Speak
Wo der Körpersprechen darf – und gehört wird
// Kathinka Enderle //
Seit 2005 begleitet Julianna Köcse in Tramin Menschen durch ihre Arbeit als medizinische Masseurin – und berührt dabei nicht nur Muskeln und Haut, sondern oft auch tiefere, seelische Schichten.

© pexels
In der Praxis der medizinischen Masseurin Julianna Köcse geht es um weit mehr als das Lösen von Verspannungen. Es geht um Körperwahrnehmung, um Selbstfürsorge und manchmal, in gewisser Weise, auch um Heilung. „Berührung ist ein Grundbedürfnis“, sagt sie. „Wir brauchen sie genauso wie Nahrung und Schlaf. Ohne Berührung verkümmern wir – körperlich wie emotional.“ In einer zunehmend digitalen und distanzierten Welt bekommt diese Erkenntnis eine besondere Bedeutung. Gerade Frauen, die viel leisten, verlieren im Alltag oft das Gespür für sich selbst. Sie funktionieren, aber sie fühlen sich nicht mehr.
Vom Objekt zum Subjekt: der Körper als Selbst
Was bedeutet es, mit einem Frauenkörper zu leben – in einer Welt, die ihn ständig bewertet, formt, kontrolliert? „Der weibliche Körper wird oft politisch”, sagt Julianna. Er wird sexualisiert, eingeengt, kommentiert und selten als das gesehen, was er ist: ein lebendiger, intelligenter, kraftvoller Ort. In Medien, Werbung und sogar im Gesundheitswesen wird er oft auf Funktion und Erscheinung reduziert. Schönheit wird zur Pflicht. Weiblichkeit zur Maske. „Viele Frauen, die zu mir kommen, tragen eine Geschichte in ihrem Körper“, sagt Julianna. „Von Unsicherheit, Entfremdung, Scham – manchmal auch von Gewalt. All das hat Spuren hinterlassen. Und all diese Spuren dürfen und müssen gesehen werden.“ Ihre Arbeit würde in dem Sinne hier nicht nur körperliche Entspannung bieten, sondern einen geschützten Raum, in dem Frauen sich selbst wieder begegnen können – jenseits von Blicken, Erwartungen und Rollen. Nicht im Spiegel, nicht in Zahlen oder Normen, sondern in Berührung, Atem, Gefühl.
Keine Baustelle, sondern Verbündung
Für Julianna ist Massage keine neutrale Technik, sondern eine bewusste, zärtliche Form der Körperarbeit. Eine Einladung zur Selbstermächtigung, gerade in einer patriarchal geprägten Gesellschaft, die Frauenkörper kontrolliert, sexualisiert und oft als Objekt behandelt. „Ich mache nichts gegen den Körper, ich arbeite mit ihm“, sagt sie. „Ich höre zu, was er erzählt. Ich lade Menschen, und gerade uns Frauen, ein, sich selbst zuzuhören. Nicht, um sich zu optimieren, sondern um zu verstehen. Wenn eine Frau beginnt, ihren Körper als Verbündete zu erleben und endlich nicht als Feind, nicht als Baustelle, dann entsteht eine neue Art von Selbstliebe. Eine, die nicht von Anderen abhängt, sondern aus dem eigenen Inneren wächst.”
Gesellschaftlich gelernte Scham umlernen
Viele Frauen bringen Unsicherheit mit: über ihre Haut, ihre Form, ihre Verletzlichkeit. Diese Scham ist tief verankert, gesellschaftlich gelernt und über Generationen weitergegeben. „Diese Scham darf Platz haben“, sagt Julianna. „Ich bewerte sie nicht. Ich nehme sie ernst und halte einen Raum, in dem sie sich wandeln darf.“ Massage wird so zur Gegenkultur. Ein Frauenkörper muss nichts leisten, nichts beweisen. Er darf einfach sein. Und allein das sei für Julianna oft schon ein Schritt in Richtung Heilung.
Weiblichkeit gehört dir
Für Julianna ist auch die Weiblichkeit kein starres Konzept. Sie ist kein äußeres Merkmal, sondern ein innerer Zustand von Verbindung. Eine Haltung. Eine sanfte Stärke, die sich in Selbstachtung und Fürsorge zeigt, jenseits von gesellschaftlichen Ansichten. „Weiblichkeit bedeutet für mich, meinem Körper zuzuhören. Ihn zu nähren, zu schützen, nicht, weil ich muss, sondern weil ich will.“ Es sei wichtig, den eigenen Körper so zu akzeptieren, wie er ist – unabhängig von Form, Alter, Geschlechtsidentität oder gesellschaftlicher Zuschreibung. Weiblichkeit dürfe vielfältig und persönlich sein. Sie gehöre jeder Person, die sie für sich selbst definiert.
Wenn Belastung unter die Haut geht
In ihrer Ausbildung hat Julianna selbst erfahren, wie tief der Körper erinnert und wie heilsam achtsame Berührung sein kann. „Ich habe gelernt, dass Schmerz oft nicht da entsteht, wo man ihn spürt. Der Körper ist intelligent. Er speichert, aber er kann auch loslassen, wenn wir ihm zuhören.“ Gerade während der Pandemie wurde ihr auch deutlich, wie sehr psychische Belastungen sich im Körper zeigen: in verspannten Schultern, Magenschmerzen, Enge im Brustraum. „Massage war in dieser Zeit oft nicht nur Linderung, sondern ein stiller Befreiungsmoment, vor allem für Frauen.“
Ganz: von Anfang an
Unsere Welt erzieht Frauen leider zu oft dazu, sich selbst zu vergessen. In diesem Kontext wird Selbstfürsorge zu etwas zutiefst Politischem, zu einem radikalen Akt der Rückeroberung. Sie ist eine bewusste Rückverbindung zum Ursprung und eine Einladung, den eigenen Körper nicht länger als Objekt zu betrachten, sondern ihn als lebendiges Zuhause zu erleben. „Heilung unserer Frauenlinie heißt für mich: zurück in den Körper kommen. In die eigene Wahrheit. In das, was wirklich da ist. Ohne Maske, ohne Urteil.“ Gerade heute, wo Frauenkörper kontrolliert werden, wird vor allem jede respektvolle, achtsame Berührung zu einem Akt der Selbstermächtigung. Sie erinnert uns daran, dass unser Körper nie perfekt sein musste, sondern von Anfang an ganz war. „Berührung kann uns wieder mit dem Leben verbinden“, sagt Julianna. „Mit uns selbst. Mit unserem innersten Kern.“
Du bist genug - genau so, wie du bist
Massage sei kein Allheilmittel. Aber sie könnte ein Anfang sein. Ein Moment der Rückverbindung. Ein Impuls für eine andere Art, sich selbst zu begegnen – mit Achtung, mit Wärme, mit Vertrauen. Für Frauen hat sie einen Wunsch: „Entdecke die Kraft der Berührung. Sie ist kein Luxus, sondern dein Recht. Spür dich selbst. Spür deine Kraft. Du bist genug – genau so, wie du bist.“
Vom Objekt zum Subjekt: der Körper als Selbst
Keine Baustelle, sondern Verbündung
Gesellschaftlich gelernte Scham umlernen
Weiblichkeit gehört dir
Wenn Belastung unter die Haut geht
Ganz: von Anfang an
Du bist genug - genau so, wie du bist