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Zeit für die Pride

// Jenny Cazzola | Centaurus //
Endlich ist es so weit! Am 28. Juni findet die erste Südtirolo Pride in Bozen statt. Im Interview verrät Adele Zambaldi Details zur Veranstaltung.
© Adobe Stock
Sie ist endlich da! Die Südtirolo Pride. „Wir beginnen um 15 Uhr mit einer kleinen Show“, erzählt Adele Zambaldi, vom Verein Alto Adige Pride Südtirol. „Der Treffpunkt steht noch nicht fest, aber um 16 Uhr startet dann die Parade, die durch die Stadt führt. Teil der Parade sind Wagen mit Musik und Tänzen. Musikalisch geht es auch ab 18 Uhr auf dem Alexander-Langer-Platz weiter. Verschiedene Bands spielen, es gibt Drag Performances und Vertretende mehrerer Vereine sprechen.“

Über (Sprach)barrieren hinweg
„Für die queere Community in Südtirol ist die Pride ein wichtiger Moment, vor allem, weil unsere Existenzen in Südtirol – noch mehr als anderswo – unsichtbar sind und gemacht werden. Die Pride ist ein Weg, uns den Raum zurückzuerobern, der uns verwehrt wird, und die Sichtbarkeit zu erlangen, die wir verdienen. Sie ist auch – und vor allem – ein Moment, um einander zu begegnen, unsere Gemeinschaft zu stärken und uns gegenseitig Kraft zu geben“, unterstreicht Zambaldi die Bedeutung des Events. „Eine der Besonderheit in Südtirol ist die Sprachbarriere, die die Bewegung oft zu spalten droht – eine Barriere, die wir mit der Pride und ihrem gesamten Organisationsprozess zu überwinden versucht haben.“
Auch der Name des Events greift dieses Konzept auf „Südtirolo Pride ist ein translingualer Begriff, der an die von Alexander Langer gewählte Bezeichnung „Südtirolo“ erinnert, aber zugleich ein Hybrid zwischen den Sprachen darstellt – ein kreativer Versuch, Grenzen und Kategorien zu überwinden“, so Zambaldi.

Ein Event für alle
Auch deshalb war es den Verantwortlichen wichtig, möglichst viele Bevölkerungsgruppen miteinzubeziehen und auf die Bedürfnisse aller einzugehen. Zambaldi zählt einige Beispiele auf: „Für Familien wird es einen eigenen Bereich mit Aufführungen und Lesungen geben, sowie eine Ecke, in der Kinder betreut werden. Für Menschen mit eingeschränkter Mobilität wird ein Wagen bereitgestellt, auf dem sie an der Parade teilnehmen können. Was das Essen betrifft, wird es eine vielfältige Auswahl geben, einschließlich vegetarischer und veganer Optionen.“
„Für alle“ schließt heterosexuelle Menschen ein. „Auch Menschen, die nicht Teil der queeren Community sind, sollten kommen. Denn mehr Rechte für uns, heißt mehr Rechte für alle, sowie ein größeres Wohlbefinden für die gesamte Bevölkerung. Zudem kann ein Kampf um Rechte nie isoliert geführt werden, denn verschiedene Arten von Diskriminierung hängen zusammen.“

Info und Freiwillige
Für das Event werden noch Freiwillige gesucht. Interessierte sollen sich auf der Website, per E-Mail unter info@pride.bz.it oder auf Instagram bei @suedtirolopride melden.

Das Logo der Veranstaltung. Die Rose von König Laurin, umgeben von einer gehörnten Viper, vereint zwei lokale Schutzsymbole. Die Farben spiegeln jene der Pride-Flaggen wider. Der dornige Stiel der Rose und der schuppige Rücken der Schlange stehen für den Schmerz, die Ungerechtigkeiten und die Todesopfer, die queere Menschen erlitten haben. © Marea Gadotti

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Im Wartemodus: Wie viel Zeit benötigt Behinderung?

// Heidi Ulm //
Zeit ist Geld. Zeit ist Luxus. Zeit ist ein kostbares Gut in unserer schnelllebigen und selbstoptimierenden Zeit. Für Menschen mit Behinderungen (MmB) gilt das auch, wenn nicht sogar noch mehr. Doch nicht die Behinderung frisst Zeit, sondern der Alltag voller Bürokratie und fehlender Barrierefreiheit.
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Ein Aufzug – wie kürzlich am Bahnhof Brixen – ist über eine Woche defekt. Daraus wird für mobilitätseingeschränkte Personen ein großes Hindernis. Spontan mit dem Bus fahren? Geht oft nicht, denn barrierefreie Verkehrsmittel sind in Südtirol nicht Standard und ein Assistenzdienst muss teils 24 Stunden im Voraus organisiert werden. Selbstbestimmt und spontan reisen wird zur Illusion. Auch das Gesundheitssystem verlangt Geduld: Facharzttermine sind oft mit monatelanger Wartezeit verbunden und barrierefreie Praxen sind eher Seltenheit. Wer denkt beispielsweise an einen Gynäkologiestuhl für Rollstuhlnutzerinnen? Hinzu kommt der Formular-Dschungel: Anträge für Assistenz, Pflegegeld oder Hilfsmittel sind komplex, kompetente Beratung meist Mangelware. Die Bürokratie wird zum unbezahlten Nebenjob. Auch politische Reformen kommen, wenn überhaupt, im Schneckentempo. Die Südtiroler Landesregierung hat unlängst eine Kampagne zur Persönlichen Assistenz angekündigt – ein wichtiger Schritt. Doch die italienweite Reform (Dekret 62/2024), die unter anderem Behinderung multidimensional statt nur medizinisch bewerten will, wurde auf 2026 verschoben.

Crip Time – Zeit neu denken
In Disability Studies spricht man von „Crip Time“ – einem Begriff für das Zeiterleben von Menschen mit Behinderungen (MmB). Es beschreibt, wie MmB durch sichtbare und unsichtbare Barrieren mehr Zeit benötigen. Und diese Zeit fehlt dann für anderes: für Familie, für Freund*innen, für Erholung. Crip Time fordert darum flexiblere Strukturen und Zeitgerechtigkeit.

Was Energie mit Löffel zu tun hat
Passend dazu erklärt die US-amerikanische Aktivistin Christine Miserandino in ihrer „Spoon Theorie“ (zu Deutsch: Löffeltheorie), wie Energie im Alltag begrenzt ist. Jede Handlung kostet einen Löffel: aufstehen, duschen, zur Arbeit fahren – und eben auch Warten. Menschen ohne gesundheitliche Einschränkungen haben oft genug Löffel, um durch den Tag zu kommen. Menschen mit chronischer Krankheit oder Behinderung hingegen stehen von Anfang an weniger Löffel zur Verfügung – und daher müssen Betroffene sehr genau überlegen, wofür sie diese einsetzen. Sind alle Löffel aufgebraucht, geht schlichtweg nichts mehr.

Fazit: Zeitwohlstand braucht Barrierefreiheit
Zeitwohlstand entsteht dort, wo Barrieren verschwinden – physisch, sozial und gesetzlich. Was es braucht: Barrierefreiheit, weniger Bürokratie, flexible Arbeitszeiten und die konsequente Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Denn Zeit ist nicht nur Geld. Zeit ist Teilhabe. Zeit ist Lebensqualität. Und sie sollte uns doch allen zustehen.