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Das Ende der Pandemie: Gamechanger für die (weibliche) Karriere?

// Bettina Conci //
Am 13. Februar erschien in der Südtiroler Tageszeitung ein Artikel zum Thema der beruflichen Wechselbereitschaft aufgrund der Corona-Pandemie, auch und vor allem bei den Frauen. Darin wies AFI-Direktor Stefan Perini auf eine bundesdeutsche forsa-Studie hin, die diesen Trend aufzeigte. In Südtirol war davon laut AFI-Barometer vom Winter 21/22 noch nichts zu merken, weshalb wir den Sommer 2022 mit Spannung erwarten – und bei der Expertin nachfragen. Barbara Jäger, Wirtschaftswissenschaftlerin mit Master für Human Resource Management, ist den meisten Südtiroler Arbeitgeber- und -nehmer*innen als geschäftsführende Gesellschafterin der Business Pool GmbH in Bozen bekannt.
© wocintechchat.com/Unsplash
Was ist Ihre Prognose für die (weibliche) Arbeitswelt im Sommer 2022?
Eine Vorhersage ist sehr schwierig. Schon über die letzten Jahre – wir überwachen diese Entwicklung natürlich engmaschig – bemerkte man, dass der Januar der Monat ist, in dem sich die meisten Bewerber*innen anfangen zu bewegen. Das hängt vielleicht mit dem Jahresbeginn und der damit verbundenen Lust auf einen Neuanfang zusammen. Diese Tendenz hat sich auch dieses Jahr wieder bestätigt. Dass sich auffallend mehr Menschen nach der Pandemie auf Jobsuche begeben, kann man aber nicht sagen. Was sich feststellen lässt, ist: Die Gründe für einen Wechsel haben sich geändert. Für Arbeitnehmer*innen mit mindestens zwei, drei Jahren Berufserfahrung und mehr gilt, dass sie einen Jobwechsel anstreben, weil sich ihre aktuelle Stellung nicht mit ihren Wertvorstellungen deckt oder sie nicht klarkommen mit der Unternehmenskultur. Ein weiterer Grund für einen Jobwechsel ist die vielgerühmte und -zitierte Flexibilität. Aber was ist darunter zu verstehen? Flexibler Arbeitsbeginn und -ende, der Wunsch, die 40 Wochenstunden auf viereinhalb Tage zu komprimieren, hybrides Arbeiten, also die Kombination aus Büro und Smart Working – das klassische Homeworking muss es gar nicht (mehr) sein.
Also alles Szenarien, wie sie Frauen zugutekommen würden, die ja oft auch Kindererziehung, Haus- und Pflegearbeit zu stemmen haben. Wie aber sieht die Realität bei Südtirols Arbeitgeber*innen aus?
In der Realität stellen wir fest, dass der Wunsch nach Flexibilität bei Arbeitgeber*innen bei weiten nicht so stark ausgeprägt ist, wie bei den Arbeitnehmer*innen. Arbeitgeber*innen sollten neue Wege beschreiten, um Mitarbeiter*innen zu binden, auch wenn sie im Smart Working sind. Dort nämlich verlieren die Angestellten oft nur allzu leicht den Bezug zu ihren Arbeitgeber*innen. In Bezug auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist Smart Working nicht die Allzwecklösung, wie viele Frauen bestätigen können. Zu bedenken gilt, dass diese Lösung in vielen Branchen gar nicht möglich ist, zum Beispiel im Handel oder in der Gastronomie. Für diese Menschen hat sich, was die Arbeitszeiten und die Flexibilität betrifft, durch die Pandemie nichts geändert.
Also bleibt alles beim Alten?
Ja und nein! Es gibt sehr wohl Betriebe, die sich auf
die neuen Gegebenheiten einstellen und somit die besten Mitarbeiter*innen und Talente ans Unternehmen binden und neue finden. Gerade die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf ist nämlich kein Frauenthema, sondern ein Thema für alle.
Quer durch alle Branchen herrscht Arbeitskräftemangel, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor. Sind Arbeitnehmer*innen somit am längeren Hebel, was die Jobverhandlungen angeht?
Die Studien aus Deutschland und Österreich zur steigenden Bereitschaft, den Job zu wechseln, kennen wir ja mittlerweile alle zur Genüge. In Südtirol sind diese Zahlen erfahrungsgemäß immer niedriger, was an einer Kombination verschiedener Faktoren liegt: die kulturelle Prägung, die Tatsache, dass bei uns die Unternehmen sehr oft familiengeführt sind, mit Arbeitnehmer*innen, die nahe am Arbeitsort leben und in das Team gut integriert, sprich: verwurzelt, sind. Genau diese Rahmenbedingungen sind enorm wichtig für Frauen bei einem Jobwechsel. Aber die sitzen jetzt gerade tatsächlich am längeren Hebel. Es herrscht keine Arbeitslosigkeit mehr, sondern Arbeiterlosigkeit. Und diese Entwicklung kommt nicht ganz unerwartet, wir wissen das seit Jahren. Einer Studie des Tiroler Arbeitsmarktservice zufolge ist 2023 das Jahr, in dem mehr arbeitsfähige Menschen aus dem Berufsleben ausscheiden als eintreten. Damit fehlen bis 2030 ungefähr 35.000 Berufstätige, quer durch alle Branchen. Diese Hochrechnung für das Bundesland Tirol kann auch auf Südtirol umgemünzt werden. Es handelt sich dabei um pure Mathematik, nämlich schlicht um das Wegfallen der geburtenstarken Jahrgänge.
Bedeutet eine erhöhte Wechselbereitschaft automatisch auch mehr Mut bei Gehalts- und sonstigen Verhandlungen?
Als Frau (natürlich auch als Mann) muss ich mir darüber im Klaren sein, was ich will – und wo ich dafür Abstriche mache. Wenn ich das abwäge und eine Entscheidung getroffen habe, kann ich mich besser bewegen. Frauen sollten sich ruhig mehr zutrauen – auch und vor allem bei Gehaltsverhandlungen. Dafür braucht es gesundes Selbstvertrauen, Netzwerke und Vorbilder. Eine Frau will bei einer Bewerbung alle Kriterien erfüllen, wohingegen Männer häufig die Möglichkeit sehen, sich in eine Position hineinzuentwickeln. Das Weibliche wie z.B. Intuition und Empathie sollten im Wirtschaftsleben mehr Einzug halten. Daran müssen wir arbeiten, bis in die Führungsetagen der Unternehmen, Verbände, Banken, Politik. Hierzulande ziemlich hapert es mit der Vertretung des weiblichen Geschlechts in Führungsrollen. „Diversity“ ist in aller Munde – in Südtirol gibt es da noch viel Luft nach oben.
Was für Chancen ergeben sich durch die Pandemie bzw. deren nahendes Ende?
Das Ende der Pandemie kann für viele Grund zum Neustart sein, so wie der Januar in jedem neuen Jahr. Der Arbeitsmarkt bietet Suchenden derzeit die Möglichkeit, einen Job zu finden, der zu ihnen passt, Freude macht, in dem sie sich entwickeln können. Und auch Arbeitgeber*innen ziehen einen Vorteil daraus: Es ergeben sich perfektere Matchings. Arbeitnehmer*innen finden etwas, was wirklich ihren Wunschvorstellungen entspricht und sind damit auch bessere, leistungsfähigere Mitarbeiter*innen für ihre Chef*innen. Eine Win-win-Situation!
„Es herrscht keine Arbeitslosigkeit mehr, sondern Arbeiterlosigkeit.“ © Barbara Jäger

SPEAK
Porträt: Laura Volgger

Von Mauern und Menschen

// Bettina Conci //
Laura Volgger (Jahrgang 1994) ist in Südtirol aufgewachsen und lebt seit 2020 in Berlin, wo sie als Künstlerin arbeitet, schreibt, Fotografie studiert und Schüler*innen in Deutsch, politischer Bildung und Kunst unterrichtet. Der gebürtigen Innichnerin liegt die Arbeit für eine Gesellschaft ohne Diskriminierung sehr am Herzen, so sehr, dass sie auch ihre vielseitigen Tätigkeitsfelder daran ausrichtet. Im Jahr 2020 erhielt sie den Preis für wissenschaftliche Arbeiten vom Landesbeirat für Chancengleichheit, und 2022 nahm sie mit zwei Videoinstallationen zusammen mit 26 anderen Künstlerinnen an der „Frauenfeste“ teil, die noch bis 18. April in der Franzensfeste zu besichtigen ist.
Die Frauenfeste und das Projekt „Brickfuck“, 2022 © Laura Volgger
Warum bist du rastlos?
Weil es auf dem Weg der Gleichberechtigung leider noch sehr viel zu tun gibt und ich gewisse Änderungen lieber früher sehen würde als später. Je mehr Frauen Energie in den Wandlungsprozess stecken, desto schneller erreichen wir das Ziel. Zwischen wissenschaftlichen und künstlerischen Arbeiten betätige ich mich auch in der Bildung, wo ich mich stark mit dem Thema Feminismus befasse – in Installationen, Workshops und Artikeln. Im Kern steht die Sache, um die es mir geht, eine Botschaft. Und diese Botschaft versuche ich über unterschiedliche Kanäle hinauszubringen.
Und was ist diese Botschaft?
Bestimmte Gesellschaftsgruppen werden systematisch diskriminiert oder benachteiligt. Das findet in verschiedensten Bereichen statt und äußert sich in verbaler Abwertung bis hin zur Anwendung von Gewalt. Die Botschaft ist das Streben nach einer diskriminierungsbefreiten Gesellschaft als ideales Ziel.
Ein erreichbares Ziel?
(lacht) Nun, darüber kann man jetzt ausgiebig philosophieren…. Sagen wir mal so: Wir sollten nicht davor zurückschrecken, uns am Idealzustand zu orientieren, und nicht von vornherein zaghaft sein.
Du bist Autorin, Performancekünstlerin, Fotografin. Wie ist die Gewichtung für dich, welche Reihenfolge ist dir persönlich am liebsten?
Momentan bin ich viel schreibtechnisch und in visuellen Welten unterwegs und weniger performance-mäßig, wenn, dann im Videobereich. Vielleicht auch wegen der Corona-Pandemie. Ich studiere Fotografie und unterrichte Geschichte, politische Bildung und Kunst an einer Gesamtschule in Berlin. Wenn ich diese Tätigkeiten reihen müsste, käme ich ins Schleudern. Ich glaube eigentlich auch, dass sich all diese Bereiche sehr gut ergänzen. Man muss sich nicht entscheiden. Ich bin auch sehr dankbar dafür, dass ich mich in verschiedenen Bereichen ausdrücken und verwirklichen kann, immer in Abhängigkeit davon, was ich erreichen will. Wenn ich mehr öffentliche Denkanstöße geben will, sind künstlerische Aktionen oft hilfreich, weil sie für alle zugänglich sind und eine ganz andere Sichtbarkeit haben, wenn ich mich selbst weiterbilden und mich intensiv mit einem Thema auseinandersetzen will, muss ich schreiben. Dabei lerne ich immer ganz viel Neues dazu. Workshops und bildungspolitische Arbeit sind genauso wichtig, auch in der Freizeit. Demnächst starten wir, das Orga-Team Frauenmarsch-Donne in Marcia, mit der Stuhlinstallation „On Remembrance“, die anlässlich des Frauenmarsches entstanden ist, an den Südtiroler Schulen. Im Sommer geht es ins Pustertal zu einem Performance-Workshop über Geschlechterrollen. Eigentlich betreibe ich alles mit derselben Leidenschaft. Bestimmte Themen, zum Beispiel Gleichberechtigung und Abbau von Vorurteilen, stehen dabei immer im Vordergrund.
Du bist eine der rund 25 Künstlerinnen, die für die Ausstellung „Frauenfeste“, die am 5. März in der Franzensfeste eröffnet wurde, zwei Monate lang kreativ gearbeitet haben. Was stellst du aus und worum geht es in deinem Projekt?
Ich habe mich dort zwei Videoarbeiten zum Thema Mut bzw. Courage gewidmet. Der Grundgedanke dabei: Es ist einfacher, in einer Routine zu bleiben, wo sich nichts verändert. Einen Wandel herbeizuführen und sich auf unbekanntes Terrain zu begeben, kostet Mut und Überwindung. Dabei ging ich vom Bauwerk der Festung aus, die mit ihren Steinen, Ziegeln und Mauern ein historisch „männlicher“ Ort ist. Somit wird ihr mehr Aktivität und Handlungsstärke zugeschrieben, während das Prinzip Frau eher passiv ist. Da stellte sich mir die Frage, ob solche Rollenzuschreibungen noch stabil sind, und wie kaputt das Fundament einer Gesellschaft sein muss, die einen Teil der Bevölkerung bevorzugt und mehr Repräsentationsfläche bietet als dem anderen. Vom Fundament ausgehend, habe ich in einem der Videos einen Frauenkörper dargestellt, der sich an einer Mauer der Festung reibt, eine monotone, mechanische Bewegung, die darauf hinweisen soll, dass diese genannte Rollenzuschreibung geändert werden kann: Die Frau wird aktiv, die Mauer statisch. Die Rollen werden vertauscht. Das 2. Video bietet eine recht explosive Soundkulisse, eine Frau lädt quasi dazu ein, Ziegelsteine zu zerschlagen und damit dem kaputten Fundament zum Einsturz zu verhelfen. Dies soll auch als Einladung zum Mitmachen gesehen werden.
Du hattest über ein Volontariat in einem interkulturellen Innsbrucker Verein und später beim Schreiben deiner Diplomarbeit viel mit Frauen aus aller Welt, Frauen mit Migrationsgeschichte und dem Schaffen neuer soziokultureller Räume zu tun. Schlägt sich das auch in einem deiner künstlerischen Werke nieder?
Durch die Begleitung dieser Frauen beim Spracherwerb habe ich sehr viel über ihren Hintergrund erfahren, Geschichten über Kriege und Krisengebiete und Infos zu den Themen soziale Exklusion, Integration und das Potenzial von interkulturellen Räumen gehört. Und es ist jetzt noch nicht spruchreif, aber tatsächlich floss die eine oder andere Erfahrung in ein Romanprojekt ein, das gerade im Entstehen ist.
Laura Volgger und ihre aktuelle Leidenschaft, die Fotografie. © Judith Klemenc