Sei servita – Das Bild der Frau in der Werbung

Wahlwerbung: Wenn Sexismus in die Hose geht

// Maria Pichler //
Man nehme einen Frauenhintern – bestenfalls in Lederhose, in Jeans oder im Bikini – und einen billigen Spruch: denn „sex sells“, auch in der Politik. © Andreea Juganaru - unsplash
Wenn in diesen Wochen unsere Postbot*innen unter der Last von Wahlwerbung stöhnen und unzählige Hochglanzprospekte, Postkarten und Briefe unsere Briefkästen überfluten, lohnt sich doch ein kritischer Blick auf Bildmotive und Wahlsprüche – denn Sexismus macht auch vor Wahlwerbung nicht halt.
Auffallen um jeden Preis?
Dabei ist die Herausforderung für die Parteien und Kandidat*innen im Kampf um die vergleichsweisen raren Plätze im Hohen Haus nicht ohne: Wer gewählt werden will muss auffallen – um (fast) jeden Preis! Ob markante Sprüche gewürzt mit einer Prise Derbheit oder einer Portion an Witz und Charme gemischt mit etwas Anrüchigkeit: der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Und da sind Sexismus, Diskriminierung und Ausländerfeindlichkeit oft nicht weit.
Wo werden die Kandidatinnen platziert?
Wie die Südtiroler Parteien in diesem Herbst diese Herausforderung meistern, das sei der kritischen Bewertung der ëres-Leserinnen und Leser überlassen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich die Wahlstrateg*innen im Lande genau überlegen werden, welche Farbe der Blazer und welches Muster die Krawatte auf dem Werbefoto haben sollen, wer in der ersten Reihe stehen darf, wo die Kandidatinnen platziert werden und ob im Hintergrund der Schlern, Schloss Tirol oder der NOI-Techpark zu sehen sind.
Das Internet vergisst nicht
Im besten Fall sorgen sie mit ihrer Werbung für Gesprächsstoff – und auch wenn das Internet genügend Beispiele für sexistische, rassistische und diskriminierende Wahlwerbung auf Lager hat, muss das keineswegs heißen, dass sich ein solcher Fauxpas nicht wiederholt. Ob ein Frauenhintern in Lederhose mit dem „kreativen“ Wahlslogan „Jetzt pack ma’s an!“ der konservativen CSU in Bayern (Kommunalwahlen JU Mettenheim 2020), die Strandnixen auf dem Weg ins Wasser und dem Spruch „Burkas? Wir steh’n auf Bikinis“ der rechtspopulistischen AfD (Bundestagswahlen 2017), aber auch der schwarze weibliche Hintern, um den sich weiße Frauenhände mit rot-lackierten Fingernägeln schließen und der Botschaft „Der einzige Grund, Schwarz zu wählen. Zeit für Grün“ (Kommunalwahlen Kaars in Nordrhein-Westfahlen, 2009) zeigen schonungslos auf, dass politisch korrekt oftmals weit entfernt ist von Politik. Klar, ist schon eine Weile her. Das Internet aber vergisst nicht, obwohl manche Partei (und so manches Model) das Bildmaterial am liebsten vernichtet wissen würden. Dennoch, wer sich die Mühe macht zum Thema zu recherchieren, merkt bald: kein Land, keine Partei, keine Wahl sind vor sexistischer Wahlwerbung gefeit. Und oft ist es ein sprichwörtlicher Männerclub, der dahinter steht. Bleibt die leise Hoffnung, dass die Landtagswahlen 2023 in Südtirol eine der wenigen rühmlichen Ausnahmen bilden.

Schubladenblick

Wie Ohspialer nicht ausschauen

// Hannah Lechner //
Eine Almgeschichte über Berufswahl, Identitätskategorien und den Schubladenblick von außen
Irgendwann am Anfang des vergangenen Sommers wanderte ich mit zwei mir verwandten Personen in ihren frühen 60ern, nennen wir sie Roman und Irene, auf eine Alm im Obervinschgau. Die Saison hatte noch nicht begonnen, alles war in Vorbereitungsstimmung. Jemand lud große Plastiksäcke voll geselchter Rippen aus dem Kofferraum eines kleinen blauen Autos, die Küche hatte noch geschlossen und vor dem Haus saß ein Mann – nennen wir ihn Martin – und schliff mit einer Handschleifmaschine Forstbänke ab. Wie man das auf Almen im Obervinschgau so macht, blieb Roman neben ihm stehen. „Iaz wearts nor sou longsom lousgean, ha? Wos tuasch du do aft Olb?“, fragte er. „I bin dr Ohspialer.“, sagte Martin, Roman freundlich anschauend. Dieser lachte: „Bisch dr Chef, oder?“ „Nana“, bekräftigte Martin, ruhig und immer noch freundlich, „i bin dr Ohspiahler. Und soulong mr nu koan Aufschonk hobn, hilfi holt drweil olls herrichtn.“ Ich stand daneben, verwirrt über den Verlauf dieses beiläufigen Gesprächs. Etwas stimmte nicht mit seinem Aufbau, etwas an der inneren Logik dieser kurzen Frage-Antwort-Sequenz wollte sich mir nicht ganz erschließen. Was war hier gerade passiert? Obwohl sich Martin ohne unterdrücktes Lachen, das auf einen (schlechten) Witz hätte hindeuten können, ohne die Spur eines Grinsens auf seinem Gesicht, ohne einen Hauch von Ironie in seiner Stimme als Ohspialer vorgestellt hatte, schien diese Antwort für Roman so absurd, dass er sie ohne zu zögern als Scherz interpretierte und seinerseits einen Alternativvorschlag in Bezug auf Martins Rolle auf der Alm machte: jene des Chefs. Erlaubt mir einen Analyseversuch: Die Person, die Bänke-schleifend vor uns saß, war definitiv zu alt, um einen Sommer lang als Praktikant ausgenutzt zu werden, sie war weiß, männlich gelesen und ihrer Sprache nach zu urteilen aus Südtirol. Diese Kombination von nach außen sichtbaren Identitätskategorien hatte offensichtlich dazu geführt, dass Roman eine völlig ernst gemeinte Antwort ganz automatisch als scherzhaft verbucht hatte: Für ‚mittelalte‘, weiße, ‚einheimische‘ Männer ist die Rolle des Ohspialers ganz einfach nicht vorgesehen, sondern eine andere.
Warum erzähle ich diese Geschichte? Weil sie auf wunderbar komprimierte und plakative Art und Weise ein Problem vor Augen führt, das sich weder auf Almen im Obervinschgau noch auf Roman als Person beschränkt: So lange wir in einer Gesellschaft leben, in der die Antwort von Menschen wie Martin, sie seien ‚dr Ohspialer‘, als Witz interpretiert wird, sind wir nicht frei in der Berufswahl. So lange werden junge Mädchen eher keine Ingenieurinnen werden und bildungsbenachteiligte Menschen oder Menschen mit Migrationsgeschichte eher keine Lehrer*innen, Ärzt*innen oder Bürgermeister*innen. Weil die Gesellschaft andere (Berufs)Kategorien für sie vorsieht und diese Wege ganz einfach nicht im Rahmen des Denk- und Träumbaren liegen. Und so lange – denn das ist die andere Seite der Medaille – werden die Martins dieser Welt den Druck verspüren, eben nicht ‚nur‘ der Ohspialer zu sein, sondern mindestens der Junior-Chef. „Ach komm“, wollen einige von euch jetzt vermutlich sagen, einen Anflug von Genervtheit ob meiner pauschalisierenden und pessimistischen Zukunftsprognose verspürend, „das liegt doch jedem frei und außerdem kenn ich diese eine Tochter eines Freundes, die ist eine junge Bauingenieurin und sehr erfolgreich, und die Geschichte dieses einen jungen Mannes, der kam vor ein paar Jahren als Flüchtling hier an, hat seinen Schulabschluss gemacht und ist jetzt an der Uni inskribiert.“ Das ist sehr schön, würde ich antworten, ich freu mich für die Tochter und ich freu mich für den jungen Mann – ich mag Erfolgsgeschichten! Aber leider kennt ihr halt immer noch nur diese einen.