Speak
Zwischen Scheiße und Arschlöchern
// Ara //

© privat
Eine Almgeschichte
Auch wenn ich in diesem Text in einer binären Sprache (Frau/Mann) spreche, möchte ich betonen, dass das gesellschaftliche Spektrum an Geschlechtern und Identitäten weit darüber hinausgeht. Viele Menschen, besonders aus der LGBTQIA+-Community, erleben ebenfalls verbale und körperliche Übergriffe. Ihre Geschichten verdienen genauso Gehör, Sichtbarkeit und Schutz.
Stell dir vor: Idyllische Berge, kristallklare Seen, Murmeltiere, Gämsen, Wasserfälle und eine urige kleine Hütte. Klingt traumhaft, oder?
Ist es auch. Aber…
Ich bin eine selbstständige, abenteuerlustige, naturverbundene Frau und verbrachte den Sommer auf einer wunderschönen, weitläufigen Alm. Ich kümmerte mich um die Tiere und bewirtete die wenigen Wandergäste, die vorbeikamen. Da ich bereits einmal mit meinem Ex-Partner auf derselben Alm war, fühlte ich mich allen Herausforderungen gewachsen. Dachte ich zumindest.
Zu Beginn lief alles rund: Eine befreundete Person half mir, die Hütte in Schuss zu bringen, der Auftrieb verlief reibungslos, das Wetter spielte mit. Ich fühlte mich wohl. Doch dann war ich allein. Und versteh mich nicht falsch, ich mag alleine sein und komme gut mit mir und meinen Gedanken und Gefühlen zurecht. Ich hatte keine Angst vor Gewittern, Wölfen oder Bären. Die körperliche Arbeit war fordernd, aber erfüllend. Sogar das Schaufeln von Kuhscheiße empfand ich als effektives Workout. Ich genoss die Ruhe und die Langsamkeit des Almlebens.
Doch mit dem ersten Wanderer am ersten Tag meines Alleinseins kippte etwas. „So a schneidige Sennerin“, sagte er, „na, so a schneidige Sennerin het i mir net erwortet. Fühlsch die net alloan di Nocht? Soll i net kem di zi kuschln?“ Solche Sprüche kennt man. Sie sind nichts Neues. Das ist halt der Schmäh im Gastgewerbe, ein bisschen Flirten gehört dazu, das ist doch harmlos. Und genau deshalb lächelte ich es weg. Weil ich gelernt habe, nicht empfindlich zu sein. Weil man so etwas nicht „zu ernst“ nehmen soll. Aber etwas stimmte nicht. Da war ein schaler Nachgeschmack, ein inneres Unwohlsein, das blieb.
Leider blieb es nicht bei diesem einen Vorfall. Fast alle männlichen Passanten kommentierten mein Aussehen, mein Alleinsein und ihre Vorstellung von meiner Angst. Ich bekam „Angebote“ zum Kuscheln, Holzhacken, Beischlafen und „Beschützen“. Beschützen? Ich wollte keine Helden. Nur respektvoll behandelt werden. Worte sind nicht harmlos. Sie sind mächtig. Und viele dieser „Blödeleien“ waren nichts anderes als verbale Übergriffe und Grenzüberschreitungen.
Und es blieb nicht beim Reden: Ich wurde an Armen, Beinen, Rücken und Haaren berührt – oft unter Vorwänden wie dem Wunsch nach einem Foto oder einfach, weil sie es wollten. Ein häufiger Gast griff mir beim Fotografieren sogar auf den Hintern. Als ich ihn zurechtwies, war ich die Spaßverderberin. Meine Kühe hatten mehr Feingefühl als so mancher Mann.
Ich hatte keine Angst, als ich auf die Hütte gekommen war. Doch mit jedem Tag wuchs mein Unwohlsein. Ich sperrte jeden Abend die Hütte ab, hatte Pfefferspray griffbereit und war ständig in Alarmbereitschaft. Bei jedem Geräusch zuckte ich zusammen. Entspannen konnte ich nur, wenn Freund*innen zu Besuch waren.
Eines Abends saß ich in einiger Entfernung der Hütte auf einem Stein und genoss die Aussicht, dann sah ich eine Gestalt, ohne Rucksack, allein, um 19 Uhr, den steilen Weg zur Hütte hochkommen. Das war kein Zufallsspaziergang. Ich erstarrte und beobachtete alles von meinem Platz aus. Der Mann kam zur Hütte, sah sich um, durchsuchte sie und ging nach einiger Zeit des Wartens wieder. Ich weiß bis heute nicht, was seine Absicht war. Aber mein Körper kannte die Antwort: Ich zitterte, mein Herz raste, ich brach weinend zusammen.
Mein Körper reagierte heftig nach Wochen der Anspannung. Nach so vielen Momenten, in denen ich unangenehme Situationen weglächeln oder ausblenden musste, war mein System dauerhaft auf Alarm gestellt. Ständig musste ich meine Grenzen kommunizieren und verteidigen. Ich war ständig wachsam, selbst bei Geräuschen, die eigentlich harmlos waren. Mein Körper hatte gelernt, aufmerksam zu sein, weil es notwendig war. Ich war erschöpft, schlicht dauerhaft überlastet.
Gleichzeitig war da diese andere Art von Hilflosigkeit, wenn einem bewusst wird, dass solche Situationen keine Ausnahme, sondern Teil eines gesellschaftlichen Musters sind. Übergriffige Bemerkungen oder Berührungen werden oft als harmlos abgetan, als „Spaß“, als „Kompliment“, als Teil der Kultur. Ich hatte das Gefühl, nichts daran ändern zu können, dass selbst klare Grenzen kaum Wirkung zeigen. Diese Normalität, mit der Grenzüberschreitungen passieren, war es zusätzlich, die mich innerlich mürbe gemacht hatte.
Als ich am Ende der Saison in meine Wohnung im Tal zurückkehrte, brach ich mental zusammen. Ich sperrte mich ein, weinte tagelang. Mein Körper ließ los und ich konnte nichts anderes mehr tun als schlafen und weinen. Monatelang fiel mir jeder Schritt vor die Haustür schwer. Ich war gefangen in meiner Angst.
Warum erzähle ich das alles? Weil nach der Angst die Wut und der Wunsch nach Veränderung kam. Weil ich weiß, dass meine Erfahrung keine Ausnahme ist. Weil ich will, dass wir anfangen, diese „kleinen“ Übergriffe als das zu benennen, was sie sind: Grenzüberschreitungen. Weil ich zeigen möchte, wie schnell aus einem vermeintlich idyllischen Ort ein Ort der Unsicherheit wird.
Ich schreibe diesen Text, weil ich das Schweigen brechen will. Weil ich glaube, dass das Teilen von Erfahrungen der erste Schritt ist, um etwas zu verändern – in uns, aber auch im Außen. Ich wünsche mir Verständnis, Empathie und ein echtes Zuhören. Nicht Mitleid, sondern Mitgefühl. Nicht Verteidigung, sondern Reflexion. Nicht „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“, sondern „Ich will verstehen, wie mein Verhalten wirken kann.“
An alle Frauen: Du hast das Recht, deinen eigenen Weg zu gehen, ohne dich rechtfertigen zu müssen. Du darfst Grenzen setzen, Entscheidungen treffen und dich frei bewegen, ohne dich an übergriffiges Verhalten gewöhnen zu müssen. Du bist nicht allein mit dem, was du erlebst. Es ist in Ordnung, darüber zu sprechen und dir Unterstützung zu holen. Es ist nicht deine Aufgabe, dich anzupassen, sondern die der anderen, dich zu respektieren.
An alle Männer: Reflektiere dein Verhalten und deine Sprache, besonders gegenüber Frauen, die du nicht kennst. Kommentare über das Aussehen oder körperliche Nähe ohne Einverständnis sind übergriffig, auch wenn sie „nicht so gemeint“ sind. Du hast Einfluss darauf, wie sicher sich Menschen in deiner Umgebung fühlen. Übernimm Verantwortung für dein eigenes Verhalten und sprich andere darauf an, wenn sie Grenzen überschreiten.
Meine Geschichte auf der Alm ist kein Einzelfall. Solche Erfahrungen sind erschreckend häufig. Viele Frauen erleben Übergriffe – in den Bergen, beim Wandern, in der Stadt oder im eigenen Zuhause. Vieles davon bleibt unausgesprochen oder wird bagatellisiert. Aber je sichtbarer solche Erfahrungen werden, desto klarer wird auch, wie notwendig Veränderung ist. Es reicht nicht, das Verhalten von Einzelnen zu kritisieren, wir alle tragen Verantwortung für eine Kultur, in der Respekt und Sicherheit selbstverständlich sind. Dafür braucht es Aufmerksamkeit, Solidarität und den Willen, gemeinsam etwas zu verändern.
Und jetzt stell dir vor: Idyllische Berge, kristallklare Seen, Murmeltiere, Gämsen, Wasserfälle, eine urige kleine Hütte – und die einzigen Arschlöcher, die ich sehe, sind die von meinen Kühen.
Stell dir vor: Idyllische Berge, kristallklare Seen, Murmeltiere, Gämsen, Wasserfälle und eine urige kleine Hütte. Klingt traumhaft, oder?
Ist es auch. Aber…
Ich bin eine selbstständige, abenteuerlustige, naturverbundene Frau und verbrachte den Sommer auf einer wunderschönen, weitläufigen Alm. Ich kümmerte mich um die Tiere und bewirtete die wenigen Wandergäste, die vorbeikamen. Da ich bereits einmal mit meinem Ex-Partner auf derselben Alm war, fühlte ich mich allen Herausforderungen gewachsen. Dachte ich zumindest.
Zu Beginn lief alles rund: Eine befreundete Person half mir, die Hütte in Schuss zu bringen, der Auftrieb verlief reibungslos, das Wetter spielte mit. Ich fühlte mich wohl. Doch dann war ich allein. Und versteh mich nicht falsch, ich mag alleine sein und komme gut mit mir und meinen Gedanken und Gefühlen zurecht. Ich hatte keine Angst vor Gewittern, Wölfen oder Bären. Die körperliche Arbeit war fordernd, aber erfüllend. Sogar das Schaufeln von Kuhscheiße empfand ich als effektives Workout. Ich genoss die Ruhe und die Langsamkeit des Almlebens.
Doch mit dem ersten Wanderer am ersten Tag meines Alleinseins kippte etwas. „So a schneidige Sennerin“, sagte er, „na, so a schneidige Sennerin het i mir net erwortet. Fühlsch die net alloan di Nocht? Soll i net kem di zi kuschln?“ Solche Sprüche kennt man. Sie sind nichts Neues. Das ist halt der Schmäh im Gastgewerbe, ein bisschen Flirten gehört dazu, das ist doch harmlos. Und genau deshalb lächelte ich es weg. Weil ich gelernt habe, nicht empfindlich zu sein. Weil man so etwas nicht „zu ernst“ nehmen soll. Aber etwas stimmte nicht. Da war ein schaler Nachgeschmack, ein inneres Unwohlsein, das blieb.
Leider blieb es nicht bei diesem einen Vorfall. Fast alle männlichen Passanten kommentierten mein Aussehen, mein Alleinsein und ihre Vorstellung von meiner Angst. Ich bekam „Angebote“ zum Kuscheln, Holzhacken, Beischlafen und „Beschützen“. Beschützen? Ich wollte keine Helden. Nur respektvoll behandelt werden. Worte sind nicht harmlos. Sie sind mächtig. Und viele dieser „Blödeleien“ waren nichts anderes als verbale Übergriffe und Grenzüberschreitungen.
Und es blieb nicht beim Reden: Ich wurde an Armen, Beinen, Rücken und Haaren berührt – oft unter Vorwänden wie dem Wunsch nach einem Foto oder einfach, weil sie es wollten. Ein häufiger Gast griff mir beim Fotografieren sogar auf den Hintern. Als ich ihn zurechtwies, war ich die Spaßverderberin. Meine Kühe hatten mehr Feingefühl als so mancher Mann.
Ich hatte keine Angst, als ich auf die Hütte gekommen war. Doch mit jedem Tag wuchs mein Unwohlsein. Ich sperrte jeden Abend die Hütte ab, hatte Pfefferspray griffbereit und war ständig in Alarmbereitschaft. Bei jedem Geräusch zuckte ich zusammen. Entspannen konnte ich nur, wenn Freund*innen zu Besuch waren.
Eines Abends saß ich in einiger Entfernung der Hütte auf einem Stein und genoss die Aussicht, dann sah ich eine Gestalt, ohne Rucksack, allein, um 19 Uhr, den steilen Weg zur Hütte hochkommen. Das war kein Zufallsspaziergang. Ich erstarrte und beobachtete alles von meinem Platz aus. Der Mann kam zur Hütte, sah sich um, durchsuchte sie und ging nach einiger Zeit des Wartens wieder. Ich weiß bis heute nicht, was seine Absicht war. Aber mein Körper kannte die Antwort: Ich zitterte, mein Herz raste, ich brach weinend zusammen.
Mein Körper reagierte heftig nach Wochen der Anspannung. Nach so vielen Momenten, in denen ich unangenehme Situationen weglächeln oder ausblenden musste, war mein System dauerhaft auf Alarm gestellt. Ständig musste ich meine Grenzen kommunizieren und verteidigen. Ich war ständig wachsam, selbst bei Geräuschen, die eigentlich harmlos waren. Mein Körper hatte gelernt, aufmerksam zu sein, weil es notwendig war. Ich war erschöpft, schlicht dauerhaft überlastet.
Gleichzeitig war da diese andere Art von Hilflosigkeit, wenn einem bewusst wird, dass solche Situationen keine Ausnahme, sondern Teil eines gesellschaftlichen Musters sind. Übergriffige Bemerkungen oder Berührungen werden oft als harmlos abgetan, als „Spaß“, als „Kompliment“, als Teil der Kultur. Ich hatte das Gefühl, nichts daran ändern zu können, dass selbst klare Grenzen kaum Wirkung zeigen. Diese Normalität, mit der Grenzüberschreitungen passieren, war es zusätzlich, die mich innerlich mürbe gemacht hatte.
Als ich am Ende der Saison in meine Wohnung im Tal zurückkehrte, brach ich mental zusammen. Ich sperrte mich ein, weinte tagelang. Mein Körper ließ los und ich konnte nichts anderes mehr tun als schlafen und weinen. Monatelang fiel mir jeder Schritt vor die Haustür schwer. Ich war gefangen in meiner Angst.
Warum erzähle ich das alles? Weil nach der Angst die Wut und der Wunsch nach Veränderung kam. Weil ich weiß, dass meine Erfahrung keine Ausnahme ist. Weil ich will, dass wir anfangen, diese „kleinen“ Übergriffe als das zu benennen, was sie sind: Grenzüberschreitungen. Weil ich zeigen möchte, wie schnell aus einem vermeintlich idyllischen Ort ein Ort der Unsicherheit wird.
Ich schreibe diesen Text, weil ich das Schweigen brechen will. Weil ich glaube, dass das Teilen von Erfahrungen der erste Schritt ist, um etwas zu verändern – in uns, aber auch im Außen. Ich wünsche mir Verständnis, Empathie und ein echtes Zuhören. Nicht Mitleid, sondern Mitgefühl. Nicht Verteidigung, sondern Reflexion. Nicht „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“, sondern „Ich will verstehen, wie mein Verhalten wirken kann.“
An alle Frauen: Du hast das Recht, deinen eigenen Weg zu gehen, ohne dich rechtfertigen zu müssen. Du darfst Grenzen setzen, Entscheidungen treffen und dich frei bewegen, ohne dich an übergriffiges Verhalten gewöhnen zu müssen. Du bist nicht allein mit dem, was du erlebst. Es ist in Ordnung, darüber zu sprechen und dir Unterstützung zu holen. Es ist nicht deine Aufgabe, dich anzupassen, sondern die der anderen, dich zu respektieren.
An alle Männer: Reflektiere dein Verhalten und deine Sprache, besonders gegenüber Frauen, die du nicht kennst. Kommentare über das Aussehen oder körperliche Nähe ohne Einverständnis sind übergriffig, auch wenn sie „nicht so gemeint“ sind. Du hast Einfluss darauf, wie sicher sich Menschen in deiner Umgebung fühlen. Übernimm Verantwortung für dein eigenes Verhalten und sprich andere darauf an, wenn sie Grenzen überschreiten.
Meine Geschichte auf der Alm ist kein Einzelfall. Solche Erfahrungen sind erschreckend häufig. Viele Frauen erleben Übergriffe – in den Bergen, beim Wandern, in der Stadt oder im eigenen Zuhause. Vieles davon bleibt unausgesprochen oder wird bagatellisiert. Aber je sichtbarer solche Erfahrungen werden, desto klarer wird auch, wie notwendig Veränderung ist. Es reicht nicht, das Verhalten von Einzelnen zu kritisieren, wir alle tragen Verantwortung für eine Kultur, in der Respekt und Sicherheit selbstverständlich sind. Dafür braucht es Aufmerksamkeit, Solidarität und den Willen, gemeinsam etwas zu verändern.
Und jetzt stell dir vor: Idyllische Berge, kristallklare Seen, Murmeltiere, Gämsen, Wasserfälle, eine urige kleine Hütte – und die einzigen Arschlöcher, die ich sehe, sind die von meinen Kühen.