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Über Respekt rund ums Kinderkriegen

// Hannah Lechner //
Vera Lechner aus Südtirol und Felicitas Gößnitzer-Gharabaghi aus Kärnten sind Hebammenstudentinnen in Wien. Die ëres hat mit ihnen über respektvollen Umgang rund ums Kinderkriegen, über Mutterschaft und Geburt als feministische Themen und über unterschiedliche Formen von Gewalt im Kreißsaal gesprochen.
Geburt als feministisches Thema: Vera, Fee und ihre Hebammenklasse auf der Demo zum 8. März 2022 © privates Foto


Wenn ihr an einen respektvollen Umgang rund ums Kinderkriegen denkt – was wollt ihr denn als Erstes gern loswerden?
Ein Thema, das auf den ersten Blick vielleicht banal klingt, das uns aber sehr wichtig ist, ist einfach ein gewisser Grundrespekt vor Schwangeren und Gebärenden, der schon viel früher anfängt als erst bei der Geburt. Wenn jemand schwanger wird, wird viel zu oft einfach Freude als einzig mögliches Gefühl angenommen, es werden sehr intime Fragen gestellt oder ungefragt Tipps gegeben, der Bauch wird immer wieder angefasst usw. – Schwangere verlieren durch solche Verhaltensweisen ihren Status als Individuum und werden aufs Schwanger-Sein reduziert. Was wir uns in dieser Hinsicht wünschen, ist ein sensibler und respektvoller Umgang und dieser beginnt mit sehr „simplen“ Verhaltensweisen wie z.B. damit, dass man keine Fragen stellt, die nur eine Antwort zulassen: „Wie fühlst du dich?“ statt „Mah, da freust du dich sicher sehr, ha?“ Und all das gilt natürlich auch für die Geburt selbst und alles, was danach kommt: Mutter- bzw. Elternschaft und die damit zusammenhängenden Gefühle sind nichts Geradliniges, sie können mit viel Freude verbunden sein, es muss aber auch Platz für „negative“ Gefühle und Momente des Zweifelns und Bereuens sein. Ambivalenz darf da sein! Und damit sind wir eigentlich schon bei einem zweiten Thema, das auch sehr viel mit respektvollem Umgang zu tun hat, nämlich dass Geburt ständig romantisiert wird. Versteht uns nicht falsch: Geburt kann auf jeden Fall etwas Schönes sein, aber wir müssen viel öfter und offener darüber reden, dass es AUCH harte Arbeit ist und unter gewissen Umständen sehr traumatisierend sein kann. Und da gehört auch das Wochenbett dazu: Der schwierige Teil ist mit der effektiven Geburt nicht abgeschlossen und genauso wenig ist danach automatisch alles rosarot. Respektvoller Umgang im Wochenbett bedeutet für uns, situationsspezifisch zu entscheiden, ohne zu verurteilen und nicht zu Gunsten von Prinzipien und Schwarz-Weiß-Denken über die Bedürfnisse der Person, die gerade geboren hat, drüberzufahren: Wenn sich eine Frau z.B. wünscht, einfach eine Nacht erholsamen Schlaf zu kriegen, ohne ihr Neugeborenes im Zimmer zu haben, ist sie nicht automatisch eine schlechte Mutter. Eine Lehrende, die uns beide im Laufe des Studiums sehr geprägt hat, hat mal gesagt: „Eine Frau, die geboren hat, ist eine Königin. Auch acht Wochen nach der Geburt.“ Das finden wir einen schönen Grundsatz – gerade wenn es um respektvollen Umgang geht.
In feministischen Diskursen rund um Schwangerschaft und Geburt ist oft die Rede von „Informed Choice“, auf Deutsch könnte man von „informierten Entscheidungen“ oder „informierter Wahlfreiheit“ sprechen. Warum ist dieses Konzept wichtig, wenn es um Respekt und mögliche Formen von Gewalt geht?
Respektvoller Umgang vor und während der Geburt fehlt oft, wenn Interventionen nicht angekündigt oder erklärt werden. Liest man Geburtsberichte von Personen, die ihre Geburt als traumatisch erlebt haben, fällt auf, dass genau das für viele das Problem war: dass sie nicht wussten, was gerade passiert. Und dann passiert sehr schnell Gewalt. Ein für uns wichtiger Grundsatz ist daher Transparenz: Wir versuchen, den Gebärenden alle notwendigen Informationen zu geben, die sie brauchen, um eben solche „informierten Entscheidungen“ zu treffen und sich nicht ausgeliefert zu fühlen. Das heißt natürlich nicht, alle medizinischen Details genau zu erklären, aber wir können ehrlich sein und MIT der gebärenden Person arbeiten. Und natürlich müssen wir in Stress- bzw. Notfallsituationen oft sehr schnell handeln. Aber im Normalfall ist eine Geburt ja keine Notfallsituation, die Transparenz und „informierte Entscheidungen“ durch die Gebärenden von vorneherein unmöglich macht. Ein gutes Beispiel ist vielleicht die Gebärposition: Auf dem Rücken liegend, wie wir das aus popkulturellen Formaten kennen, ist nicht die einzige Position, ein Kind zu gebären und eigentlich auch keine vorteilhafte (es sei denn, Gebärende entscheiden sich bewusst dafür, weil es sich gerade angenehm anfühlt). Im Grunde „arbeiten“ sie dabei aber gegen die Schwerkraft, weil der Beckenausgang in dieser Position nach oben gerichtet ist und sie das Kind sozusagen nach oben drücken, was mehr Kraft braucht. Auf dem Rücken liegend zu gebären ist mit der Medikalisierung und Institutionalisierung von Geburt, die ihren Anfang im 18. Jh. nahm, die dominante Position geworden und zwar ganz einfach deshalb, weil die Ärzte und Medizinstudenten in dieser Position am besten sehen und „hingreifen“ konnten. All diese Informationen sollten Gebärenden nicht vorenthalten werden, wie wir finden.
Geht es um physische Formen von Gewalt im Kreißsaal kommen oft der Kristeller-Griff oder die Episiotomie, also der Dammschnitt, vor. Können wir darüber noch sprechen?
Der Kristeller-Griff funktioniert einfach erklärt so, dass während der Wehe von außen Druck auf die Gebärmutter ausgeübt wird. Er wird sehr kontrovers diskutiert, unter anderem weil er mit einem hohen Verletzungsrisiko einhergeht. Kommt er dennoch zum Einsatz, ist es vor dem Hintergrund dessen, was wir gerade eben über Transparenz und Respekt gesagt haben, natürlich nicht okay, einfach ins Bett der Gebärenden zu steigen und den Griff anzuwenden, ohne das anzukündigen. Genauso wie „Wir drücken jetzt ein bisschen von außen mit“ keine ausreichende Erklärung ist.
Eine andere Form von physischer Gewalt im Kreißsaal ist, wenn ein Dammschnitt ohne Indikationen, die von internationalen Leitlinien vorgegeben werden und wissenschaftlich evaluiert worden sind, durchgeführt wird. Wenn also geschnitten wird, ohne dass das „notwendig“ ist, weil es etwa dem Kind nicht gut geht und es sofort raus muss. In den 70ern war das noch Usus, da wurde einfach der Großteil aller Gebärenden geschnitten und immer noch wird zu oft geschnitten, ohne dass wirklich die Notwendigkeit besteht. Das zeigt sehr anschaulich: Die Kulturgeschichte der Geburt ist auch eine lange Geschichte von patriarchaler Machtausübung, Unterdrückung und Gewalt. Wir als junge Hebammen und Feministinnen sehen unsere Aufgabe auch darin, das zu verändern.

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„Ich betete zu Gott: bitte lass meine Gefühle für Frauen verschwinden“

// Kathinka Enderle //
Andrea verliebte sich in der Mittelschule zum ersten Mal. Und zwar nicht in einen Jungen wie die meisten Mädels in diesem Alter. Sie verliebte sich unglücklich in ihre beste Freundin Emma. Seit ihrem Outing blüht Andrea, 20, auf und steht mit Stolz zu sich. Von Stolpersteinen, welche Rolle Südtirol spielt und ihren Erfahrungen mit der Gesellschaft erzählt sie selbst.
© Raphael Renter / Unsplash
„Ich kann mich noch genau erinnern, als mir meine Gefühle für Emma zum ersten Mal klar wurden. An diesem Tag, an dem es mir so richtig einleuchtete und ich aufhörte, meine Emotionen abzustreiten, war ich mit Emma und einer anderen gemeinsamen Freundin Nora in Emmas Zimmer. Es kam zu einem Streit – wie jedes Mal, wenn Emma von Jungs-Problemen erzählte. Ihre Gefühle konnte ich nicht verstehen. Das führte öfters zu einem Chaos, nicht nur in mir, sondern auch in unserer Freundschaft. Ich saß auf dem Boden, mit dem Kopf zur Wand, ganz eng zwischen zwei Kästen, fast schon in die Ecke gedrängt. Als Emma während unseres Streites aus ihrem Zimmer ging, fragte mich schließlich Nora, ob ich mir sicher wäre, dass meine Gefühle für Emma rein freundschaftlicher Natur sind. Obwohl mir klar wurde, dass ich in sie verliebt war, unterdrückte ich meine Gefühle weiterhin und litt unter der Situation, da ich tief in der Freundeszone steckte und mir klar war, dass nicht mehr entstehen konnte.
In dieser Zeit habe ich oft unter Tränen zu Gott gebetet, damit meine Gefühle für Frauen verschwinden. Ich wollte immer eine ‚normale‘ Familie wie die meiner Eltern. Als ich merkte, dass das Beten nichts ändert, habe ich damit aufgehört und stattdessen damit begonnen, meine Homosexualität zu akzeptieren.“
Zukunftsangst: werde ich akzeptiert oder abgelehnt?
„Mit meinem Outing habe ich gewartet, bis ich schließlich in der Oberschulzeit meine erste Freundin mit heim nahm. Ich wollte sagen können: Das ist meine Freundin. Zuerst vertraute ich mich meiner Mutter an, da mir der Draht zu meinem Vater heilig war. Ihre Reaktion werde ich nie vergessen: „Hauptsache, du bist glücklich, es macht keinen Unterschied.“ Auch mein Vater hat zu meiner Erleichterung super reagiert. Anfangs nahmen mich meine Eltern bei größeren Familienkreisen in Schutz, sodass ich mein Outing langsam angehen konnte. Meine Großeltern erfuhren es als nächstes, anschließend meine Tante. Ab da verbreitete sich die Information von allein. Lustigerweise können Väter in der Familie oft leichter mit der Homosexualität ihrer Töchter umgehen, als es Mütter können. Das konnte ich mehrmals bemerken. Väter wissen, wie schön es ist, eine Frau zu lieben. Für Mamas ist das Ideal oft noch der Mann, der Wunsch nach ‚dem Einen‘.
Ich kann mich erinnern, dass es einst ein Gespräch zwischen meinen Eltern und Verwandten gab. Diese Verwandten sind die einzigen in meiner Familie, die konservativer eingestellt sind. Es war kein Wunder, als sie Sätze wie: ‚Ma, des mit dem Lesbisch sein…‘, aussprachen. Auch von ihrem Sohn, meinem gleichaltrigen Cousin, kamen verletzende Aussagen wie ‚Lieber bi als nie‘ und ‚Kurze Haare darfst du nicht tragen, denn das ist die Lesbenfrisur‘.
Meine Freunde hingegen reagierten ebenfalls sehr aufgeschlossen. Ich denke, das hängt damit zusammen, dass ich meinen Kreis unbewusst bereits auf die Menschen reduziert hatte, die offen sind. Trotzdem wünsche ich niemandem ein Outing. Es ist eine Situation, in der man seinen Liebsten etwas so Intimes sagen möchte, aber Angst haben muss, dass man nicht richtig angenommen wird, nur weil man zu sich selbst steht. Ich würde mir wünschen, dass Outings nicht mehr notwendig sein müssten. Da Heterosexualität in unserer Gesellschaft jedoch immer noch, verständlicherweise, die Norm ist, ist es nahezu unumgänglich.“
Jetzt darf ich, ich selbst sein
„Nach meinem Outing fühlte ich mich glücklicher. Ich litt vorher unter dem Druck, mich verstellen zu müssen. Jetzt kann ich mich ausleben. Mit der Zeit beginnt man damit, sich zu feiern. Deshalb mag ich auch Pride-Paraden. Mir kam es besonders am Anfang so vor, dass ich das ‚Sich-selbst-zeigen-und-feiern“ aufholen muss. Dass ich stolz sein kann, so zu sein, wie ich bin. Das Gefühl, eine Frau zu lieben, ist eigentlich wunderschön, wird aber oft schlecht geredet. Ich habe nicht nur einmal gehört, dass sich Homosexualität nun mal nicht gehört, weil man es nicht so oft sieht. Aber in den ersten Malen, in denen man es genießen darf, eine Frau zu lieben, wird die ganze Welt automatisch viel schöner.“
Südtirol, Italien & die katholische Kirche - Liebe und Unverständnis
„Leider sind Südtirol und auch Italien in Bezug zur Homosexualität etwas problematisch. Man kann als homosexuelle Person definitiv leben, allerdings haben Menschen mit einer konservativen oder christlichen Denkweise oft Probleme mit meiner Sexualität. Seit ich weiß, dass die Kirche gegen meine Sexualität ist, habe ich keine Verbindung mehr zu ihr. Das ist schade, weil ich immer sehr katholisch war. Ich habe fünf Jahre lang jeden Mittwoch die Fürbitten in der Kirche gelesen, war die Beste im Religionsunterricht und habe acht Jahre katholische Schule hinter mir. Ich mag es nicht, wenn man religiöse Werte mit sich transportiert und über Menschen, die ‚anders‘ sind, automatisch eine schlechte Meinung hat. Eigentlich ist der Konsens in der Gesellschaft, dass Homosexualität okay ist. Von besonders religiösen Menschen hörte ich aber auch schon das Gegenteil, nämlich dass es eine Sünde wäre. Die Gesetzeslage spiegelt diese Einstellung wider. Das Gesetz, dass diskriminierende Handlungen und Aufrufe zur Gewalt gegen LGBTQIA+ Menschen sowie Menschen mit Beeinträchtigung geahndet werden sollten, platzte 2020. Eigentlich sollte Homophobie dem Rassismus gleichgestellt werden. Bei Verstößen wäre es sogar zu Freiheitsstrafen gekommen. Die Durchsetzung scheiterte. Gesetzlich fühle ich mich nicht geschützt. Auch Themen wie Familiengründung, künstliche Befruchtung oder sogar Abtreibung leiden.
Selbst Transsexualität ist ein Thema, das für viele in Südtirol ein Rätsel ist. Es wäre schön, wenn auch die öffentlich-rechtlichen Medien diese Themen mehr beleuchten und erklären würden. Eine Quote für Homosexualität wäre interessant. Schön wäre auch eine stärkere Repräsentation. Dabei geht es mir nicht darum, dass Homosexualität unter die Nase gerieben werden soll. Neutralität würde ausreichen. Das fängt auch bei der Sprache an. Genderneutrale Sprache ist mir wichtig. Genauso wie Studentinnen nicht genannt werden, wenn man nur von Studenten spricht, wird auch das Familienbild mit zwei Mamas generell kaum genannt. Ich unterstütze das in der Hoffnung, selbst unterstützt zu werden. Dasselbe gilt für marginalisierte Gruppen, zum Beispiel Menschen mit Kopftuch oder mit Migrationshintergrund. Wir gehören alle zu denen, die ausgeschlossen werden und sollten zusammenhalten. Würden sich Minderheiten zusammenschließen, wären wir eine Mehrheit.
Wenn wir nur in der Akzeptanz stehen bleiben, sind wir noch nicht am Ende
„Deshalb ist Respekt für mich auch so wichtig, da zwischenmenschliche Beziehungen nicht nur bei Akzeptanz aufhören dürfen. Respekt ist für mich etwas Aufrichtiges, während Akzeptanz nur ein ‚Nebeneinander-Leben‘ ist. Akzeptanz darf nie das Ende sein, bis zum Schluss muss es immer in Respekt münden. Es kann zwar ein guter Anfang sein, um sich anzunähern, aber wenn wir in der Akzeptanz stehen bleiben, sind wir noch nicht am Ende.
Jetzt geht es mir mit meiner sexuellen Orientierung gut und ich stehe vollkommen zu und hinter mir. Trotzdem war das ein langer Weg, der sich nicht immer als einfach gestaltete. Für all jene, denen es ähnlich wie mir ergeht, würde ich mir wünschen, wenn Sie, liebe*r Leser*in, sich für mehr Durchmischung in unserer Gesellschaft einsetzen würden. Wir sollten unsere Hände öffnen und sie uns gegenseitig reichen. Homophobie ist keine Meinung und schließlich sind wir alles Menschen, die dasselbe verbindet: die Liebe.“

Danke Andrea für das spannende Interview!