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Zielgruppe: LGBTQIA+

// Jenny Cazzola | Centaurus //
Wie ist es um den LGBTQIA+ Tourismus in Südtirol bestellt? Dieser Frage ist unibz-Absolvent Matteo Czeslik in seiner Bachelorarbeit nachgegangen.
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„Der Status Quo von nicht-heteronormativem Tourismus in Südtirol“ heißt die Diplomarbeit, mit der Matteo Czeslik 2022 sein Bachelorstudium in Tourismus-, Event-, und Sportwissenschaften an der unibz abgeschlossen hat. Darin geht er der Frage nach, welche Angebote es in Südtirol für queere Tourist*innen gibt und welche Hürden queeren Menschen auf Reisen begegnen.
Minderheitenstress
Unter Minderheitenstress versteht man den vermehrten Stress, dem Angehörige einer sozialen Minderheit aufgrund ihrer Position in der Gesellschaft ausgesetzt sind. Unterschiedliche Minderheiten erleben unterschiedlichen Minderheitenstress und dieser beeinflusst das Verhalten und die Konsumentscheidungen von Betroffenen. Das gilt auch für LGBTQIA+ Personen. Sie achten bei der Wahl ihres Urlaubsziels besonders auf ihre Sicherheit, aber auch darauf, mit wem sie reisen und wie sie sich auf Reisen verhalten. Viele LGBTQIA+ Personen bevorzugen Destinationen, in denen sie rechtlich vor Diskriminationen geschützt sind. Das ist in Südtirol nur zum Teil der Fall, denn es gibt in Italien aktuell kein Gesetz, das breit vor Diskriminierung in allen Lebenslagen schützt.
Trotzdem ist Südtirol als Urlaubsziel für queere Menschen interessant. Vor allem die Möglichkeit, die Südtiroler Landschaften zu genießen und sich aktiv zu betätigen, wird von LGBTQIA+ Reisenden geschätzt. In diesem Punkt unterscheiden sie sich nicht von heteronormierten Reisenden. Die Motivation dahinter allerdings schon, denn draußen trifft man seltener Menschen, die Gefahr diskriminiert und Minderheitenstress ausgesetzt zu werden, ist kleiner. Faszinierend ist in diesem Zusammenhang auch die Beobachtung, dass queere Menschen besonders den Herbst in Südtirol schätzen. Winter und Wintersport sind für diese Zielgruppe eher weniger interessant. Czeslik stützt diese Beobachtung auf eine Studie von 2019, die von der US-amerikanischen Community Marketing & Insights durchgeführt wurde. Ob er damit eine Marktlücke entdeckt hat?
Ein großer Stressfaktor für reisewillige queere Menschen ist die Unterkunftssuche. Oft ist nicht ersichtlich, ob ein Hotel LGBTQIA+ friendly ist, nur selten wird dies explizit – z.B. auf der Hotelwebsite – kommuniziert. Czeslik hat untersucht, wie Hotels auf homosexuelle Paare reagieren und kommt zu dem Schluss, dass nur 6 Prozent der Beherbergungsbetriebe in Südtirol einen Unterschied zwischen homo- und heterosexuellen Gäst*innen machen, wobei Diskriminierung vermehrt in abgelegeneren Ferienregionen auftritt. Auch scheinen Hotels mit mehr Sternen queeren Paaren gegenüber aufgeschlossener zu sein als Betriebe mit weniger als drei Sternen.
Positiv, aber ausbaufähig…
…ist die Situation des nicht-heteronormativen Tourismus in Südtirol laut Czeslik. Um die Situation zu verbessern, braucht es aber noch viel. Bessere rechtliche Rahmenbedingungen. Bessere Kommunikation von Seiten der Beherbergungsbetriebe. Und auch den Einsatz der Südtiroler Tourismusagierenden, die queere Personen als Zielgruppe wahrnehmen und auf ihre Bedürfnisse eingehen müssen.

Barrierefreier Tourismus in Südtirol

Herausforderung und Chance zugleich

// Heidi Ulm //
Der regnerische Mai ist vorbei, die sommerlichen Temperaturen sind nun hoffentlich auch in Südtirol zu spüren und die Sonne gibt den Serotoninkick. Der Sommer und die damit verbundene Reiselust ist wohl bei jeder und jedem angekommen. Doch nicht für alle ist Reisen eine selbstverständliche Freizeitaktivität.
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Für Menschen mit Behinderung bedeutet Reisen meistens viel Planung, Flexibilität, Geduld und Verzicht. Doch wie barrierefrei ist das Reisen in Südtirol? Eine Bestandsaufnahme von mehreren Selbstbetroffenen und meiner Wenigkeit (einer Frau mit einem Arm).
Die Öffis – eine dualistische Situation
Barrierefreies Reisen, falls nicht mit dem Privatfahrzeug, erfordert als allerersten Schritt barrierefreie öffentliche Verkehrsmittel. Die Situation in Südtirol weist mehrere Schwachstellen auf. Es gibt zwar die neueren Züge ohne Treppen, Niederflurzüge genannt, jedoch stellen die Höhendifferenzen zwischen Bahnsteigen und Zugeinstiegen an verschiedenen Bahnhöfen für Rollstuhlfahrer*innen ein Hindernis dar.
Dabei muss aber auch zwischen Handrollstuhl und elektrischer Rollstuhl unterschieden werden, wobei letzterer nicht nur mal kurz mit Kraft über ein Hindernis getragen werden kann.
Die Brennerbahnlinie verläuft vom Brenner bis nach Salurn und hat einige Haltestellen, die nur bedingt oder mit Hilfestellung zugänglich sind, darunter der Bahnhof Brenner und der Bahnhof Bozen. Rollstuhlfahrer*innen beklagen, dass sie nicht mit dem Zug nach Österreich fahren können, weil ein Umsteigen unmöglich ist. Ähnliche Probleme gibt es auch am Bahnhof von Bozen. Für eine Landeshauptstadt ist das eine schwache Leistung, wobei gerade (Mai 2023) durch das Anbringen von Treppenliften entgegengewirkt wird.
Für Fahrgäste mit Behinderungen gibt es an den meisten nicht zugänglichen Bahnhöfen einen Reiseassistenzdienst (Sala blu), der über mobile Hebebühnen verfügt und mindestens 24 Stunden vor Reiseantritt über den Italienischen Schienennetzbetreiber RFI gebucht werden kann. Dieser Dienst ist wichtig, löst jedoch nicht das grundlegende Problem und hat mit flexiblem, selbstbestimmtem Reisen wenig gemeinsam. Es gibt jedoch positive Beispiele wie die Bahnhöfe von Klausen, Waidbruck/Lajen, Leifers und Auer, die eine gute Barrierefreiheit und einen komfortablen höhengleichen Einstieg bieten.
Auch die eingleisige Bahnlinie Meran-Bozen weist Hindernisse auf, weil die Bahnhöfe von Terlan und Bozen keinen barrierefreien Einstieg ermöglichen. Hier sollen jedoch Modernisierungsarbeiten stattfinden.
Der Vinschgerzug zwischen Meran und Mals bietet immer einen stufenfreien Eingang, wobei der Abstand zwischen Wagon und Bahnsteig auf ein technisch machbares Minimum reduziert wurde. Das noch bessere Bild gibt die Pustertalbahn ab, die fast gänzlich barrierefrei ist. Einzig der Bahnhof von Innichen besitzt noch keine höhengleiche Einstiegsplattform. Die Toilette an Bord ist gut zugänglich und für eine selbstständige Benützung (falls physisch möglich) gewährleistet.
Die vielen Probleme in Bussen
Nicht nur Treppen stellen Barrieren dar, sondern auch fehlende visuelle und/oder akustische (Haltestellen)Durchsagen für Menschen mit einer Seh- oder Hörbehinderung. Falls es sich um einen Niederflurzug handelt, funktionieren diese Durchsagen gut. Was aber ein Problem darstellt, sind kurzfristige Durchsagen am Bahnhof, die teilweise vergessen werden schriftlich anzuzeigen.
Die Durchsagen stellen aber in Bussen ein enormes Problem dar. Vor allem die Überlandbusse, aber auch Stadtbusse haben oft keine visuelle und/oder akustische Durchsage der Haltestellen. Ein Glücksspiel also, ob die Durchsage funktioniert oder nicht.
Fehlende oder defekte Rampen sind ein weiteres großes Problem. Auch die Bushaltestellen sind nicht immer barrierefrei, so fehlt häufig die Überdachung für Rollstuhlfahrer*innen, die somit wortwörtlich „im Regen stehengelassen“ werden. Zurzeit nehmen viele Betroffene deshalb lieber das Privatfahrzeug.
Dagegen sind die meisten Seilbahnen barrierefrei und ermöglichen eine schnelle und komfortable Fahrt. Ein gutes Beispiel ist die Rittner Seilbahn, die sogar Platz für mehrere Rollstühle (oder Kinderwägen) hat.
Übrigens kann jede*r solche nicht barrierefreien Begebenheiten beispielsweise der Antidiskriminierungsstelle oder dem technischen Büro des Landesamtes für Menschen mit Behinderungen melden.
Männer und ihr Vorteil bei barrierefreien Toiletten
Eine barrierefreie Toilette ist mehr als nur ein extra großer Raum mit einem „Rollstuhlsymbol“ an der Tür. Hier kommt das Thema Geschlecht zum Zuge. Während bei männlichen Rollstuhlfahrern, die auf Hilfe angewiesen sind, eine Urinflasche angelegt werden kann, ist das kleine Geschäft bei Rollstuhlfahrerinnen alles andere als klein und schnell erledigt. Meistens sind mehrere Menschen erforderlich, um die Person vom Rollstuhl auf die Toilette zu tragen. Das Ausmaß und die Art der Unterstützung ist jedoch individuell aufzufassen. Ein wahrlich barrierefreies WC sollte daher auch über einen Hebekran und eine Liegefläche verfügen. Zudem sollte der Seifenspender einarmig zu bedienen sein. Diese Aspekte werden oft übersehen, aber ich als jemand mit nur einem Arm erlebe letztere Barriere hautnah. Die Schaffung einer solchen Toilette in jeder Stadt wäre doch mal ein innovatives Projekt für Südtirol.
Das Reiseportal „Südtirol für alle“
Barrierefreies Reisen beinhaltet nicht nur den Abbau von architektonischen Barrieren, sondern umfasst viele weitere Aspekte. Dazu gehören Kulturangebote in leichter Sprache oder in Gebärdensprache, digitale Speisekarten, Wandern oder Sportarten auszuüben ohne Hindernisse und ein geschultes Personal. Wo können Menschen in Südtirol solche Informationen finden?
Es gibt das Reiseportal „Südtirol für alle“ von der Sozialgenossenschaft Independent. Dort werden barrierefreie Hotels, Restaurants, Museen und Sehenswürdigkeiten, Seilbahnen, Schwimmbäder sowie Wanderungen in Südtirol beschrieben und mit Fotos dokumentiert. Die Barrierefreiheit wird mit einem Smileysystem bewertet (5 Smileys =das Beste), sodass Benutzer*innen einen schnellen Überblick erhalten. Die Suche nach Unterkünften etc. kann durch wählbare Optionen wie Aufzüge, glutenfreies Essen oder Schwimmbadlifter verfeinert werden. Die Webseite ist auch in Leichter Sprache verfügbar. Zusätzlich gibt es den Wanderführer „Barrierefreies Naturerlebnis für alle“, der geprüfte Wanderungen mit detaillierten Angaben zu Barrierefreiheit beschreibt.
Versteckte Herausforderungen beim Reisen mit Behinderung
Reisen mit Behinderung bedeutet oft zusätzliche Kosten, beispielsweise für das Fahren mit dem Privatfahrzeug oder die Begleitung einer persönlichen Assistenzperson. Menschen mit Behinderungen haben meistens schon weniger Einkommen und müssen sich ungewollt einen teureren Urlaub leisten können. Auch haben manche Menschen mit Behinderung aufgrund von Therapieaufenthalten keine Zeit auf einen Entspannungsurlaub oder haben keine Begleitpersonen, sodass sie nur die Möglichkeit haben, an gemeinsam organisierten Gruppenreisen mit anderen Betroffenen teilzunehmen. Obwohl dies Spaß machen kann, sind es dennoch Einschränkungen, mit denen viele Menschen mit Behinderungen konfrontiert sind.

Barrierefreiheit ist nicht nur für Menschen mit Behinderungen wichtig, sondern erleichtert auch das Leben für Eltern mit Kleinkindern, Senior*innen und Menschen mit vorübergehender Behinderung (z.B. gebrochener Fuß). Es ist an der Zeit eine 360-Grad-Barrierefreiheit mit Selbstbetroffenen als Expert*innen umzusetzen, um eine inklusive Gesellschaft zu schaffen, in der alle Menschen gleichberechtigt teilhaben können.
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