Think

s'Muschi-Ding voll durchziachn #5

// Hannah Lechner //
© Elisabeth Öggl
Stille Nacht
Liebe Lesende, ich hab‘ da noch etwas, das will ich seit #1 des Muschi-Dings loswerden: ein Weihnachts-Best-of vom letzten Jahr. Und wohin würde das besser passen als in die letzte ëres-Ausgabe „für dieses“? Denn, ob ihr es wahrhaben wollt oder nicht: Weihnachten steht wieder an – die Hochsaison der Onkel Kläuse!

Das Szenario ist folgendes: Meine Mutter und ich im Haus der Tante, für insgesamt vielleicht eine halbe Stunde. Auch zugegen: die Tante selbst sowie diverse Verwandte – nähere und fernere – unterschiedlicher Generationen. Ihr werdet staunen (oder leider auch nicht), was man zwischen Lametta und Eierlikör in so kurzer Zeit alles erleben kann – haltet das Bullshit-Bingo bereit!
Da werden Abstammungsverhältnisse geklärt, wobei sich ein entfernter Verwandter erstaunt über die Verbindungslinie zwischen meiner Mutter und mir zeigt – „asooou, i hon gmoant du hosch koane Kinder!“ – und den Ausdruck seines Erstaunens auch direkt mit einer Bewertung der Sinnhaftigkeit des Lebens meiner Mutter versieht: „Nor hosch jo nit umsuscht gleb!“ (Mal eben den Wert eines Frauenlebens an Reproduktion gemessen – check. Darauf ein Schlückchen Eierlikör!) Währenddessen wird am anderen Tischende das Aussehen eines kürzlich wieder mal gesichteten Verwandten kommentiert – „wia sou a Schwuler“ schaue er aus. (Homophobie – check. Und noch ein Schlückchen Eierlikör.) Noch ein paar Stühle weiter gibt ein sehr junger Verwandter die Kunst des Alle-Finger-übereinander-Verknotens zum Besten und hält sein Publikum dazu an, es ihm gleich zu tun. So manche scheitern, ich bin erfolgreich, was ich – auf die Beweglichkeit meiner Fingergelenke anspielend – mit einem lachenden „i bin jo ah nou jung!“ kommentiere. Und da wiederum kann es sich – haltet euch fest – der Frauenleben-Wert-Bewerter nicht nehmen lassen, einen Freud’schen Verhörer vorzutäuschen: „Wos hosch gsogg, du bisch nou Jungfrau?“ (Verbale sexualisierte Übergriffigkeit – check. Wo ist die Flasche??) Meine Tante ist sofort zur Stelle, um lachend zu deeskalieren – an sein Gerede müsse man sich eben gewöhnen, er meine das nicht so! Und damit ist der Übergriff normalisiert, ich exe den Eierlikör. Bingo!

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Die große Schande nimmt kein Ende

// Jenny Cazzola //
Wie ist es um die Zwangssterilisation von Frauen mit Behinderung in der EU bestellt? Eine ernüchternde Momentaufnahme.
© Adobe Stock
Vor zwei Jahren erschien an dieser Stelle schon mal ein Artikel über die Zwangssterilisation von Frauen mit Behinderung in der EU. Zeit zu überprüfen, ob sich etwas geändert hat.

Spoiler: hat es nicht
Luisella Bosisio Fazzi ist Mitglied des European Disability Forum, der Organisation die damals eine Petition zum Verbot der Zwangssterilisation gestartet hatte. „Ich kann bestätigen, dass die Zwangssterilisation von Frauen mit Behinderung in zwölf Mitgliedsstaaten immer noch erlaubt ist oder toleriert wird“, erzählt sie. „Darüber hinaus zeigen Berichte von Frauen mit Behinderungen, dass diese Praxis auch in Ländern angewendet wird, in denen sie verboten ist. Zum Beispiel sind in Italien Zwangssterilisationen oder erzwungene Hysterektomien gesetzlich verboten und gelten als inakzeptabel. Dennoch deuten Berichte von Frauen mit Behinderungen darauf hin, dass Zwangssterilisationen an Frauen mit Behinderungen gelegentlich vorgenommen werden – angeblich zu ihrem Schutz. Tatsächlich handelt es sich aber um einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf Selbstbestimmung, der insbesondere Frauen trifft, die in Pflegeeinrichtungen und ähnlichen Institutionen leben.“

Ein Thema, das niemanden interessiert?
„Es handelt sich um ein Thema, das in der gesellschaftlichen Diskussion kaum Platz findet“, erzählt Bosisio Fazzi weiter. „Es gibt immer noch viele Vorurteile und Klischees über Menschen mit Behinderung. Insbesondere behinderte Frauen und Mädchen werden oft noch als asexuell oder hypersexuell betrachtet. Das und das mangelnde Wissen über Behinderungen wirken sich direkt auf ihre Rechte auf Sexualität und emotionale Beziehungen sowie auf ihre sexuelle und reproduktive Gesundheit aus – mit erheblichen und zum Teil irreparablen Folgen für ihr Leben.“

Eine EU-Richtlinie, die (kaum) Hoffnung macht
Bis Juni 2027 müssen alle Mitgliedsstaaten die EU-Richtlinie 2024/1385 in nationales Recht umwandeln. Sie soll einheitliche Mindestregeln zur Verhinderung und Bekämpfung von häuslicher Gewalt und Gewalt gegen Frauen schaffen. Doch auch das stellt kein Verbot der Zwangssterilisation dar. Im Gegenteil: „Die Richtlinie wird in unserem Land auf eine Gesetzgebung treffen, die im Vergleich zu anderen Ländern – die weder über entsprechende Vorschriften verfügen noch die Istanbul-Konvention ratifiziert haben – weit fortgeschritten ist“, so Bosisio Fazzi. „Doch auch in dieser Richtlinie fehlen wichtige Punkte, wie das Verbot erzwungener Sterilisationen und Abtreibungen, oder ganz grundsätzlich die Datenerhebung zu diesem Thema.“


Die Zwangssterilisation von Frauen mit Behinderung existiert also weiterhin. Bis 2027 und vermutlich auch noch darüber hinaus.