Tamo Bestattungen

Selbstbestimmt Abschied­nehmen

// Hannah Lechner //
Tod und Trauer haben in unserer Gesellschaft wenig Raum, klassische Bestattungsformen gehen oft von einschränkenden und auch ausgrenzenden Normen aus. Ulrike Friedl und Yvonno Leeb –Gründungsteam von Tamo Bestattungen in Wien – wollen das verändern. ëres hat mit ihnen über Bestattung als Sorgearbeit, selbstbestimmtes Abschiednehmen und dafür notwendige gesellschaftliche Veränderung gesprochen.
Yvonno Leeb und Ulrike Friedl haben Tamo Bestattungen in Wien gegründet. © Carolina Frank
Interview mit Tamo Bestattungen
Ihr arbeitet als trauerbegleitende Bestatter*­innen. Was bedeutet das und wie seid ihr in diesem Beruf gelandet?
Trauerbegleitendes Bestatten bedeutet, dass wir alle Schritte in unserer Bestattungsarbeit über die Aspekte einer Trauerbegleitung durchführen. Wir begleiten die Verstorbenen und ihre Zugehörigen persönlich als Bezugsbestatter*innen durch den Prozess. Für uns ist Bestatten eine Begleitungsarbeit und eine soziale Arbeit.
Unsere persönlichen Wege dahin waren ganz unterschiedlich. Während Yvonno sich immer schon für den Beruf und das Feld interessiert hat, ist es Ulrike eher vor die Füße gefallen. Gemeinsam ist uns jedenfalls, dass wir gerne eine Alternative zur konventionellen Bestattung anbieten und auch weiterentwickeln wollen. Yvonno hat den Ansatz des trauerbegleitenden Bestattens in Berlin schon vor Jahren mitentwickelt und auch eine spezifische Ausbildung dazu konzipiert. Dort unterrichtet Yvonno auch immer noch einzelne Module. Ulrike hat in Österreich keine passenden Ausbildungsangebote gefunden und hat sich deshalb auch in Berlin auf die Suche gemacht. Dort haben wir uns dann auch kennengelernt – Ulrike hat tatsächlich erst mal bei Yvonno gelernt. Es war schon auch ein glücklicher Zufall, dass wir uns so begegnet sind und herausgefunden haben, dass wir beide ein Projekt in Wien/Niederösterreich aufbauen wollen. Wir haben unsere jeweiligen Kompetenzen zusammengebracht und Tamo Bestattungen gegründet.

Wie schaut die Arbeit von Tamo aus und was ist euch dabei besonders wichtig?
Wir sehen die Zeit zwischen Tod und Bestattung als sehr bedeutsamen Prozess, in dem Angehörige und Zugehörige begleitet werden sollen, nicht gedrängt – mit Raum und Zeit für Gefühle, Wünsche und individuelle Gestaltung. Wir verstehen unsere Arbeit als Sorgearbeit (Care), bei der es um Bedürfnisse, gelebte Beziehungen, Fürsorge und Empathie geht, nicht nur um Logistik. Es ist uns wichtig, die Menschen, die dem/der Verstorbenen nahestehen, einzubeziehen und ihnen Mitwirken anzubieten (z.B. bei der Totenfürsorge oder bei Ritualen) – und dabei auch nicht automatisch anzunehmen, wer „zu einer Familie“ gehört, sondern lieber genau nachzufragen. Deswegen auch der Begriff der Zugehörigen – weil er mehr einschließt als biologisch oder rechtlich legitimierte Familienverhältnisse. Wir hören genau zu und bieten Informationen an, denn ganz oft wissen die Menschen nicht, was überhaupt möglich ist. Da gibt es ganz viele einschränkende und manchmal auch falsche Annahmen.
Deshalb machen wir neben unserer Begleitungsarbeit auch viel Informations- und Bildungsarbeit. Wir wünschen uns, dass Wissen zugänglicher wird. Und außerdem gehört in unseren Augen die Bestattung eigentlich in die Ausbildung der Sozialen Arbeit. Wir freuen uns deshalb sehr darüber, dass Yvonno heuer an der FH St. Pölten gemeinsam mit Michaela Moser und Barbara Thalmann ein Lehrforschungsprojekt zum Thema leitet. Yvonno hat in Deutschland in ganz unterschiedlichen Kontexten schon ganz viel unterrichtet, von Seminaren an der Universität bis zu Praxis-Workshops für Teams in pflegenden Berufen. Mit Tamo versuchen wir diese Inhalte auch in Österreich zugänglicher zu machen und bieten Veranstaltungen und Workshops an.

Wer kommt zu euch? Und für wen ist ein selbstbestimmterer Ansatz vielleicht besonders wichtig?
Zu uns finden ganz unterschiedliche Menschen – manchmal finden uns durch Zufall auch Personen, die gar nicht nach „was Besonderem“ suchen und sind dann ganz positiv überrascht. Wir bestatten und begleiten alle. Aber natürlich spricht unser Angebot Menschen an, die eine Alternative zu klassischen Bestattungsformen suchen: individuelle Gestaltung, Rituale, Abschiede, die mit Bedeutung geladen sind, nicht nur liturgisch oder traditionell, sondern auch persönlich. Auch in Fällen von erschwerter Trauer suchen die Zugehörigen oft nach mehr Begleitung als nur Abwicklung. Und indem wir versuchen, Fragestellungen rund um queere Lebens- und Sterberealitäten sichtbarer zu machen, sprechen wir natürlich auch queere Personen an: Menschen, deren Beziehungsformen, Herkunftsfamilien, Wunschkonstellationen nicht den konventionellen Normen (z.B. Ehe, leibliche Familie, heteronormative Linien) entsprechen, profitieren besonders von einem Ansatz, der zuhört, offen ist und Gestaltungsspielräume ermöglicht.

Welche gesellschaftlichen Veränderungen wünscht ihr euch in Bezug auf Tod und Trauer, damit Gestaltungsspielraum und selbstbestimmtes Abschiednehmen leichter möglich werden?
Oh, da gibt es viel! Im Allgemeinen wünschen wir uns mehr Bewusstsein in der Bevölkerung für die Vielfalt der Abschiedsmöglichkeiten – also dass Menschen überhaupt wissen, was alles geht. Auch wünschen wir uns offenere Gespräche über Tod, Trauer und Verlusterfahrungen. Trauer soll in unserer Gesellschaft Raum haben, und Menschen sollen ihre Gefühle ohne den Druck erleben dürfen, schnell wieder funktionieren zu sollen. Auch da hilft es, besser Bescheid zu wissen – zum Beispiel in Arbeitsteams darüber, wie Kolleg*innen einander entlasten können, ohne die trauernde Person zurückzulassen.
Wichtig ist auch mehr Sensibilität und Zugänglichkeit für diverse Lebenslagen – z.B. für queere oder alleinstehende Personen, für Zugehörige, die nicht verwandt sind, für Menschen mit geringem Einkommen oder für Menschen, deren Herkunftsfamilie in verschiedenen Ländern lebt.
Und konkret im Bereich der Bestattung wünschen wir uns einerseits mehr Nachhaltigkeit – z.B. ist es uns wichtig, ökologische Materialien zu verwenden, auf Überflüssiges zu verzichten und bewusst und schonend mit Ressourcen umzugehen. Und dann braucht es natürlich gesetzliche und infrastrukturelle Rahmenbedingungen, die mehr Selbstbestimmung erlauben – etwa Abschiedsräume mit geringen Raummieten oder Bestattungsgesetze, die weniger normativen Strukturen folgen und passender für unterschiedlichste Lebensrealitäten sind.

Young

Ein Roman namens Leben

// Kathinka Enderle //
Es gibt Menschen, die das Leben wie eine To-do-Liste sehen. Und es gibt Menschen, die es wie eine Geschichte betrachten – voller Kapitel, Wendungen, Figuren und Möglichkeiten. Andrea Grum gehört zu den Letzteren. Sie ist eine Träumerin, die ihre Fantasie nicht nur im Kopf behält, sondern sie ins Leben übersetzt. Ihre Geschichte beginnt mit Büchern und führt zu einem neuen Kapitel voller Freundschaften, Mut und dem Wunsch, dass jeder Mensch seinen eigenen Traum leben darf.
Andrea Grum © Stephan Magh

Ein Buch, ein Handy, eine Idee
„Als ich mit Social Media angefangen habe, war es gar nicht das Ziel, etwas erreichen zu wollen, sondern ich hatte einfach eine Leidenschaft. Und die Leidenschaft war eben das Lesen.“ Für Andrea war das der Ausgangspunkt, der erste Satz ihres eigenen Romans. Denn in Büchern fand sie immer schon etwas, das sie in der Realität vermisste: Abenteuer, Wärme, Gespräche, die Tiefe haben. Doch niemand in ihrem Umfeld teilte diese Begeisterung. „Vor ein paar Jahren war das Lesen und Hobbylesen noch gar nicht so weit verbreitet wie es jetzt ist. Ich konnte mich mit niemandem austauschen.“ Also erschuf sie sich ihre eigene Welt: Ein TikTok-Account, einige Videos über ihre Lieblingsbücher – und plötzlich war sie nicht mehr allein, sondern hatte eine wachsende Community, mit der sie ihre Leidenschaft teilen konnte. „Für mich ist es das größte Kompliment, wenn jemand mein Lieblingsbuch liest und mir dann sagt, dass man es genauso toll fand.“

Wo Mut Menschen verbindet
Anfangs wurde Andrea belächelt: „Natürlich gab es dann Leute aus meinem Umfeld, die meine Videos rumgeschickt haben und sich quasi drüber lustig gemacht haben. Das sind aber Leute, die sich niemals selbst trauen würden, sich im Internet zu zeigen.“ Andrea aber blieb bei ihrer Leidenschaft. Sie wusste: Jede gute Geschichte beginnt mit einer Figur, die den Mut hat, sich zu zeigen. Mit der Zeit wuchs aus der digitalen Bühne ein echter Raum. „Ich habe ein Video gepostet, in dem ich reingeschrieben habe, dass ich gerne einen Buchclub eröffnen möchte, mit Mädls aus dem Raum München und Augsburg.“ Mehr als hundert Frauen meldeten sich und wollten Teil derselben Geschichte werden. Heute ist der Buchclub für Andrea ein lebendiges Kapitel voller Nähe. „Wir haben unglaublich interessante Diskussionen. Wenn wir uns treffen, dann geht es, ja, es geht um Bücher, aber es geht auch um so, so viel mehr. Es geht ums Frau-Sein. Und um jedes erdenkliche Thema.“ Manchmal ist es nicht nur die Literatur, die sie verbindet, sondern das Leben selbst. „Es gab auch schon Situationen, in denen Personen in der Gruppe einen nicht so guten Tag hatten. Dann haben wir zum Beispiel Blumen gekauft oder ein Buch geschickt, um sie aufzuheitern.” Worte können Brücken schlagen – und manchmal können es auch kleine Gesten.

Aus Ausgrenzung wächst Identität
Doch auch Andreas Geschichte ist nicht nur leicht. In ihr gibt es dunkle Passagen, voller Schmerz und schlechten Erfahrungen. „Tatsächlich habe ich sehr viel Rassismus erlebt… obwohl ich eigentlich der Meinung bin, dass ich gar nicht thailändisch oder asiatisch aussehe. Aber sobald Leute mitbekommen haben, dass ich Halbthailänderin bin, war das richtig blöd.“ Es sind Sätze aus der Schulzeit, die als Narben geblieben sind: „Wie oft die Jungs gesagt haben: ‚Und, isst du schon wieder Hunde und Katzen?‘ Oder: ‚Deine Mutter ist Thailänderin, bestimmt war sie Prostituierte.‘ Das war für mich unglaublich schlimm.“ Besonders tief brannte sich eine Erinnerung ein: „Mir hat es so oft das Herz gebrochen, zu sehen, wie meine Mutter einfach weint, weil sie so frustriert war. Und irgendwann hat sie mich gefragt, ob ich mich dafür schäme, dass sie aus Thailand kommt. Und das tue ich überhaupt nicht. Ich bin super stolz auf meine Wurzeln.“

Ein Roman gegen Klischees
Andrea tat schlussendlich das, was sie immer tut: Sie verwandelte Schmerz in Stärke. „Ich habe durch diese ganzen negativen Erfahrungen einfach nach dem Guten gesucht, habe das Gute gefunden und das genutzt, um jetzt die Person zu sein, die ich bin.“ Aus den Scherben formte sie Bilder, aus den Wunden neue Worte. Heute schreibt sie selbst – einen Roman, in dem Thailand kein Klischee ist, sondern Kultur, Familie, Liebe. „Ich schreibe gerade an einem Buch, in dem Thailand repräsentiert wird: die Kultur, die Menschen, aber auch die Vorurteile. Ich verpacke das natürlich alles in einen Romance Novel, denn wer wäre ich, wenn mein Debütroman keine Romantik beinhalten würde? Die Menschen in meinem Leben wissen, ich bin super romantisch und manchmal auch extrem kitischig, aber ich liebe einfach die Liebe. Und das alles umzusetzen ist gerade mein Ziel.”

Das Leben als Bühne der Möglichkeiten
Für Andrea ist das Leben selbst wie ein Buch. Manchmal kitschig, manchmal schmerzhaft, aber immer wert, erzählt zu werden. „Ich möchte, dass mein Leben sich anfühlt wie ein Film oder wie in Büchern, weil ich nicht finde, dass das unrealistisch ist.“ Sie glaubt daran, dass jeder Meilenstein gefeiert werden sollte – egal, wie klein er scheint. Denn auch Bücher oder Filme brauchen Inspiration aus dem echten Leben. Für junge Mädchen, die noch zögern ihren eigenen Weg zu gehen, findet sie klare Worte: „Just go for it. Es sollte einen nichts aufhalten. Geh deinen Weg, und mach dir überhaupt keine Gedanken, was andere über dich denken könnten. Es wird immer Leute geben, die sich über dich lustig machen. Aber irgendwann merken sie, dass du es trotzdem erreicht hast.“ Auch Andrea weiß, was sie will. „Ich würde gerne meinen Roman veröffentlichen. Und ich würde auch gerne wollen, dass es mindestens zwei Personen gibt, die diesen Roman auch richtig toll finden. Ich habe außerdem unglaublich viel Spaß daran, Events zu organisieren. Ich möchte, dass Menschen Freude haben – und das bringt mir wiederum auch Freude.“

Das Herz schreibt mit
Andrea Grum ist eine Frau, die ihr Leben schreibt wie andere eine Geschichte. Sie kennt die Dunkelheit, aber sie entscheidet sich für das Licht. Sie ist Träumerin und Realistin zugleich, jemand, der aus Leidenschaft Gemeinschaft formt, aus Schmerz Mut schöpft und aus Sehnsucht ein Zuhause baut. Ihr Lebensmotto klingt wie eine Widmung, die über allem steht: Alles wird besser – wenn du dich traust, deine Träume zu verfolgen.