ëres young

Der Teufel in der „Liebe“

// Kathinka Enderle //
Wenn ich an die Begegnung mit Anna* (23) denke, spüre ich eine Gänsehaut. Obwohl ich Einzelheiten ihrer Geschichte bereits im Vorfeld kannte, wusste ich nicht, wie tief dieses Gespräch werden würde. Als sich die Eingangstür öffnete und sich unsere Blicke trafen, war mir klar, dass dieses Interview kein einfaches werden würde. Anna bestellte sich etwas zu trinken, atmete tief ein und sah mich an. „Fangen wir an…“
„Ich habe mir als kleines Mädchen immer gewünscht, irgendwann meinen Traumprinzen zu finden. Er sollte ein echter Charmeur sein. Als ich 2013 Alex kennenlernte, dachte ich das erste Mal, dass ich meinen Traumprinzen gefunden habe. Es war wie aus einem typischen Jugendroman: Wir lernten uns in der Schule kennen und waren gemeinsam in einer Klasse. Schon bald freundeten wir uns an und aus dem Jungen, der anfangs nur ein Freund war, wurde bald mein fester Freund. Blicke ich zurück, erkenne ich den Wendepunkt unserer Beziehung. Nach dem Schulabschluss veränderte sich alles. Wie in Goethes „Faust“ erfuhr ich immer öfters, wie sehr der Teufel in meinem geliebten Alex steckte. Sexuelle Übergriffigkeiten passierten häufig. Den Sex mit ihm wollte ich nicht immer, doch auch wenn ich Nein sagte, kam ich nicht drum rum. Alex setzte immer öfters psychischen Druck mir gegenüber ein, um den Sex zu bekommen, den ich in diesen Momenten nicht wollte. Auch physisch zwang er mich dazu. Ich schottete mich immer mehr ab, ebenso vor meinen Freund*innen. Nach fünf Jahren Beziehung und einer zu langen Zeit in der Hölle auf Erden trennten wir uns. Das war der Punkt, an dem ich mir dachte: Sowas geschieht mir nicht mehr. Ich sollte aber falsch liegen.
2021 hatte ich das Gefühl, mit dem Erlebten klarzukommen. Ich wurde zur Studentin, zog von Daheim aus und begann ganz neu. Neue Freunde, neue Unabhängigkeit und neue Freiheit. Warum nicht auch ein neuer Freund? Ich meldete mich bei einer Dating-App an. Leon wurde mir vorgeschlagen. Wir fingen an zu schreiben und trafen uns bald. Es gefiel mir, wie ambitioniert er war und dass er mich zum Lachen brachte. Ich hatte das Gefühl, er stünde mit beiden Beinen im Leben und war offen für jegliche Abenteuer, die auf ihn warteten. Sobald wir nach 1,5 Monaten nicht mehr nur auf Dates gingen, sondern von einer Beziehung sprachen, sah ich erneut den Teufel, wie er sich in einem von mir geliebten Mann versteckte.
Wir stritten uns häufig. Nahezu täglich wurde ich beschimpft und angeschrien. Wenn wir stritten, spürte ich oft seine Hand um meinen Hals, wie sie mich immer stärker würgte. Ich wurde bespuckt und mit Objekten beworfen. Seine Hand traf mich oft im Gesicht. Ich versuchte mich verbal zu wehren. Obwohl ich mich auch von ihm trennte, habe ich nach wie vor in jeglicher zwischenmenschlichen Beziehung Angst vor Auseinandersetzungen. Ich bekomme Panik, wenn nicht alles perfekt läuft und habe Angst, meine Meinung zu sagen oder generell zu widersprechen. Mein jetziger Partner weiß über meine Ex-Freunde Bescheid. Er behandelt mich gut und gibt mir die Zeit, die ich brauche. Es musste einige Zeit vergehen, damit ich Sexualität wieder genießen konnte. Wir kommunizieren über jede Kleinigkeit, trotzdem bleibt die Angst, dass die kleinsten Dinge alles kaputtmachen würden. Es ist ein Teufelskreis. Ich dachte immer, dass mir so etwas nie passieren würde. Dass ich sicher und geschützt wäre und kein Mann, der von Liebe spricht, so grausam wäre. Ich lag falsch, – zwei Mal.“

Literarische Frauenstimmen

Unschuld und Sühne

// Bettina Conci //
Alexandra Fössinger schreibt, seit sie lesen kann. Die gebürtige Klausnerin hat mit „Contrapasso“ im November 2022 ihren ersten Gedichtband veröffentlicht – auf Englisch. Beruflich im Agenturleben beheimatet, hat die Kreativdirektorin einer bekannten Südtiroler Werbeagentur ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland. Mit ihrer neunjährigen Tochter lebt sie in Kiel.
Es geht um Vieles im Erstling der Klausnerin: Liebe, Strafe, Fremdes, Vertrautes, Eingesperrt-Sein, Freiheit. Und um Vögel.© Alexandra Fössinger / Cephalopress
Ihr Lieblingstier ist der Oktopus. Drei Herzen, nachwachsende Tentakel, Anpassungsfähigkeit, Geschick, Anmut, emotionale Intelligenz und eine gewisse Hartnäckigkeit, mit der sich das Tier irgendwo festsaugt und nicht mehr loslässt. So erschien es der Lyrikerin natürlich als gutes Omen, dass ausgerechnet der kleine britische Independentverlag Cephalopress Interesse an ihren Gedichten bekundete.

Die Sammlung entstand in einem Zeitraum, der sich mit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie und den darauffolgenden Lockdowns deckte. Thematisch zusammenhängend und in einer früheren Version den Titel „Luckdown“ tragend, ist der Leitgedanke des Eingesperrt-Seins, sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn.
Eingesperrt, als die ganze Welt eingesperrt war
Der Covid-Bezug fiel recht früh weg, weil – wie die Autorin nüchtern konstatiert – „kein Verleger wollte mehr etwas zu diesem Thema hören. Im Nachhinein finde ich es etwas schade, weil es vielleicht irgendwann recht aufschlussreich ist, unter diesem Gesichtspunkt auf diese Zeit und das Geschriebene zurückzublicken.“

Nun lese ich ja fast nie Lyrik. Zu anspruchsvoll, zu anstrengend, zu wenig Wörter, zu viel Metaebene. Aber es gibt Gedichte, die liest man, und die packen eine*n bei den Eingeweiden. Alexandra Fössinger gibt der Leserin das Gefühl, live dabei zu sein, während sie ihre innerste Gefühlswelt bis auf die Knochen entblößt. Dabei ist die Frage, wie viel davon wirklich ihrem Erlebten und wie viel ihrer Fantasie entsprungen ist, überhaupt nicht wichtig.
Dante als Namensgeber
Dieses Gefühl des Gefangenseins während der Pandemie, verbunden mit den schmerzlichen und sehr persönlichen Erfahrungen, die Alexandra Fössinger in jener Zeit machte, inspirierte sie und lieferte ihr das Leitmotiv, Dantes Inferno, den heutigen Titel der Gedichtsammlung. Contrapasso ist ehrlich, roh, mutig und von einer eigentümlichen sprachlichen Schönheit, die wahrscheinlich daher rührt, dass die Autorin eben nicht in ihrer Muttersprache schreibt. Die Gedichte schrieb sie nämlich an ihren damaligen Partner, der in dem Zeitraum einige Monate lang unschuldig im Gefängnis saß – und mit dem sie auf Englisch kommunizierte. So halfen sie ihnen, in dieser Zeit nicht durchzudrehen und dieses Eingesperrt-Sein zu einem Zeitpunkt, als die ganze Welt eingesperrt war, zu überstehen.

Das Buch lässt die Leser*innen staunend, nachdenklich, melancholisch und ein bisschen deprimiert zurück. Aber auf eine gewisse Weise – wie soll ich sagen? – auch schön deprimiert.
Englisch schafft eine gewisse Distanz, die ich brauche, um Lyrik schreiben zu können,“ sagt Alexandra Fössinger. © Alexandra Fössinger