Role Models | Der -Fragebogen

Heidi Ulm

// Bettina Conci //
Die 23-jährige Biologiestudentin hat nur einen Arm und eine instabile Halswirbelsäule. Sie fährt unbeirrt Auto und Rad, klettert und schwimmt, trinkt manchmal zu viel Kaffee und kocht gerne. Unermüdlich setzt sie sich für die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigung ein, macht überall dort auf Mängel und Gesetzeslücken aufmerksam, wo es ihr auffällt.
Bist du Feministin?
Absolut und jederzeit! Leider verstehen viele den
Begriff falsch. Feminismus bedeutet, dass unabhängig
vom Geschlecht gleichwertige Bedingungen herrschen.
Als Frau mit einer Beeinträchtigung bin ich einer Mehrfachdiskriminierung ausgesetzt und verfolge deshalb einen intersektionalen Feminismus, der die sozialen Kategorien Alter, Herkunft, Klasse und eben auch Beeinträchtigung miteinbezieht.
Was beschäftigt dich gerade?
Der Erfolg der postfaschistischen Partei FdI in Italien, der Ukraine-Krieg, Afghanistan und die dortige Unterdrückung durch die Taliban, die Umweltkrise. Aber auch meine ganz persönliche Krise, da ich im Moment nicht weiß, welche Arbeit ich ausüben möchte (und auch kann und darf) und zu welchem Studium ich wechseln soll. Es ist schwer zuzugeben, dass man in einem emotionalen Loch steckt, aber auch hier braucht es Sensibilisierungsarbeit und Sichtbarkeit. Auch Themen der Inklusion begleiten mich ständig. So kämpfe ich etwa dafür, dass Menschen mit Behinderung eine anständig entlohnte Arbeit erhalten, selbstständig wohnen können usw. Ich frage mich auch immer wieder, wie man am besten auf unsere Probleme aufmerksam machen kann: Wie radikal darf und sollte man sein? Um nicht nur Negatives zu nennen: Es freut mich sehr, dass ich ein Mitglied des Südtiroler Monitoringausschusses bin und dort auch für die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigung eintrete. Und dass es immer wieder auch positive Beispiele von Zusammenhalt und Solidarität gibt. Wie dieses Interview.
Wer beeindruckt dich besonders?
Persönlich beeindruckt mich meine Freundin Anna, die ein Schmetterlingskind ist (sie ist eine junge Frau, aber das ist die richtige Terminologie der Hauterkrankung) und sich nie beschwert. Sie ist ein Beispiel dafür, dass Menschen mit Behinderung auch eine Familie mit Kindern gründen und ein ganz „normales“ Leben führen können. Das wird hoffentlich irgendwann nicht mal mehr diskutiert werden müssen.
Welche Botschaft hast du an die Frauen und Männer, die behaupten, wir hätten schon eine gleichberechtigte Gesellschaft?
Die Statistiken beweisen etwas anderes. Es gibt noch so viele Ungerechtigkeiten, denen Personen nur aufgrund von Herkunft, Sexualität, Religion und Behinderung ausgesetzt sind. Die Ungerechtigkeiten sind nie Lappalien und sollten auch nicht so wahrgenommen werden, denn es geht um viel mehr: um das Leben einzelner. Immerhin passiert jeden dritten Tag ein Femizid in Italien.
Ich würde diesen Menschen nahelegen, mit einem differenzierteren Blick durch die Welt zu gehen und hin und wieder einen Blick in den Alltag von Menschen, die einer Minderheit angehören, zu werfen.

Editorial

Dignità - Würde

Die Würde des Menschen ist unantastbar.

In der Theorie. Denn was die Verfassung so unmissverständlich festschreibt, wird im Alltag mit Füßen getreten, mit Worten erniedrigt, mit Blicken verachtet: die Würde der Menschen. Die Würde der Frauen. Die Würde all jener, die nicht in ein vorurteilbehaftetes Raster passen. Im Iran, in Italien, in Südtirol.
In dieser ëres-Ausgabe werfen wir einen Blick darauf, wie es um die Würde steht. Anlass ist ein denkbar schmerzlicher, am 25. November ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. Die Bilanz: ernüchternd. Denn egal wie viele Opfer es zum jährlichen Stichtag auch sein werden: Jede ist eine zu viel. Ihrer Würde beraubt. Unwiederbringlich.
Diese letzte Ausgabe 2022 ist zugegebenermaßen eine „gewaltvolle“. Umso bewusster lenken wir den Blick auf die Würde in der Arbeitswelt, in der Schlagerbranche, in der Werbung. Und wir veröffentlichen eine Liste von Anlaufstellen, die Ihnen in diesem inflationsgebeutelten Winter – würdevoll – unter die Arme greifen können.

Wir wünschen Ihnen eine gute Lektüre,
Maria Pichler, Chefredakteurin