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Allein die Hoffnung reicht nicht aus
// Maria Pichler //
„Bin ich hier richtig?“, fragen Frauen zunächst, wenn sie sich an eine Kontaktstelle gegen Gewalt wenden. Warum dies der erste Schritt in ein neues Leben sein kann, was Gewaltopfer auf ihrem Weg dorthin erwartet und wer hinter dem Frauenhausdienst steht.
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Es ist einer der wenigen sonnigen Tage in diesem Herbst, an dem sich Mirca und Monika Zeit nehmen, um über ein Thema zu sprechen, das so gar nicht zur spätsommerlichen Stimmung passen will: Gewalt an Frauen. Mirca arbeitet hauptberuflich seit nahezu 23 Jahren in der Kontaktstelle gegen Gewalt der GEA-Sozialgenossenschaft in Bozen, Monika leistet seit etwa vier Jahren an zwei Nächten im Monat gegen ein kleines Taschengeld im Bozner Frauenhaus ihren Dienst und übernimmt das Notruftelefon. Es ist ein Gespräch, das Einblicke gibt in die konkrete Arbeit mit und für Frauen, die Opfer von Gewalt – in der Regel durch die Männer in ihrer Familie wie (Ex)-Männer und -Partner, aber auch Väter und Söhne quer durch alle Gesellschaftsschichten und unabhängig von Herkunft, Sprache, Alter und Bildungsgrad – werden. Das die Dynamiken einer Gewalt anspricht, die auf Angst und Macht beruht und für die es keine Entschuldigung gibt. Und das aufzeigt, dass trotz aller Hoffnungen auf einen Umbruch in unserer patriarchalen Gesellschaft allein die Hoffnung nicht ausreicht, um häuslicher Gewalt zu entkommen.
Nachtdienst: „Hast du Interesse?“
Monika erinnert sich noch gut an den Tag, als sie eine Freundin fragt: „Das Frauenhaus sucht Nachtdienstfrauen. Hast du Interesse?“ Sie zögert nicht lange, fehlt ihr doch seit der Geburt ihrer Tochter ein Stück weit das ehrenamtliche Engagement, das sie jahrelang im Rettungsdienst geleistet hat. „Ich erinnere mich noch, als ich vor 20 Jahren zu einem Einsatz nach Meran gerufen wurde, die Frau in einer schlimmen Lage, völlig verängstigt, mit Schmerzen am Hals, weil sie gewürgt worden war, zwei Kinder“, erzählt Monika von ihren Beweggründen, sich zu engagieren. „Sie wollte aber nicht ins Krankenhaus, sie wollte nicht, dass wir die Polizei rufen aus Angst, noch mehr Schläge zu kassieren. Nein, sie meinte wir würden ihr einen Gefallen tun, wenn wir wieder gehen, denn er sei nur da unten und würde nur darauf warten, wieder zurückzukommen“, erinnert sie sich. „Das ist mir im Gedächtnis geblieben, denn wenn sich jemand das Bein bricht, kann ich einen Verband anlegen. Oder auch bei einem Infarkt kann ich helfen. Bei diesem Einsatz aber musste ich weggehen – und konnte nichts für die Frau tun.“ Nach einem verpflichtenden Kurs übernimmt Monika regelmäßig Nachtdienste im Bozner Frauenhaus – ein Engagement, das sie auch persönlich verändert hat, allein was den Sprachgebrauch zuhause in ihrer Familie angeht: Ihr Mann „hilft im Haushalt nicht mehr nur mit“, sondern „übernimmt Aufgaben“, berichtet sie mit Augenzwinkern.
Frauenhaus: „Venire qua non comporta benefit“
Das Frauenhaus „ist kein schöner Ort“, wirft Mirca ein, „venire qua non comporta benefit“, fasst sie in kurzen Worten in ihrer Muttersprache zusammen. „Frauen und ihre Kinder können für sechs Monate in einer der sechs wirklich kleinen und mittlerweile alten Wohnungen bleiben – und sie tun es aus einer Notlage heraus.“ Daneben gibt es Gemeinschaftsräume, in denen die Kinder gemeinsam spielen und/oder sich die Frauen untereinander austauschen können, „um die Solidarität und die Selbsthilfe zu stärken“, sagt Mirca. Dabei sei die Flucht ins Frauenhaus meist ein geplanter Weg, den die Frauen einschlagen – und kein leichter, denn – Mirca sagt es unverblümt – „eine Frau in einer Gewaltsituation, die sich von ihrem Mann trennen will, riskiert ihr Leben.“ Die Einrichtung mit geheimer Adresse in Bozen ist aber nicht nur sanierungsbedürftig, sondern bietet auch zu wenig Platz und Plätze. „Wir geben die Hoffnung auf ein neues Frauenhaus nicht auf.“ Was aber, wenn eine Frau um vier Uhr morgens anruft, eine Notunterkunft braucht und keine Wohnung frei ist?
Nachtdienst: „Hast du Interesse?“
Frauenhaus: „Venire qua non comporta benefit“
„Es gibt Fälle, die kein Protokoll vorsieht“
„Es ist unser Leitmotiv, dass keine verängstigte Frau in einer Gewaltsituation zuhause verharren muss“, schickt Mirca voraus. Monika erinnert sich noch gut an eine solche Situation, in der sie improvisieren musste. „Wir haben ein Protokoll, wie wir vorgehen sollen. Ist kein geeigneter Platz im Frauenhaus frei, dann rufen wir in einem Hotel an“, erzählt Monika. „Einmal ist mir passiert, dass das Haus vollbesetzt war, im Hotel niemand ans Telefon ging, in der Ersten Hilfe die Frau nicht stationär aufgenommen werden konnte. Was also tun? Vor Ort waren die Ordnungskräfte und haben der betroffenen Frau schließlich bis zum nächsten Morgen in ihrer Kaserne einen sicheren Unterschlupf gewährt“, berichtet Monika, die während des Nachtdienstes auch das Notruftelefon betreut, „ein wichtiger Dienst, denn Gewalt geschieht nicht zu Bürozeiten.“ Wie aber geht Monika mit dem Gefühl um, nicht zu wissen was in der Nacht auf sie zukommt?
„Wir sind keine Freundinnen, aber…“
Es ist keine Frage, die die Nachtdienstfrau stärker belastet. „Wenn ich Klettern gehe, dann weiß ich in einer Wand auch nicht, was mich hinter dem nächsten Felsvorsprung erwartet und es hilft auch nichts, mich vorab mit allen möglichen Szenarien zu beschäftigen“, vergleicht Monika. Wenn sie um halb 8 Uhr abends ihren Dienst im Frauenhaus antritt, dann gibt es zunächst eine Übergabe mit den GEA-Mitarbeiterinnen, welche die Frauen und Kinder, aber auch die Grüne Nummer untertags betreuen. „Damit weiß ich schon, was die Frauenhausfrauen gerade beschäftigt und ob es ‚draußen‘ Frauen (mit und ohne Kinder) gibt, deren Situation sich verschlechtern könnte“, sagt die Nachtdienstfrau, die dann an alle Türen im Haus klopft, sich vorstellt, ein Gespräch anbietet. „Dieser Teil des Nachtdienstes gibt mir am meisten“, erzählt Monika. „Wir sind freilich keine Freundinnen, aber – wenn die Frauen mögen – können sie mit uns reden. Im Gegensatz zu den Psychologen, Therapeuten, Anwälten und Richtern müssen sie dabei uns nicht zum x-ten Male ihre Geschichte erzählen, sondern können auch über Belangloses sprechen.“ Es gebe Zeiten, in denen die Türen der Wohnungen verschlossen sind und jede Frau „ihr Ding“ macht – und Zeiten, in denen sie den Austausch suchen. „Ich sehe mich nicht als ein Vorbild, aber mir ist es wichtig zu zeigen, dass es einen Weg gibt und dass es andere Modelle gibt, eine Beziehung oder Partnerschaft zu leben – eine Sache, die sich die Frauenhausfrauen zu Beginn gar nicht vorstellen können.“ Doch die Frauen „verwandeln“ sich während ihres Weges sprichwörtlich, auch äußerlich, erzählen Monika und Mirca.
„Nur mit hoffen kommen diese Frauen nicht weiter”
„Es hat sich in den vergangenen 25 Jahren vieles verändert“, ist sich Mirca bewusst. „Gewalt gegen Frauen ist heute eine Straftat, die entsprechend geahndet wird.“ Dabei sieht die GEA-Mitarbeiterin die Gesetzesänderungen als Vorboten eines gesellschaftlichen Wandels, „der sich hoffentlich auch in den Köpfen der Männer fest verankert.“ Dass viel geschehen ist, zeigt auch die steigende Anzahl der Frauen, die sich an die Kontaktstelle gegen Gewalt wenden. „Es gibt nicht mehr Fälle von häuslicher Gewalt, wohl aber mehr Frauen, die sich Hilfe suchen“, sagt Mirca. „Ma quanto tempo voi parlare?“, wirft die GEA-Mitarbeiterin irgendwann ein, „possiamo proseguire per giorni.” Dabei sind es so viele Themen, die an diesem Herbsttag in Bozen nur gestreift werden: die Verantwortung in der Kindererziehung, die Dynamik der Gewalt in einer Beziehung, die Vorboten wie Eifersucht und Kontrolle, die Angst der Frauen und der Mut, mit dem sie ihr altes Leben zurücklassen –„sich aus einer gewaltvollen Beziehung zu lösen ist nicht so einfach, wie es von außen scheint“ –, der neue Selbstwert und die Entscheidungsfreiheiten, welche die betroffenen Frauen erst zurückgewinnen müssen – und nicht zuletzt die Herausforderung, wertungsfrei und respektvoll diese Entscheidungen hinzunehmen, auch dann, wenn die Frauen zu ihren gewalttätigen Partnern und Männern zurückkehren. Bei alldem ist – das macht Monika abschließend klar – Hoffnung nicht das, was die Frauen in Gewaltsituationen antreibt. „Hoffen, das tun diese Frauen nicht: Sie sind ins Frauenhaus aufgenommen, haben vieles vor sich und sind vielmehr am Tun.“ Nur zu hoffen, das reicht nicht aus.
„Wir sind keine Freundinnen, aber…“
„Nur mit hoffen kommen diese Frauen nicht weiter”
Nachtdienstfrau Monika
Die Sozialgenossenschaft GEA – für die Solidarität unter den Frauen gegen Gewalt ist im Jahr 1999 als Verein gegründet worden. Die Genossenschaft führt die öffentlich zugängliche Kontaktstelle gegen Gewalt, das Frauenhaus mit geheimer Adresse und eine 24/7-Notrufnummer in Bozen, unterstützt Gewaltopfer mit Beratungs- und Betreuungsangeboten, lanciert Sensibilisierungsprojekte und Informationskampagnen und arbeitet in einem Netzwerk mit anderen Diensten wie dem Sozialdienst und den Ordnungskräften. Neben der GEA in Bozen gibt es noch weitere Anlaufstellen für betroffene Frauen sowohl in der Landeshauptstadt als auch in den Bezirken.