THINK
Verlorene Zukunft
// Bettina Conci //
Die meisten Fehlgeburten passieren in den ersten drei Monaten einer Schwangerschaft. Zählt man auch die verhaltenen (also unbemerkten) Aborte und die Fehlgeburten dazu, bei denen sich der Embryo nach erfolgreicher Befruchtung gar nicht einnistet, erleiden zwischen 50 und 70 Prozent der schwangeren Frauen eine Fehlgeburt. Wobei der Begriff „Fehlgeburt“ von Betroffenen sowie medizinischem Personal wie Hebammen und Ärzten zunehmend mehr abgelehnt und durch das einfühlsamere Wort „Schwangerschaftsverlust“ ersetzt wird.
Seltenes Foto eines gut erhaltenen, fünf Wochen alten Embryos bei einer ektopen Schwangerschaft (außerhalb der Gebärmutter). © Ed Uthman, MD (Flickr, Wikipedia), Public domain, via Wikimedia Commons
„Um trauern zu können, brauche ich Menschen, denen ich mich anvertrauen kann. Je mehr Menschen ich von meinem Verlust erzählen kann, umso besser“, sagt Sterbe- und Trauerbegleiterin Gabriela Mair am Tinkhof. Diese Einsicht ist recht leicht zu verstehen – und sehr schwer umzusetzen. Besonders für Menschen, die um etwas trauern, von dem nur sie selbst und keine anderen Menschen in ihrem Umfeld wussten. Wie um einen wenige Wochen alten Embryo.
Spricht man mit diesen Frauen und Männern, so wird schnell klar, dass es nicht der Embryo oder Fötus ist, worum sie trauern. Es ist vielmehr die Vorstellung davon, ein Kind zu haben. Sie trauern um die Hoffnung, die verlorene Zukunft, die Idee, den Traum, der ihnen genommen wurde. Um Babylachen, Kindergeburtstage, erste Schultage, Fußballtrainings, die sie nie erleben werden – zumindest nicht mit diesem Kind. Denn dieses Kind wird es gar nicht geben.
Obwohl ein früher Schwangerschaftsverlust ein einschneidendes und oftmals traumatisches Erlebnis ist, wird in vielen Ländern aus einer sozialen Konvention heraus erst nach zwölf Wochen über eine Schwangerschaft gesprochen, sobald das Risiko einer Fehlgeburt gesunken ist. Da viele Menschen aus dem Umfeld der Betroffenen also gar nichts mitbekommen, ist es für sie auch schwierig, angemessen zu reagieren, da sie ja sozusagen gleich mit zwei überwältigenden Informationen überrascht werden.
Liegt das Problem etwa ganz woanders, und wir müssen den Umgang mit schwangeren Frauen am Arbeitsplatz und die Art, wie wir eine Schwangerschaft kommunizieren, verändern, um zu einem besseren Umgang mit frühem Schwangerschaftsverlust zu finden? Zielführend ist sicherlich mehr Aufklärung über das Thema und über die psychischen Folgen einer Fehlgeburt, mehr Kommunikation sowie eine gewisse Offenheit und Unvoreingenommenheit im Umgang mit Betroffenen. Davon, eine Schwangerschaft im Frühstadium unbeschwert in die Welt hinausposaunen zu können, wenn man denn wollte, sind wir wahrscheinlich noch weit entfernt.
Elisabeth, heute Mutter von zwei Kindern, hat die Kommentare zu ihrem damaligen Verlust nicht vergessen. „Ich hätte mir mehr Offenheit zu dem Thema gewünscht und dass ein früher Schwangerschaftsverlust weder verschwiegen noch heruntergespielt wird. Floskeln wie ‚Du bist ja noch jung‘ sind gut gemeint, aber nicht hilfreich. Es geht um ein Kind, das vielleicht noch keines war, aber doch mein Kind gewesen wäre. Und dieser Verlust schmerzt.“
Spricht man mit diesen Frauen und Männern, so wird schnell klar, dass es nicht der Embryo oder Fötus ist, worum sie trauern. Es ist vielmehr die Vorstellung davon, ein Kind zu haben. Sie trauern um die Hoffnung, die verlorene Zukunft, die Idee, den Traum, der ihnen genommen wurde. Um Babylachen, Kindergeburtstage, erste Schultage, Fußballtrainings, die sie nie erleben werden – zumindest nicht mit diesem Kind. Denn dieses Kind wird es gar nicht geben.
„Stell dir vor, es wäre später passiert“
Elisabeth* war 19 und arbeitslos, als sie trotz Pille schwanger wurde. Obwohl es nicht geplant gewesen war, freute sie sich sehr auf das Kind. Zwei Tage, nachdem ein Herzschlag festgestellt worden war, kam es zu Blutungen. „Ich war wie erstarrt“, erzählt sie heute. „Ich wollte es einfach nicht glauben. Im Krankenhaus sagte man mir dann, dass da nichts mehr sei, und es war für mich, als hätte man mir das Herz aus der Brust gerissen.“ Die Reaktionen aus dem engeren Umfeld waren ihr keine große Hilfe, sagt sie. „Meine Eltern waren erleichtert, dass ich kein Baby kriege, und meine Schwiegermutter, die dasselbe mitgemacht hatte, sagte, ich sollte niemandem davon erzählen, weil man das nicht macht.“ Auch den Spruch „Schlimmer wäre gewesen, du hättest es in ein paar Monaten verloren“ kann sie – wie viele andere, die dasselbe durchgemacht haben, nicht mehr hören. Jede Erfahrung einer Fehlgeburt ist anders, und jeder Person, die trauert, sollte derselbe Respekt entgegengebracht werden.
„Es war ja nur ein Zellhaufen“
„Guter Hoffnung sein“, diese verschämt-veraltete Umschreibung für eine Schwangerschaft ist eigentlich ziemlich treffend für den Zustand in den ersten Wochen. Und genau dieses Bangen und Hoffen ist es, das von einem frühen Schwangerschaftsverlust zerschlagen wird. Die ganze Geheimnistuerei zuvor, verbunden mit der mystisch-archaischen Aura, die dem (werdende) Mutter-Sein oft ungefragt auferlegt wird und für die Betroffenen selbst mehr Last als Lust ist, ist somit äußerst kontraproduktiv im Fall, dass die Geburt nicht eintritt.Obwohl ein früher Schwangerschaftsverlust ein einschneidendes und oftmals traumatisches Erlebnis ist, wird in vielen Ländern aus einer sozialen Konvention heraus erst nach zwölf Wochen über eine Schwangerschaft gesprochen, sobald das Risiko einer Fehlgeburt gesunken ist. Da viele Menschen aus dem Umfeld der Betroffenen also gar nichts mitbekommen, ist es für sie auch schwierig, angemessen zu reagieren, da sie ja sozusagen gleich mit zwei überwältigenden Informationen überrascht werden.
„Du bist ja noch jung“
„Ich wünschte mir weniger Geheimnistuerei um eine Schwangerschaft. Diese zwölf Wochen Schweigen, Herumdrucksen, Sich-Winden vor jedem Glas Wein und jedem Stück Fleisch, das nicht totgegart wurde, habe ich immer als lächerlich empfunden“, sagt Giusy*, deren erste zwei Schwangerschaften nach wenigen Wochen mit einem Abort endeten, bevor sie kurz danach mit ihrer heute zweijährigen Tochter schwanger wurde. „Aber wenn wir ehrlich sind, was wäre die Alternative? Sobald alle wissen, dass eine Frau schwanger ist, kriegt der Arbeitgeber Panik und sieht sich schon nach einem Ersatz um. Eine Schwangerschaft wird heute eben immer noch als Karrierehindernis angesehen, und Frauen werden allein schon wegen ihrer Gebärfähigkeit diskriminiert, geschweige denn, wenn sie erst mal ein Kind erwarten.“Liegt das Problem etwa ganz woanders, und wir müssen den Umgang mit schwangeren Frauen am Arbeitsplatz und die Art, wie wir eine Schwangerschaft kommunizieren, verändern, um zu einem besseren Umgang mit frühem Schwangerschaftsverlust zu finden? Zielführend ist sicherlich mehr Aufklärung über das Thema und über die psychischen Folgen einer Fehlgeburt, mehr Kommunikation sowie eine gewisse Offenheit und Unvoreingenommenheit im Umgang mit Betroffenen. Davon, eine Schwangerschaft im Frühstadium unbeschwert in die Welt hinausposaunen zu können, wenn man denn wollte, sind wir wahrscheinlich noch weit entfernt.
Elisabeth, heute Mutter von zwei Kindern, hat die Kommentare zu ihrem damaligen Verlust nicht vergessen. „Ich hätte mir mehr Offenheit zu dem Thema gewünscht und dass ein früher Schwangerschaftsverlust weder verschwiegen noch heruntergespielt wird. Floskeln wie ‚Du bist ja noch jung‘ sind gut gemeint, aber nicht hilfreich. Es geht um ein Kind, das vielleicht noch keines war, aber doch mein Kind gewesen wäre. Und dieser Verlust schmerzt.“
*Name von der Redaktion geändert.