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Die Impfluencerinnen
// Bettina Conci //
Die pensionierte Krankenpflegerin Christina Oberhuber (67) und ihre Tochter Petra Demetz (43), Krankenpflegerin im OP, gehören zum Pflegepersonal, das sich für die Coronaschutzimpfung stark gemacht und bereitwillig den Impfdienst der Sanität mit Schichten bis zu elf Stunden verrichtet hat, um die Pandemie einzudämmen. Nach eineinhalb Jahren Ausnahmezustand ziehen die Brixnerinnen Bilanz.
Mutter und Tochter arbeiteten bis zu elf Stunden in der Impfstraße – die eine kam dafür aus der Rente zurück, die andere neben ihrem „normalen“ Dienst als OP-Schwester. © Bettina Conci / ëres
ëres: Wie ist die Grundstimmung zurzeit, wenn ihr euch Impfquote und -bereitschaft anschaut?
Petra Demetz: Die Impfbereitschaft scheint im Moment nicht so groß zu sein. Derzeit sind nicht viele von uns im Einsatz, aus dem simplen Grund, dass es nicht so viele Helfer*innen braucht. Vorher wurden bis zu tausend Leute pro Ort geimpft (z.B. in Brixen), und das in acht bis zehn Impfstraßen. Jetzt gibt es oft sogar nur eine.Christina Oberhuber: Das liegt zum Teil auch daran, dass es jetzt viele offene Impftage gibt. Aber die Impfquote könnte besser sein.
Petra Demetz: Ich glaube, die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, ist bei den Jüngeren größer als bei den Älteren. Die möchten feiern und sich das Leben nicht unnötig verkomplizieren.
Seid ihr enttäuscht? Von der Politik, von der Sanität, von der Gesellschaft?
Christina Oberhuber: Enttäuscht kann man eigentlich nicht sagen. Nach Ausbruch der Pandemie war dies erst mal für alle Neuland. Die Politik hat versucht, das Beste daraus zu machen, da kann es schon mal zu Fehlern kommen. Was die Sanität angeht, ist es ähnlich. Am ehesten bin ich von der Gesellschaft enttäuscht: Jede*r sollte seinen Beitrag leisten, um diese Situation zu überwinden. Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir eine moralische Verpflichtung gegenüber unseren Nächsten haben. Wobei ich voll und ganz verstehe, dass manche Angst vor der Impfung haben, vor Impfschäden und -nebenwirkungen. Ich verstehe das wirklich. Aber wir müssen uns auch vor Augen halten, dass es für unsere Kinder und Jugendlichen wichtig ist, dass wir uns impfen lassen. Von der Gesellschaft dagegen bin ich enttäuscht. In Südtirol gibt es einen Wohlstand, der einfach als selbstverständlich hingenommen wird. Dass da keine*r bereit ist, einen persönlichen Beitrag zu leisten, enttäuscht mich.Petra Demetz: Von der Sanität kann man halten was man will, aber die Impfungen wurden gut organisiert. Denn es geht ja um viel mehr, als nur den Impfstoff zu spritzen.
Christina Oberhuber: Was hinter einem Impftag steckt, sehen die Leute oft nicht. Impfstoffbeschaffung, Personalsuche, Organisation der Räumlichkeiten. Und dann geht die oder der Geimpfte mit einem Impfnachweis bei der Tür hinaus – was bei weitem nicht überall in Italien immer der Fall war, in Südtirol hingegen gleich geklappt hat.
Glaubt ihr, dass die mangelnde Impfbereitschaft speziell in Südtirol ein Problem ist, Stichwort: Wohlstandsverwahrlosung?
Christina Oberhuber: Es sind wohl mehrere Faktoren, die der Impfskepsis zugrunde liegen, der Wohlstand ist nur einer davon. Die Leute bei uns lassen sich nicht gerne etwas vorschreiben. Aber die Menschen müssen verstehen, dass die Wirtschaft unter ihrem Verhalten leidet und dieses Zögern größere Schäden anrichtet. Die Folgen trägt letztendlich die Jugend.
Wie sehr hat Covid euer Leben bestimmt (zu Beginn und jetzt, nach über einem Jahr)?
Petra Demetz: Am Anfang mehr, mittlerweile nicht mehr so sehr. Zu Beginn wussten wir ja auch selbst nichts darüber und waren genauso verunsichert wie die restliche Bevölkerung, auch bei der Arbeit. Man wusste nichts über die Ansteckungswege. Als die ersten Fälle auftauchten und Masken knapp wurden, mussten wir den ganzen Tag dieselbe Maske im OP tragen, weil wir haushalten mussten. Wurden positive Patient*innen operiert, mussten wir FFP3-Masken und die doppelte Kleidung tragen. Es herrschte die totale Verunsicherung, auch im Umgang mit anderen Personen. Man wollte das Virus ja nicht nach Hause bringen.Christina Oberhuber: Während des ersten Lockdowns haben wir uns glaube ich nie gesehen.
Petra Demetz: Es war auch alles etwas gruselig, das Zelt vor dem Krankenhaus, zuerst sah man diese Szenen nur im Fernsehen, dann holte uns die Realität ein. Auch die Militärpräsenz ließ einen erst mal schlucken. Jetzt geht man anders mit der ganzen Situation um, weil man mehr darüber weiß.
Glaubt ihr, dass es durch die Suspendierungen von Sanitätspersonal zu Engpässen kommt?
Petra Demetz: Die gab es schon vorher, jetzt wird’s halt noch enger. Ohne Pandemie würde in fünf Operationssälen in Brixen gearbeitet. Wir hatten vorher schon nicht genügend Personal dafür. Auch auf den Abteilungen wird es wieder eng werden. Das Personal dort hat während der ersten Welle ziemlich etwas mitgemacht. Damals gab es keine geplanten OPs, in dem Sinne war es tatsächlich so, dass weniger zu tun war. Auch Abteilungen wie die Trauma oder gewisse Ambulatorien hatten sicher weniger zu tun in der ersten Pandemiezeit. Wie die Erste Hilfe. Aber auf so einigen Abteilungen ging es rund.
Wie geht ihr mit impfskeptischen oder gar -verweigernden Menschen in eurem näheren Umfeld um?
Christina Oberhuber: Das Thema Impfung spreche ich eher nicht an beziehungsweise vertiefe es nicht weiter, wenn ich merke, dass jemand sich dem verweigert. Ich habe dafür nicht die Energie. Die Menschen wissen ja durch meine Arbeit – oder sollten wissen – wie ich zu dem Thema stehe.Petra Demetz: Im engen Freundeskreis habe ich eigentlich keine Impfverweigerer. Meine Freundinnen und Freunde konnten kaum erwarten, sich impfen zu lassen. Ansonsten vertrete ich die Meinung, dass jede*r selbst verantwortlich dafür ist, was
er/sie macht.
Allerorts heißt es, wir werden lernen müssen, mit dem Virus zu leben. Was bedeutet das konkret?
Christina Oberhuber: Davon bin ich überzeugt. In den nächsten Jahren müssen wir das lernen. Wenn aber viele Menschen geimpft sind, hat ein Virus weniger Angriffsfläche und kann sich weniger verbreiten. Im Prinzip ist es ganz einfach: Man sollte mehr Erwachsene impfen, damit man nicht die Kinder impfen muss.Petra Demetz: Zu bedenken ist auch: Je mehr das Virus sich verbreitet, umso mehr kann es mutieren.
Was ist eure liebste Impf-Altersgruppe?
Christian Oberhuber: Die Über-Achtzigjährigen, das waren die ersten und dankbarsten.
Beide: Und eigentlich auch die ganz Jungen. Also ab zwölf Jahren. Die bedanken sich immer.
Christina Oberhuber: Manche haben vor der Spritze Angst, überwinden sich aber und sind dann froh, dass sie es getan haben.
Petra Demetz: Die meisten Leute sind ganz nett beim Impfen, manche bringen sogar kleine Aufmerksamkeiten mit für all die freiwilligen Helfer*innen, das hebt dann die Moral.