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Angst vor der nächsten Absage

// Heidi Ulm //
Unsichtbare Barrieren für Menschen mit Behinderung
© Henry Co - unsplash
Viele Menschen mit Behinderungen (MmB) stehen bei ihrer Arbeitssuche vor einer Mauer aus Ablehnung und Vorurteilen. Das ist oft entmutigend und belastend für die Betroffenen. Meine eigenen Erfahrungen zeigen, wie groß die Herausforderungen sind.
Nach einem sehr guten Schulabschluss fand ich in einer aufstrebenden Südtiroler Firma, die Elektroladesäulen herstellt, einen wirklich guten Arbeitgeber. Später nahm ich ein Studium auf, doch nach meinem Abschluss begann die eigentliche Odyssee der Arbeitssuche. Das für mich eindringlichste Ereignis war ein Bewerbungsgespräch in einem Bozner Hotel. Der Chef sprach offen über seine Bedenken. Er hätte Angst ob die Kundschaft meinen fehlenden Arm gut aufnehmen würde, aber mit Blazer und hinter der Rezeption, sähe man es hoffentlich nicht. Zum Schluss gab es neben seinen ableistischen Sätzen noch eine rassistische Bemerkung. Lieber als eine Ausländerin nehme er dann doch eine behinderte Einheimische. Fassungslos lehnte ich die Stelle mit einer anschließenden Erklärungsemail ab. Eine Antwort oder Entschuldigung fehlt bis heute.

Magdalena Oberrauch, Direktorin des Landesamts für Arbeitsmarktintegration, möchte solchen Situationen entgegenwirken und schildert in einem Gespräch, wie Menschen mit Behinderung beim Einstieg in den Arbeitsmarkt unterstützt werden und welche Herausforderungen dabei zu bewältigen sind.

Zwei Gesichter des Arbeitsmarktes
Auf die Eingangsfrage zur allgemeinen Einschätzung der Situation auf dem Arbeitsmarkt für MmB erklärt Oberrauch, dass dieser derzeit von zwei Entwicklungen geprägt ist: Auf der einen Seite eröffnet der Personalmangel neue Chancen für MmB. Immer mehr Betriebe erkennen, dass die Integration von Menschen aus Minderheiten viele Vorteile hat. Auf der anderen Seite wird die Arbeitswelt zunehmend komplexer und einfache Tätigkeiten, die oft von MmB ausgeübt wurden, verschwinden. Beispielsweise Berufsbilder wie das des Portiers sind heute fast ausgestorben. Die Folge: Eine Gruppe von Menschen ist schwierig zu vermitteln. „Das sind ältere Personen, die zwanzig Jahre in einem Beruf waren, einen Handwerksberuf ausgeübt haben und das nicht mehr können, aber gleichzeitig auch keine Computerkenntnisse haben oder nicht zweisprachig sind“, gibt die Amtsdirektorin offen zu.

Bürokratische Hürden und Wartezeiten
„Wir haben circa 3.000 offene Stellen auf 400 Menschen, die in unseren Listen eingetragen sind“, schildert Oberrauch. Diese Zahlen lassen eine gute Situation vermuten, aber spiegeln sie die Realität wieder? Die Amtsdirektorin klärt auf, dass sich nicht jede*r in den Listen des Amtes für Arbeitsmarktintegration eintragen kann und es ein bürokratischer und zeitlicher Aufwand ist. Die erste Voraussetzung ist eine anerkannte Zivilinvalidität. Die zweite Voraussetzung ist die Einschätzung einer (Rest)Arbeitsfähigkeit vonseiten einer Ärztekommission. Dieser Prozess kann mehrere Monate dauern. Und ich kann aus eigener Erfahrung bestätigen: Das ist für viele bereits die erste große Hürde. Das lange Warten und die damit verbundene Arbeitslosigkeit... (wie die anderen Meinungen...) danke!

Vom Schulabschluss ins Berufsleben
Um diese Problematik abzumildern, legt das Amt für Arbeitsmarktintegration einen besonderen Fokus auf den Übergang von der Schule ins Berufsleben. Nach der Schule können Arbeitseingliederungsprojekte beginnen, ohne dass die jungen Menschen sofort durch die Ärztekommission müssen. Diese Projekte, die bis zu zwei Jahre dauern können, sollen den Jugendlichen helfen, ihre Talente zu entwickeln und sich auf den ersten Arbeitsmarkt vorzubereiten. „Zwar sind diese Personen nur über Projekte beschäftigt, aber wenn sie gleich in die Kommission gehen, ohne erst Erfahrungen gemacht zu haben, kann es zu Fehleinschätzungen kommen", erläutert Oberrauch.

Gesetzliche Vorgaben und fehlende Sanktionen
Das italienische Gesetz 68/1999 schreibt vor, dass Unternehmen mit mindestens 15 Mitarbeitenden eine Person mit Behinderung einstellen müssen. Bei Unternehmen mit 35 bis 50 Mitarbeitenden sind es zwei MmB, und bei größeren Unternehmen muss sieben Prozent der Belegschaft aus MmB bestehen. Anstatt auf Sanktionen zu setzen, strebt das Amt für Arbeitsintegration einen konstruktiven, sensibilisierenden Dialog mit den Betrieben an, um Vorurteile abzubauen und die Anstellung von MmB zu fördern.

Ich frage mich dennoch, ob Strafen, wenn sie hoch genug sind, in unserem neoliberalen Kapitalismus nicht doch ihre Wirksamkeit hätten. Vielleicht hätte ich statt unzähliger Absagen und Enttäuschungen auch mal eine Zusage erhalten. Hohe Strafzahlungen gibt es auch bei Nichteinhaltung der Brandschutzverordnungen – und kaum ein Unternehmen nimmt diese in Kauf. Warum also nicht auch bei der Inklusion?

Finanzielle Anreize als Teillösung
Ein zentrales Element der Strategie des Amtes für Arbeitsintegration sind finanzielle Förderungen, die Betriebe für die Einstellung von MmB erhalten. Ab Februar 2025 treten neue Regelungen in Kraft, die die Förderungen weiter differenzieren. Besonders interessant ist dabei, dass Betriebe, die nicht zur Anstellung von MmB verpflichtet sind, deutlich höhere Förderungen erhalten als solche, die gesetzlich dazu verpflichtet sind. Diese Unterscheidung soll Unternehmen, die freiwillig MmB einstellen, zusätzlich motivieren.
Die Förderungen teilen sich außerdem in eine Anstellungsprämie und eine Stabilitätsprämie auf. Letzteres erhalten nur jene Betriebe, die ihre Mitarbeitenden langfristig beschäftigen.

Angst vor erneuter Ablehnung
Trotz aller Bemühungen des Amtes für Arbeitsmarktintegration gibt es weiterhin Betriebe, die zögern, MmB einzustellen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Menschen, die mehrere Stellenangebote ablehnen. Oberrauch ist jedoch überzeugt, dass dies nicht aus mangelnder Motivation geschieht, sondern vielmehr an der Angst vor erneuten negativen Erfahrungen. Das Amt versucht dem entgegenzuwirken, indem es gezielt nach der „perfekten“ Stelle für die Betroffenen sucht.

Nach meinem Gespräch mit Magdalena Oberrauch wurde mir klar, dass die Arbeitssuche über das Amt für Arbeitsmarktintegration in einer unterstützenden und sensibilisierten Umgebung stattfindet. Doch die auf sich allein gestellte Suche bleibt für viele MmB ein Kampf – ein Kampf gegen Vorurteile, gegen Bürokratie und manchmal auch gegen die eigenen Ängste. Die Arbeit des Landesamtes hilft jedoch die eingangs erwähnten Mauern von Ablehnung und Stereotypen abzubauen.

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Sag niemals Nie

// Alexandra Kienzl //
Schönheitseingriffe doof finden ist leicht – wenn man jung ist. Es gab eine Zeit, da waren kosmetische Eingriffe etwas, dem die Durchschnittsbürgerin höchstens in den Klatsch-und-Tratschspalten von Hochglanzmagazinen begegnete: Hollywoodstar Soundso hat dieses und jenes machen lassen, vorher und nachher, sieh mal einer an. Mittlerweile sind minimal-invasive Behandlungen zur Erhaltung oder mehr oder weniger gelungenen Wiedererlangung jugendlicher Frische mitten in der Gesellschaft angekommen: Frau muss nicht mehr ins Ausland pilgern um sich kostspieligen Reparaturarbeiten zu unterziehen, nein. Gefühlt bietet jetzt jeder Bäcker um die Ecke Botoxspritzen und Augenlidstraffungen an, und das zu erschwinglichen Preisen. Woher ich das weiß? Ich habe gegoogelt, natürlich aus rein journalistischem Interesse, weil sie mir plötzlich überall aufgefallen sind, die glattgebügelten Stirnen und hochgezurbelten Augenpartien, die vollen Bäckchen und prallen Lippen. Während sich im eigenen Gesicht die Zornesfalte immer mehr wie ein Gebirgsbach zwischen die Augenbrauen gräbt und generell das Gesetz der Schwerkraft zunehmend seinen Tribut fordert, scheint die weibliche Umgebung punktuell neu zu erblühen, und nicht nur diese: Auch ein bekannter Südtiroler Unternehmer sieht neuerdings verdächtig straff aus, aber seien wir gnädig, vielleicht hat er auch nur einen super Filter auf dem Smartphone.

Jedenfalls ist es heutzutage nicht komplizierter als ein Friseurbesuch, sich ein wenig „auffrischen“ zu lassen, sogar Hausärzte haben Anti-Aging im Angebot, und da stellt sich dann doch die Frage: Was ist eigentlich der große Unterschied zwischen einer neuen Haarfarbe und ein wenig Botox in der Stirn? Warum ist das Eine gesellschaftlich akzeptiert, das Andere aber verpönt? Beides dient dazu, uns besser aussehen zu lassen, sich besser zu fühlen, und dem Zahn der Zeit entgehen zu wollen, ist eine Anstrengung, die der Mensch seit Beginn seiner Geschichte unternimmt. Zugegeben, vor ein paar Jahren noch, da hätte ich anders getönt: In Würde altern, stolz auf die Falten sein, das Unausweichliche akzeptieren, usw. – da hat der Blick in den Spiegel aber auch noch nicht so unbarmherzig die eigenen Spuren des Alterungsprozesses offenbart. Freilich ist das Ganze nicht unproblematisch: Will frau die Falten wirklich nur loswerden, um eigenen Ansprüchen zu genügen, weil das Äußere mit dem Inneren plötzlich nicht mehr übereinzustimmen scheint („So alt bin ich gar nicht!“)? Oder hat frau das vom Patriarchat propagierte weibliche Schönheitsideal (jung! knackig! fruchtbar!) einfach derart verinnerlicht, dass sie glaubt, dem auf Biegen und Brechen so lang wie möglich einigermaßen entsprechen zu müssen? Und wie erklärt man denn dem eigenen weiblichen Nachwuchs, dem man 24/7 Body Positivity, also Zufriedenheit mit dem eigenen Aussehen, einhämmert, wieso Mama plötzlich doch nicht so happy mit ihren Krähenfüßen ist?

Es gibt sie, die Vorbilder: im Bekanntenkreis und auch im jugendfixierten Hollywood, in dem Frauen jenseits der 40 entweder den Gnadentod sterben oder nur mehr als Mutter des Helden besetzt werden. Die Schauspielerin Kate Winslet etwa, die sich dem Optimierungswahn selbstbewusst widersetzt und erklärt, sie habe nie enden wollen, wie ihre Mutter, die zeitlebens unzufrieden mit ihrem Aussehen war: „Mein Gesicht zeigt Spuren meines Lebens, wieso sollte ich sie ausradieren wollen?“ Und auch die Mode-Ikone Sarah Jessica Parker zeigt sich im Sequel der Erfolgsserie „Sex and the City“ wohltuend als eine natürlich gealterte Carrie: Eine Mitfünfzigerin spielt eine Mitfünfzigerin, die nicht so aussieht, als hätte sie die letzten zwanzig Jahre in der Kühlbox verbracht, von der aber ein Leuchten ausgeht, das jedes Fältchen überstrahlt. Wer es den Damen nachmachen und auf den Jugendwahn pfeifen kann, dem sei gratuliert. Wer es noch nicht schafft, auch keine Schande: Sich mit sich selbst wohlfühlen soll die Maxime sein. Wichtig ist bloß, dass man wohlmeinende Menschen an seiner Seite hat, die einschreiten, bevor man sich optisch immer mehr einem gestrafften Klingonen annähert. Da sind Falten dann doch das kleinere Übel.