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Young – „Du und deine Elefantenbeine“
// Kathinka Enderle//
Der Sommer ist zum Greifen nahe. Während sich viele darüber freuen, werden andere geplagt von Unsicherheiten, Schmerzen und Scham. Wie lebt es sich in einem Körper, der einem physisch und psychisch wehtut? Diese Frage beantwortet Mia* und gibt damit intime Einblicke in ihr Leben mit der Erkrankung Lipödem.
© Melanie Grabowski
„Die Erkrankung lässt mich fühlen wie ein Zentaur – oben schlank, unten dick“
Als Mia 17 Jahre alt war, wurde bei ihr „Lipödem“ diagnostiziert. Nun denkt sie mit 19 über eine Operation nach. „Das Lipödem ist eine Fettverteilungsstörung mit krankhaft vergrößerten Fettzellen. Meist tritt sie an den Extremitäten auf, bei vielen sind es die „Reiterhosen“ an den Oberschenkeln und Hüften. Der Körper ist dabei sehr unproportional. Fast schon so, als ob man zwei verschiedene Körperhälften aufeinandersetzt. Ich selbst fühle mich wie ein Zentaur – oben schlank, unten dick“, lacht sie.„Mehrere Frauen aus meiner Familie leiden unter dieser Krankheit. Als die ersten Symptome im Mittelschulalter auftraten, hatten wir bereits die Vermutung, dass auch mir das Lipödem vererbt wurde. Angefangen hat es mit einer Gewichtszunahme. Egal wie viel Sport ich gemacht habe, ich habe mehr und mehr Gewicht an den Beinen angelagert. Wenn ich spazieren ging, traten plötzlich Schmerzen auf. Das war nur bei Belastung so. Meine Beine schwollen an und ich verspürte dort einen unsagbaren Druck. Alles spannte, zog und tat weh. Als ich dann zum Arzt ging, war die Diagnose bald gestellt - Lipödem im 2. Stadium.“
Das verweigerte Anrecht auf Beschwerdefreiheit
„Es gibt verschiedene Therapiemethoden. Einerseits die Lymphdrainage sowie Kompressionsstrümpfe, andererseits ist es wichtig, die Ernährung im Blick zu behalten, damit sich die Erkrankung nicht verschlimmert. Ich habe alles probiert. Trotzdem ist die einzige Möglichkeit, das Gewicht längerfristig zu verringern, eine Operation. Dabei wird krankhaftes Fett abgesaugt. Mein Arzt hat mir erklärt, dass es bei den meisten Patient*innen mehrere Operationen braucht. Selbst dann ist keine Heilung garantiert, da die Krankheit immer wieder zurückkehren kann. Bei mir bräuchte es in den Beinen zwei bis drei Operationen. Obwohl die Erkrankung anerkannt ist und es genügend Patient*innen gibt, die im Laufe des Lebens dadurch im Rollstuhl landen, übernimmt die Krankenkasse keine Kosten für die Operation. Eine Operation, die allein schon aufgrund der Schmerzen dringend nötig wäre, kostet zum Teil über 10.000 Euro, das ist so viel wie ein Kleinwagen. Nicht jeder hat das Geld aus eigener Tasche, weder mit 19 Jahren noch mit 40. Diäten helfen, entgegen der gesellschaftlichen Meinung, nichts, da sich das Fettgewebe des Körpers aufgrund einer Störung vermehrt und nicht, weil man zu viel Süßes oder Fettiges isst. Natürlich verspricht auch eine Operation keine absolute Heilung, aber wenigstens eine Linderung der Beschwerden und es hätte doch jeder Mensch ein Anrecht darauf, wenigstens eine Zeit lang schmerzfrei zu sein, oder?“
Intimer Blick in den Körper und die Seele
Kaum beginnt Mia über ihr Befinden zu sprechen, merkt man ihr sichtlich an, wie sehr sie die Erkrankung mitnimmt.„Mir geht es weder körperlich noch seelisch gut damit. Ich habe das Gefühl, in einem Körper gefangen zu sein, der nicht zu mir passt. Eigentlich wäre ich ein sportlicher Mensch, Sport hat mir immer Spaß gemacht. Jetzt werde ich von zu vielen Kilos aufgehalten. Mein Gesicht finde ich hübsch, aber durch den Zwiespalt mit meinem Körper schaffe ich es nicht, mich selbstbewusst zu fühlen. Vor allem im Sommer kämpfe ich oft mit Scham. Das Lido, Seen oder das Meer meide ich in der Hoffnung, die fiesen Blicke oder dummen Kommentare ebenso zu umgehen. So sieht mich niemand im Bikini. Auch kurze Shorts oder Kleider möchte ich nicht mehr tragen, da ich mich zu dick fühle. Es ist belastend, vor allem in der Hitze. Selbst Nacktheit ist nichts, was ich genieße. Das macht mich traurig. Ich denke an das kleine, glückliche Mädchen, das ich früher war und wie ich diesem nicht mehr gerecht werden kann, da ich in einem Körper stecke, der mir wehtut.“ Die ersten Tränen fallen.
Akzeptanz – Mias größte Aufgabe
„Die Auswirkungen des Lipödems sind für mein Selbstbewusstsein nicht gut. Ich habe vor meiner Diagnose und den Gesprächen mit meiner Familie Diät nach Diät versucht sowie exzessiv Sport betrieben. Alles in der Hoffnung, die Krankheit loszuwerden, natürlich ohne Erfolg. Nun gehört sie eben zu mir. Mich selbst zu akzeptieren ist vermutlich trotzdem die größte Aufgabe, der ich mich in meinem Leben stellen werde. Der Weg bis dahin ist sehr lange und sicher nicht ohne Steine. Aber es ist wichtig, Dinge zu tun, durch die man sich gut fühlt, das habe ich gelernt. Ich mache gerne Yoga, tanze durch die Wohnung, probiere gesunde Rezepte aus oder verbringe gerne Zeit in den Bergen und Wäldern, das macht mir Spaß.“
„Du fettes Schwein“ – der Kontakt mit der Gesellschaft
„Ich glaube ein großer Faktor, warum mir diese Akzeptanz nicht so leichtfällt, ist die Sozialisierung in der Gesellschaft. Meine Familie hat versucht mir beizubringen, mich selbst zu lieben, aber das ist schwer, wenn sich ein Großteil der Gesellschaft gegen mehrgewichtige Menschen stellt. Einer der schlimmsten Kommentare, die man mir an den Kopf warf, war, dass ich ein fettes Schwein wäre. Das macht viel mit einem selbst, es verletzt. Auch Schönheitsideale helfen nicht. In Zeitschriften und im TV werden meist dünne Frauen abgebildet. Klamotten richten sich auch eher danach. Schöne Klamotten habe ich für größere Größen selten gefunden.“
Das Lipödem und die Liebe
„Männer wollen mich oft als Person nicht kennenlernen, weil vielfach nur das Äußere, also meine Kilos, gesehen werden. Dasselbe habe ich von vielen Lipödem-Mädels gehört und es ist schade. Jetzt sind nur noch solche Leute in meinem Leben, die mir guttun und mich so mögen wie ich bin, egal ob mehrgewichtig oder nicht. Das ist mein Deal mit mir selbst,“ sagt sie fast schon stolz und findet dabei ihr Lächeln wieder.„Seelen sehen, statt nur die äußere Hülle“
„Das Schönste wäre, wenn Menschen einfach einen netteren Umgang miteinander finden und mit den Körpern anderer Menschen sensibler umgehen würden. Kommentare über das Äußere sollten aufhören, sie können verletzen. Ich glaube, die Welt wäre schöner, wenn unsere Augen Seelen sehen würden, statt nur die äußere Hülle. Ich wünschte mir, dass jeder Mensch eine Chance kriegen würde, unabhängig davon, wie man aussieht. Ich bin nicht nur mein Gewicht und auch nicht nur meine Krankheit.“