Traces
Von der Ohnmacht zur Veränderung
// Hannah Lechner //
TRACES beleuchtet die Langzeitfolgen sexualisierter Gewalt in Südtirol
2023 lief mit TRACES1 (Deutsch: Spuren) eine feministisch-partizipative Aktionsforschung zu den Langzeitfolgen sexualisierter Gewalt an Mädchen und Frauen in Südtirol an. Die Studie ist eine Kooperation von medica mondiale, dem Forum Prävention, dem Frauenmuseum Meran und der Universität Trient und wird von der Autonomen Provinz Bozen und der Stiftung Südtiroler Sparkasse finanziert. ëres hat vor etwas mehr als einem Jahr ausführlich mit Monika Hauser – Gynäkologin, Gründerin von medica mondiale und Initiatorin von TRACES – und Andrea Fleckinger – Sozialwissenschaftlerin an der Uni Trient und wissenschaftliche Leiterin der Studie – über die patriarchale Schweigekultur rund um sexualisierte Gewalt und die transgenerationale Weitergabe nichtaufgearbeiteter Traumata gesprochen. In dieser Ausgabe erzählt Andrea Fleckinger über erste konkrete Forschungseindrücke und über die Hoffnung, die TRACES in Bezug auf einen veränderten Umgang mit sexualisierter Gewalt in Südtirol macht.
Hier geht’s zum Interview in der ëres 4/2023
eres.bz.it/?ZID=900&AID=1238&ID=127664
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Ziel von TRACES ist es, die Weitergabe von durch sexualisierte Gewalt erlebten Traumata besser zu verstehen und dabei anzufangen, das Sprechen über diese Gewalt zu ermöglichen. Was sind erste Forschungsergebnisse?
Es ist noch zu früh, um über Ergebnisse zu sprechen, wir haben gerade erst die Interviews abgeschlossen und beginnen nun mit der Analyse. Aber ich kann von ersten Eindrücken erzählen: Der Fokus unsere Studie liegt ja auf strukturellen Dynamiken – also darauf, wie die Gesellschaft aufgebaut ist und wie die verschiedenen Akteur*innen, z.B. in den Dörfern, zusammenspielen. Viele der interviewten Frauen berichten von Menschen, etwa Lehrpersonen, Ordnungskräften oder anderen Mitgliedern der Dorfgemeinschaft, die die Gewalt hätten sehen können oder tatsächlich davon gewusst haben, aber nicht gehandelt haben – weil sie nicht in der Lage dazu waren, nicht wussten wie, oder einfach weggeschaut haben. Dabei ist wichtig: Wenn es um sexualisierte Gewalt geht, gibt es keine neutrale Position für niemanden. Jedes Wegschauen ist ein Stärken des Täters, der nicht für sein Handeln zur Verantwortung gezogen wird. Jedes Mal, wenn einer Betroffenen nicht geglaubt wird und sie nicht ernst genommen wird, erfährt der Täter Legitimation für sein Handeln. Gleichzeitig handelt es sich bei den Forschungsteilnehmerinnen um Frauen, die sich aktuell nicht in einer akuten Krise befinden, sondern einen Weg gefunden haben, mit ihren Erfahrungen gut weiterzuleben – d.h., sie konnten auch davon berichten, was ihnen geholfen hat. Und da zeigt sich, dass es in fast allen Fällen auch mindestens eine Person gab, die eben nicht weggeschaut, sondern ihnen geglaubt und sie in irgendeiner Form unterstützt hat. Und diese Menschen – oft waren es ebenfalls Lehrpersonen, neue Partner oder auch Psycholog*innen oder Psychotherapeut*innen – waren enorm wichtig. Das erweiterte soziale Umfeld spielt also eine ganz wichtige Rolle, sei es für die Aufrechterhaltung von Strukturen, die sexualisierte Gewalt begünstigen, sei es für die Unterstützung von Betroffenen. Die gesamtgesellschaftliche Verantwortung zeigt sich hier sehr deutlich.
Inwiefern macht TRACES Hoffnung, dass sich der Umgang mit sexualisierter Gewalt in Südtirol in Zukunft verändern wird und dadurch weniger Gewalt passiert?
Unsere Studie ist partizipativ angelegt, das bedeutet, dass alle Teilnehmerinnen sie aktiv mitgestalten können. Somit bieten wir die Möglichkeit, gemeinsam Veränderung zu initiieren und zielen auch darauf ab, eine gesellschaftliche Verantwortungsübernahme, die ich oben schon angesprochen habe, zu bewirken. TRACES versteht sich als konkrete Umsetzung der Istanbul-Konvention2. Ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass wir mit drei Jahren Forschung alles verändern können, aber das Projekt hat das Potential, diese Prozesse anzustoßen. Es trägt dazu bei, dass es in der Gesellschaft mehr Wissen über die Langzeitfolgen von sexualisierter Gewalt gibt und auch darüber, was transgenerationale Traumatisierung ist. Traumata können über mehrere Generationen in den Familien wirken, darum ist es wichtig zu wissen, was wir tun können, um dies zu vermeiden und sexualisierte Gewalt erst gar nicht entstehen zu lassen. Ein Ziel ist es z.B., dass sich jede*r fragt: Okay, was ist meine Rolle und meine Verantwortung, wenn es um sexualisierte Gewalt geht?
Eure Ergebnisse sollen also unmittelbar zu Aufklärung und Veränderung beitragen. Gibt es da schon konkrete Schritte?
Ja – die Ergebnisse sollen einen Nutzen für die ganze Südtiroler Gesellschaft haben und, neben den wissenschaftlichen Publikationen und Diskussionen, auch so kommuniziert werden, dass sie für alle zugänglich sind. Deswegen wird es Ende 2025 eine Ausstellung im Frauenmuseum Meran geben. Das Forum Prävention spielt auch eine zentrale Rolle für die Veränderungen, die angestoßen werden. Dort wird ein ganzheitliches Präventionskonzept zum Thema sexualisierte Gewalt an Mädchen und Frauen ausgearbeitet, das auf den Studienergebnissen basiert.
Inwiefern macht TRACES Hoffnung, dass sich der Umgang mit sexualisierter Gewalt in Südtirol in Zukunft verändern wird und dadurch weniger Gewalt passiert?
Eure Ergebnisse sollen also unmittelbar zu Aufklärung und Veränderung beitragen. Gibt es da schon konkrete Schritte?
1 TRACES steht für TRAnsgenerational ConsEquences of Sexualized violence, Deutsch: Transgenerationale Folgen sexualisierter Gewalt
2 Die Istanbul-Konvention wurde 2011 beschlossen und ist das erste völkerrechtlich verbindliche Übereinkommen zur umfassenden Bekämpfung aller Formen von Gewalt an Frauen in Europa. In Italien trat sie 2014 in Kraft.
2 Die Istanbul-Konvention wurde 2011 beschlossen und ist das erste völkerrechtlich verbindliche Übereinkommen zur umfassenden Bekämpfung aller Formen von Gewalt an Frauen in Europa. In Italien trat sie 2014 in Kraft.
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