Warum Nicht?

Mehr Frauen in die Politik

Radiospot des Landesbeirats für Chancengleichheit für Frauen „Weiblicher Wind“
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Landesbeirat für Chancengleichheit

Von der Freiheit zu wählen

// Maria Pichler //
Seit 1946 dürfen Frauen in Italien und in Südtirol wählen – bei politischen Wahlen. Mehr als 75 Jahre später zeigt sich jedoch, dass diese Wahlfreiheit zwar in der Theorie, aber noch nicht in der Praxis und erst recht nicht in allen Lebensbereichen angekommen ist. Der Gleichstellungsaktionsplan Südtirol ÆQUITAS soll dem entgegenwirken.
Wenn Männer sich gleichberechtigter in die Erziehung und Familie einbringen, sind Wahlfreiheit und Vereinbarkeit für Mütter kein Thema mehr © Vitolda Klein - unsplash
Das Wahlrecht ist Fundament jeder Demokratie, das Frauenwahlrecht ein bedeutender Meilenstein. Wenn die Südtirolerinnen und Südtiroler in etwas mehr als einem Monat an die Urnen gerufen sind, um einen neuen Landtag zu wählen, dann nehmen hoffentlich viele dieses Recht auch wahr – und geben ihre Stimme kompetenten, engagierten und mutigen Frauen. Denn nach wie vor sind Frauen in der Politik in der Minderheit – und wenn sich daran etwas ändern soll, dann nützt kein Lamentieren und Protestieren, sondern nur den Stift in die Hand zu nehmen und Frauen zu wählen!
Wenn Frauen keine Wahl haben…
In Sachen Geschlechtergerechtigkeit und Chancengleichheit gibt es in Südtirol noch einiges zu tun: denn die Freiheit (und die Möglichkeit) ein selbstbestimmtes Leben zu gestalten, ist für viele Frauen auch im 21. Jahrhundert und im Herzen Europas noch keine Selbstverständlichkeit. Keine Wahl (mehr) haben die 35 Frauen, die seit 1992 in Südtirol gewaltsam getötet wurden, keine Wahlmöglichkeit sehen aber auch all jene Frauen, deren Beziehungen von physischer, sexueller, psychischer oder finanzieller Gewalt geprägt sind. Keine Wahl haben Frauen, die gerne arbeiten möchten, aber ohne tatkräftige Unterstützung des Partners dastehen und keine Kinderbetreuung finden. Oder jene, die sich liebend gerne um die Erziehung ihrer Kinder oder die Pflege ihrer Eltern kümmern würden, die Einkommens- und Rentenlücken aber finanziell nicht stemmen können. Keine Wahl haben die Frauen in Politik und Wirtschaft, die trotz ihrer Bemühungen, ihrer Kompetenz und ihres Engagements in festgefahrene Rollenbilder gesteckt werden und sich daher nicht so einbringen können, wie sie es gerne möchten.
Gleichstellungsaktionsplan ÆQUITAS für mehr Wahlfreiheit
Damit sich das in Zukunft ändert, hat der Landesbeirat für Chancengleichheit für Frauen in den vergangenen beiden Jahren intensiv die Arbeit am Gleichstellungsaktionsplan ÆQUITAS begleitet. Im Grunde handelt es sich dabei um Schritte zu mehr Chancengleichheit in acht Handlungsbereichen, die innerhalb der nächsten fünf Jahre gesetzt werden sollen. Anfang August hat die Südtiroler Landesregierung den Aktionsplan zur Kenntnis genommen und die Führungskräfte des Landes damit beauftragt, die konkrete Umsetzbarkeit zu prüfen und anzugehen. Damit das strategische Dokument aber nicht still und heimlich in den Schubladen der Direktionen verschwindet, wird mittels eines Umsetzungsmanagments laufend geprüft werden, ob und wie die Ziele erreicht werden.
Nicht länger auf die weibliche Expertise verzichten
Zweifelsohne: der Kampf um mehr Chancengleichheit ist ein mühsamer und langer. Und wenn der mehr als 150 Seiten starke Plan auch sehr umfangreich ist – jedem der acht Handlungsfelder geht eine fundierte Analyse voraus – so sind die Ziele dann ziemlich klar formuliert. Nehmen wir ein konkretes Beispiel, das in diesen Tagen mehr als aktuell ist: die geschlechtergerechte Besetzung von politischen Ämtern. In Südtirol leben mehr als 270.000 Frauen – gut 5.000 mehr als Männer. Dennoch sind im aktuellen Südtiroler Landtag nur neun von 35 Abgeordneten weiblich. Wenn wir ehrlich sind, spiegelt der Landtag damit nicht die aktuelle Südtiroler Bevölkerung wider – und das ist ein Problem, denn im Grunde kann und darf die Politik des 21. Jahrhunderts die weibliche Expertise nicht ausklammern. Daher schlägt der Gleichstellungsaktionsplan ÆQUITAS einen Wahlmechanismus vor, mit dem beide Geschlechter verstärkt gewählt werden, kurzum: eine geschlechtergerechte Vorzugsstimme. Dies soll sicherstellen, dass die Wählerinnen und Wähler ihre Stimme gleichberechtigt Frauen und Männern geben müssen – und künftig der Südtiroler Landtag, aber auch die Gemeinderäte und andere politische Ämter ausgewogener sind.
Steter Tropfen höhlt den Stein
Während die Einführung einer geschlechtergerechten Vorzugsstimme eine einschneidende Veränderung im Wahlsystem bedeutet, gibt es noch eine Reihe anderer Vorschläge für mehr Wahlfreiheit, etwa im Bereich Vereinbarkeit von Familie und Beruf – ein Thema, von dem viele Mütter ein Lied singen können, wie tilia auf Seite 17 beschreibt. Damit sich Männer in der Erziehung und Pflege verstärkt in die Pflicht nehmen lassen, braucht es ein gesellschaftliches Umdenken. Mit Sensibilisierungs- und Informationskampagnen allein ist es dabei aber nicht getan, vielmehr sollen in den nächsten fünf Jahren Ehe- und Geburtsvorbereitungskurse verstärkt auf eine gleichberechtigte Elternschaft eingehen. Vorgesehen ist daher, dass die Lerninhalte in der Ausbildung von Hebammen und anderen Fachkräften im Sozial- und Gesundheitswesen, die mit (werdenden) Eltern zu tun haben, angepasst werden. Es sind kleine, aber konkrete Schritte. Und steter Tropfen höhlt bekanntlich den Stein. Wenn dann immer mehr Väter das Landesfamiliengeld + in Anspruch nehmen, immer weniger Mütter im ersten Lebensjahr ihrer Kinder den Job kündigen und mehr Männer und Väter für die Pflege von Familienmitgliedern eine Freistellung bzw. einen Sonderurlaub beantragen, dann ist das Beweis, dass diese kleinen Schritte zu einem großen Fortschritt beitragen können.
Damit Frauen eine Wahl haben
„Das geht alles viel zu langsam“, mag jetzt die eine oder andere aufstöhnen. „Wieder so ein theoretisches Dokument, das sich niemand durchliest.“ Natürlich: auf die Straße gehen und protestieren, öffentlich lamentieren und (an)klagen, was in punkto Chancengleichheit falsch läuft, ist wichtig und richtig, aber bringt dann konkret nicht immer viel. Für eine politische Diskussion braucht es Grundlagen mit Fakten, Analysen und Lösungsansätzen. Der Gleichstellungsaktionsplan – an dem landesweit viele Frauen und Männer engagiert mitgearbeitet haben – ist ein solches Dokument, das die Ausgangslage analysiert, Lösungen einfordert und Kontrollmechanismen vorsieht. So ist messbar, ob sich in den nächsten fünf Jahren (endlich!) etwas tut – und wie viel. Vielleicht ist der Aktionsplan gerade deshalb so wichtig, weil er im Grunde alle Informationen sammelt, die für eine Chancengleichheit in Südtirol ausschlaggebend sind. Der Landesbeirat für Chancengleichheit für Frauen fordert daher von der Politik eine rasche Umsetzung des Plans und die Bereitstellung der notwendigen finanziellen und personellen Mittel. Damit Frauen eine Wahl haben.
Am Freitag, 29. September 2023 um 18.00 Uhr im NOI Techpark in Bozen treffen sich alle, die sich in den vergangenen Monaten für den Gleichstellungsaktionsplan eingebracht und am strate­gischen Dokument für mehr Chancengleichheit in Südtirol mitgearbeitet haben, zu einem gemeinsamen Abschluss. Alle Interessierten sind zu diesem Vernetzungstreffen herzlich eingeladen.
Alle Infos dazu auf www.provinz.bz.it/chancengleichheit oder www.aequitas.bz.it
8 Handlungsfelder des Gleichstellungs­aktionsplans ÆQUITAS
1. Arbeit, Beschäftigung und Wirtschaft
1.1. Einkommen
1.2. Zeit/Care
1.3. Arbeit
2. Sicherheit und Schutz vor Gewalt
3. Bildung
4. Gesundheit
5. Politische Gleichstellung und Partizipation von Frauen in allen Bereichen
6. Soziale Sicherheit
7. Initiativen gegen Rollenstereotype
8. Gleichstellung der Geschlechter in den Medien
www.aequitas.bz.it