, Akzeptanz, ein Raum zum Ausprobieren und Entdecken, das Aufbrechen patriarchaler und heterosexueller Normen, das Zelebrieren menschlicher Verbindungen sexueller, freundschaftlicher oder romantischer Natur, offene Kommunikation, Reflektion und natürlich auch das Erkunden und Zelebrieren von Sexualität und Fantasien. Ich liebe es, mich in Schale zu werfen und mein Inneres und meine Fantasien durch konzeptuelle, teils selbstgemachte Outfits und buntes Make-Up auszudrücken. Und mich schön, queer und sexy zu fühlen, und zwar nur für mich selbst.

1: „kinky“ wird oft verwendet, um sexuelle Praktiken zu beschreiben, die sich außerhalb des ‚konventionellen (und oft stark normativen) gesellschaftlichen Rahmens bewegen, wie z.B. Fetische, BDSM oder Rollenspiele.
Lauli