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Musical und patriarchale Gewalt

// Hannah Lechner //
Ein Spiel mit Regieentscheidungen
© Adobe Stock
Vor kurzem habe ich im Wiener Raimund Theater Das Phantom der Oper gesehen. In der Geschichte wird die junge Sängerin Christine gewissermaßen besessen vom Operngeist, der in deren Kellern haust. Es ist eine Geschichte, die – auch in der 2024 in Wien aufgeführten Fassung – patriarchale Gewalt erzählt und legitimiert. Dieser Text ist ein Spiel mit fiktiven Regieentscheidungen, die sich gegen eine solche gewaltvolle Welt wenden und ein Alternativszenario vorschlagen.
Ich liebe Musical: opulente Bühnenbilder und Kostüme, beeindruckende Massenszenen und Tanzchoreografien, die Art des Gesangs. Immer wieder kaufe ich mir Tickets für Wiens Musicalhäuser – und immer öfter verlasse ich sie mit Bauchschmerzen. Je älter ich werde, desto mehr hadere ich mit dem in meinen Augen in vielerlei Hinsicht notorisch unkritischen Genre. Keine einzige Geschichte halte ich mehr aus, denke ich dann, die unkommentiert auf die Bühne bringt, wogegen Feminismus in all seinen Ausprägungen steht, und bin für eine Weile von meiner Musical-Begeisterung geheilt – seit dem Phantom der Oper vielleicht ganz. Das Musical wurde in den 1980ern von Andrew Lloyd Webber und Richard Stilgoe geschrieben, die zugrundeliegende Romanvorlage stammt aus dem Jahr 1911. Aktuell ist in Wien eine völlig neue Inszenierung zu sehen, die auf der Webseite des Raimund Theaters als „außergewöhnlicher Musical-Abend voller großer Emotionen, unsterblicher Liebe und packender Leidenschaft“ beworben wird. Gibt man sich während der Vorstellung aber nicht allein dem künstlerischen Können der Darsteller*innen und der imposanten Bühnentechnik hin und schaltet sein Hirn sonst völlig aus, ist, was sich auf der Bühne abspielt, schwer auszuhalten.
Frustriert verlasse ich das Raimund Theater, die Bauchschmerzen sind diesmal besonders stark.
Die Geschichte des Phantoms der Oper spielt in der Pariser Opéra Garnier in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Hauptfiguren sind drei: Christine, deren herausragendes Gesangstalent sich herausstellt, als die Sopran-Solistin kurz vor einer Aufführung ausfällt, und die so unerwarteterweise vom unsichtbaren Ensemblemitglied des Opernballetts zum gefeierten Star wird. Raoul, der Sohn einer französischen Adelsfamilie und Christines Jugendfreund – als die beiden sich an der Oper wiedertreffen, verlieben sie sich erneut ineinander. Und der Operngeist, der in den dunklen Kellern des Opernhauses Schutz vor einer grausamen Gesellschaft gefunden hat, die ihn zum Freak gemacht, gedemütigt und ausgegrenzt hat: Er ist ein Musikgenie, aber von Geburt an schwer ‚entstellt‘. Anstelle des Nasenflügels klafft auf der rechten Hälfte seines Gesichts ein Loch, Narben ziehen sich über die Wange, die wenigen Haare stehen büschelhaft vom Kopf ab. All das bedeckt das Phantom mit einer Maske und zieht vom Keller aus die Fäden des Operngeschehens. So wird bald klar, dass auch hinter Christines Singstimme nicht etwa ihr eigenes Können steht, sondern das Schaffen ihres ominösen „Lehrers“, der sie aus den Tiefen der Gewölbe heraus anleitet, indem er zu ihr spricht und sie für sich singen lässt. Christine glaubt, in der Stimme des Phantoms den „Engel der Lieder“ gefunden zu haben. Denn einen solchen hatte ihr bereits verstorbener Vater kurz vor seinem Tod versprochen, zu ihr zu schicken, um sie im Gesang zu unterrichten. Sie entwickelt eine gewisse Obsession für die Stimme des Phantoms, dessen Obsession für Christine ist von Anfang an klar. Raoul wiederum will Christine, das „hilflose Kind“, vor dem Phantom retten und ersetzt damit die vielvermisste und immer wieder um Schutz und Führung angeflehte Vaterfigur. Die Bühne für ein grausames Machtspiel, das Christine zum Spielball der männlichen Charaktere werden lässt, steht.
Szene, eine der ersten: Christine und Raoul treffen sich nach vielen Jahren in Christines Opern-Garderobe wieder, checken quasi die erwachsene Version des jeweils anderen aus – „lange her … so jung und scheu war‘n ich und sie“ – und sind von dieser offensichtlich angetan. Raoul fragt Christine, ob sie mit ihm Essen gehen will – ein klassischer Datingkontext. Aber Christine zögert, es scheint, als stünde ihr nicht frei, zu entscheiden. Der Engel der Lieder, den sie zu diesem Zeitpunkt noch nie gesehen hat und nur in der körperlosen Version einer sie irgendwie anleitende Stimme kennt, sei „sehr streng“, sagt sie. Doch Raoul besteht aufs Date, er verlässt die Garderobe mit dem Versprechen, sie später abzuholen. Und da tickt der Engel der Lieder durch und verlässt, getrieben von der Vorstellung, das Objekt seiner Begierde könnte mit wem anderen ausgehen, zum ersten Mal sein Versteck. Er erscheint, ziemlich dramatisch durch den Garderobenspiegel, in Christines Zimmer, nimmt sie ein mit seiner dunklen Macht, zieht sie, scheinbar willenlos ausgeliefert, an – und entführt sie schließlich. Hinab in die Dunkelheit der Kellergewölbe, wo Christine irgendwann das Bewusstsein verliert und das Phantom sie, ausgeknockt und damit wehrlos, auf sein Bett legt.
Und Alternativszene.
Könnte ich hier entscheiden, würde Christine in ihrer Garderobe sagen: „Mit Macht zu spielen und sich vom ‚Dunklen‘ angezogen zu fühlen, ist in Rollenspielen okay – vielleicht steh ich da ja auf Unterwerfung! Im echten Leben jedenfalls nicht. Und jetzt verpiss dich mit deinen Ko-Tropfen und geh diesmal durch die Tür, statt durch den Spiegel einzubrechen. Ich habe heute noch was vor.“ Das Date mit Raoul verläuft gut, sie teilen sich sogar den Nachtisch. Und falls sie dann beide Bock drauf haben, gehen sie zusammen nach Hause und haben einvernehmlichen Sex. Vielleicht kinky, vielleicht auch nicht – sie fragen sich ganz einfach nach ihren Vorlieben. Vielleicht bleibts beim One-Night-Stand, vielleicht auch nicht. Wer weiß das schon nach dem ersten Date.

Was auf der Musicalbühne aber stattdessen passiert: Christine wacht irgendwann im Bett des Phantoms auf. Während dieses komponierend an der Orgel sitzt und das Publikum von der Inszenierung seines tragischen Genies eingelullt wird, schleicht sich Christine von hinten heran und reist ihm die Maske vom Gesicht. Und da tickt das Phantom zum zweiten Mal aus. Er schreit sie an, stößt sie zu Boden, nennt sie einen „Dämon“ und eine „kleine Hexe.“ Droht ihr damit, sie jetzt, wo sie ihn entblößt und seine Verletzlichkeit sichtbar gemacht hat, „nie wieder geh’n zu lassen.“ Die Maske des Phantoms wird im Stück zum Symbol für dessen Trauma durch Ausgrenzung und ein Leben im Schatten. Und das Trauma wiederum zur Legitimation für sein Verhalten. Auf Wikipedia wird diese Szene als „Wutausbruch“ bezeichnet, nach dem sich das Phantom aber „reumütig“ zeigt und „klagt, dass es sich doch nichts weiter wünsche, als von Christine ebenfalls geliebt zu werden.“ Die liegt immer noch am Boden.
Eine Regiemeldung.
Könnte ich hier entscheiden, müsste jetzt durch die Lautsprecher ertönen: „Was Sie gerade erlebt haben, sind Formen körperlicher, verbaler und psychischer Gewalt. Das Phantom ist selbst ein Opfer gesellschaftlicher Strukturen, aber
Hier ist ein grober Fehler unterlaufen. Das Stück muss an dieser Stelle leider unterbrochen werden.“
Was aber stattdessen passiert: Das Phantom bringt Christine schließlich zurück an die Oberfläche. Es schreibt im weiteren Verlauf der Geschichte selbst eine Oper und verlangt in immer drohender werdenden Briefen an die Operndirektion, dass sein Stück aufgeführt und die weibliche Hauptrolle mit Christine besetzt wird, die inzwischen mit Raoul liiert ist. Christine sagt mehrmals Nein, sie wolle den Part nicht singen. Aber ihr Nein wird nicht gehört. Raoul und die Operndirektoren haben vielmehr einen anderen Plan, in dem Christine die Rolle der Beute einnimmt: Davon ausgehend, dass das Phantom anwesend sein würde, wenn sie singt, wollen sie es am Abend der Premiere in die Falle locken und töten. Dieser Plan geht allerdings nicht auf – anstatt sich fangen zu lassen, bringt das Phantom kurzerhand selbst den männlichen Hauptdarsteller um, übernimmt dessen Part und entführt Christine am Ende eines dramatischen Duetts zum zweiten Mal in die Katakomben des Opernhauses. Dass der Akt des für und mit jemandem Singens im ganzen Stück eine Metapher für Sex ist, wird spätestens klar, als das Phantom davon spricht, dass es aufgrund seines Aussehens nie „fleischliche Freude“ erlebt hat und sich die nun von Christine holt. Als auch noch Raoul im Keller auftaucht, erpresst das Phantom Christine und stellt sie vor eine grausame Wahl. Es droht ihr damit, Raoul umzubringen, wenn sie sich nicht opfert und einwilligt, den Rest ihres Lebens mit ihm zu verbringen: „Kauf seine Freiheit mit deiner Liebe.“
Die Darstellung der als Romantik geframten sexualisierten Gewalt ist an dieser Stelle kaum noch auszuhalten. Und die Stimme der Christine-Parallelversion in meinem Kopf schreit: „Du hast eine ganze Oper geschrieben, um Macht über mich auszuüben und mich dazu zu zwingen, mit dir zu schlafen? Das ist so unglaublich gestört! Obsession und Stalking sind nicht sexy. Entführungen und Morddrohungen sind kein Ausdruck von Liebe. Ich werde dich jetzt anzeigen. Und du solltest in Therapie gehen!“
Stattdessen aber kriegt Christine im Stück einen Anflug von Mitleid. Und in diesem geht sie auf das Phantom zu, umarmt es und küsst es auf den Mund. Und so wird das Phantom gerettet: Christines unglaubliche Geduld, ihre grenzenlose Empathie und aufopfernde Liebe bezwingen das Dunkel in seiner traumatisierten Seele. Es erlaubt Raoul schließlich, zu gehen und Christine mitzunehmen – „nimm sie“ – während es sich selbst auf wundersame Weise in Luft auflöst.

Mir ist übel, als ich das Theater verlasse. Und mein Entsetzen steht in bizarrem Kontrast zu den begeisterten Gesichtern der Besucher*innen, die am Hintereingang Schlange stehen, um sich ein Autogramm der – ohne Zweifel ganz unglaublich grandiosen – Darsteller*innen abzuholen. Aber die Geschichte sei ja nicht echt, sagt meine Mutter, als ich meinem Unmut Luft mache (und mich ein bisschen schlecht dabei fühle, weil meine mich besuchenden Eltern die Eintrittskarten bezahlt haben). Nein, sage ich. Aber sie erzählt – verpackt in Metaphern und Fiktion – die patriarchale Gewalt des echten Lebens und verkauft diese als emotionalen Musical-Abend, der von Liebe und Leidenschaft handelt. Männer haben über Jahr­hunderte ein System erschaffen, das Frauen und Queers ihrer Macht unterwirft – in Form von Ehegesetzen, vom Ausschluss aus großen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, vom Verbot, über den eigenen Körper zu bestimmen. Eine sorgfältig geschriebene patriarchale Partitur, die aktuell ein besorgniserregendes Revival in TikTok-Blasen toxischer Männlichkeit erlebt. Die Übelkeit lässt auch am Nachhauseweg nicht nach. Dieser Text ist mein Kotzkübel.
Das Phantom erscheint – ziemlich dramatisch durch den Garderobenspiegel – in Christines Zimmer ... © VBW Deen van meer
... und entführt sie. Weil sie mit Raoul ausgehen wollte. © VBW Deen van meer
„Wutausbruch“ © VBW Deen van meer
Für jemanden zu singen wird im Stück zur Metapher für Sex. © VBW Deen van meer

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In precario equilibrio

// Tilia //
Tra lavoro e famiglia
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Se dovessi pensare al significato della parola ‘equilibrista’, sicuramente mi porterebbe a pensare a me come madre (di tre figli) e alle madri di questo Paese. Siamo, infatti, in tante che ogni giorno proviamo a eseguire esercizi di equilibrio o a destreggiarci nelle pratiche sociali. Ormai da qualche tempo, mi sono resa conto che il nostro ‘ Non è un Paese per madri’. È quello che emerge non certo solo dalla mia esperienza personale ma da molti rapporti, per esempio come quello di Save the Children sulla maternità in Italia pubblicato a maggio 2024, dove la situazione di chi decide di avere un figlio e di proseguire il lavoro non migliora le proprie condizioni, anzi obbliga e trasforma la madre in una vera eroina. Potrebbero anche bastare il titolo, Le equilibriste, appunto, e i nomi di alcuni capitoli come “Lo svantaggio delle mamme”, “Divento mamma, quindi mi dimetto”, “Chiediamo asilo!” per dare un’idea delle questioni brucianti sul tema trattate nel rapporto.

Conciliare la vita familiare con quella lavorativa per le mamme (e i papà) è molto spesso faticoso. Le donne sono, però, quelle che subiscono di più questo disequilibrio. Esempio classico che sarà capitato a molte mamme lavoratrici. Alla notizia della partenza per una trasferta di lavoro di tre giorni, succede questo: le nonne si sono profuse prima in manifestazioni di stupore e poi in offerte di aiuto. “Ma sei sicura? Ma devi proprio andare? Ah, ho capito…. Beh, se serve posso venire la mattina molto presto, così aiuto Marco. Posso fare la spesa, far trovare la cena pronta… Posso fare io il bagno a Nina, così Marco quando torna a casa non deve fare nulla. Posso portare io Filippo all’asilo, così Marco può stare tranquillo” – eccetera, eccetera. Ora, io dico: perché diamo per scontato che 362 giorni l’anno la mamma possa occuparsi da sola di Nina, Filippo/casa/ufficio, e che Marco non possa fare altrettanto per TRE giorni soli? Nella nostra società è diffusa l’idea che la madre sia in grado di fare tutto, l’uomo no. E pensare che le offerte di aiuto sono arrivate al “povero” Marco, ancora prima che abbia avuto modo di chiederlo davvero, un aiuto. Non solo la disparità nel carico di cura tra madri e padri, anche la difficoltà pratica di sopperire alle esigenze domestiche e lavorative contemporaneamente, le discriminazioni sul lavoro sono alcune delle ragioni che portano una madre a rinunciare al lavoro per riuscire a portare avanti il desiderio di avere una famiglia. La legislazione prevede alcuni strumenti per conciliare vita lavorativa e familiare (smartworking, gli assegni per i figli a carico, bonus asilo nido e così via), ma nonostante ciò c’è ancora molta strada da fare. Siamo ancora lontani da un modello virtuoso che renda la maternità una risorsa piuttosto che un impedimento. Serve un impegno collettivo delle istituzioni e di tutti i soggetti coinvolti per permettere alle mamme di vivere la gioia della maternità senza rinunciare alla propria vita professionale e sociale.