Interview mit Anna
Gegen alle Vorurteile: „Ich bin eine stolze Mutter mit Behinderung“
// Heidi Ulm //
Anna ist zweifache Mutter und hat die angeborene Erkrankung "Epidermolysis Bullosa (EB)*". Als Mutter mit Behinderung wird die 33-Jährige oftmals mit Vorurteilen und Fragen konfrontiert, Mutterglück und Behinderung passen in unserer Gesellschaft nicht zusammen. Im Interview erzählt Anna wie ihr Alltag mit Kindern und Behinderung ausschaut, welchen Hürden sie begegnet und wie die Politik helfen könnte.
„Was das Emotionale betrifft, bin ich eine Mutter wie jede andere“ © privat
Hattest du schon immer den Wunsch Mama zu werden und wenn ja, hattest du dabei Bedenken, ob deine Behinderung eine Mutterschaft erschwert?
Ich habe immer schon gewusst, dass ich rein körperlich Kinder haben kann und möchte. Die Bedenken, die ich hatte, waren rein praktischen Ursprungs. Ich habe mir deshalb schon früh Gedanken gemacht, wie man ein Kind händeln und wie ich meine motorischen Schwierigkeiten überwinden kann. Die wahre Mutterrolle ist jedoch unabhängig von meiner Behinderung und dieser habe ich mich gewachsen gefühlt.
Gibt es eine diskriminierende Reaktion anderer Menschen auf dich als Mama? Welchen Umgang wünschst du dir?
Sei es als Frau, sei es als Schwangere und jetzt als Mama erfahre ich immer wieder Ableismus.* Für viele ist es in Südtirol noch aufsehenerregend, dass Menschen mit Behinderung eine Partnerschaft haben. Die Schwangerschaft war für viele ein Rätsel, wie das funktionieren konnte. Viele wildfremde Leute, die mich nicht kannten, haben mich angesprochen und haben die persönliche Grenze und den „Bon Ton“ (die Benimmregeln) vergessen. Es waren teilweise sehr unverschämte Fragen dabei wie z.B. wo das Kind rauskommen wird und ob der Mann wohl normal ist. Jetzt als Mama gibt es Leute, die mir eher mit Bewunderung begegnen und Leute, die skeptisch sind. Mir ist oft gesagt worden, dass ich das nicht packen würde, wenn die Kinder größer werden. Es ist mir von einer Pflegefachkraft in der Schwangerschaft sogar geraten worden, in ein geschütztes Mutter-Kind-Heim zu gehen, da ich ein Kind nicht in Sicherheit erziehen könnte. Dabei sind meine Kinder nicht nur so mal eben passiert. Ich habe studiert und jetzt eine gute Arbeit, mein Mann ebenso, wir haben eine gute Wohnsituation; wir waren bereit, eine Familie zu gründen. Deshalb war es für mich schlimm zu hören, ich müsse in ein Mutter-Kind-Heim gehen.Ich wünsche mir einen ganz normalen Umgang. Ein Umgang, der offen ist und vor allem die Kinder und die Freundschaften zwischen den Kindern und den Eltern sieht. Wenn ich dann mal Hilfe brauche, bin ich die erste, die fragt. Mir nicht zuvorkommen, sondern offen sein, wenn ich Hilfe brauche.
Wie ist Dein Alltag mit einem Baby und Kleinkind?
Mein Alltag schaut so aus, dass momentan die Kinder im Zentrum unserer Familie sind. Ich habe einen Mann, der mich sehr unterstützt und seine Vaterrolle ernst nimmt. Wir haben ein gutes Gleichgewicht, auch in der Erziehung. Gleichzeitig habe ich eine persönliche Assistenz, die mich im Alltag bei den motorischen Tätigkeiten unterstützt, bei denen ich mich sehr schwertue oder die ich nur unter Schmerzen schaffe, wie Windel wechseln oder anders anziehen. Die Assistenz hilft mir auch beim Einkauf oder im Haushalt. Ich kann das, aber ich brauche viel mehr Energie und Zeit. Ansonsten schaut der Alltag so aus wie bei vielen Familien mit kleinen Kindern. Es gibt Tage, da wird nur gelacht und es gibt Tage, da wird zwischendrin mal gewütet und getröstet – so wie es sich auch gehört mit einem Kind von drei Jahren und einem von vier Monaten. Die größte Herausforderung habe ich momentan, so wie viele andere Mütter auch, mit dem entsprechenden Schlafentzug bis zum Abend und einem hohen Anteil an Geduld auszukommen. Da braucht es manchmal ein bisschen Humor, um das alles zu managen.
Gibt es etwas, was dir als Mutter durch deine Behinderung nicht möglich ist?
Es gibt tatsächlich einige Sachen, die ich mit meiner Erkrankung nicht machen kann und es schränkt auch die Familie in der Planung des Alltags ein. Ich kann z.B. nicht auf den Berg gehen, nicht schwimmen und Ski-fahren, ich kann die meisten Sportarten nicht machen. Ich bin mit einem elektrischen Rollstuhl unterwegs, d.h. es sind nicht alle Wege oder Geschäfte möglich, weil sie nicht architektonisch barrierefrei sind. Ich finde aber, diese Einschränkungen gibt es auch in anderen Familien, denn nicht jedes Elternteil macht jeden Sport gerne oder hat aufgrund des Berufes nicht die Zeit mit den Kindern etwas zu unternehmen. Wir haben einen großen Familienkreis und es gibt genug andere Familienmitglieder, die das mit meinen Kindern machen können. Es wird ihnen in diesem Sinn nichts fehlen, auch wenn es mal sein kann, dass sie frustriert sein werden, wenn wir etwas nicht machen können. Ich glaube aber, wenn man mit diesem Frust offen umgeht, dann ist es kein Verlust, sondern eine Tatsache, mit der meine Kinder lernen umzugehen. Es ärgert mich dennoch, wenn Barrieren, die eigentlich nicht mehr dort sein müssten, immer noch bestehen. Diesen Ärger bekommen meine Kinder auch mit und auch dass ich mich dann wehre, z.B. mit einer Meldung an die Antidiskriminierungsstelle.
Denkst Du, dass dein Muttersein deshalb anders ist als jenes von Müttern ohne Behinderung?
Es sind in meinem Alltag viel mehr Hintergrundüberlegungen als bei anderen Müttern. Ich muss mir immer überlegen: komm ich ohne Hilfe irgendwo hin und ist es mit Rollstuhl möglich. Eine gewisse Spontanität stellt mich vor eine große Herausforderung. Das ist vielleicht das, was den Unterschied ausmacht. Für den Rest, was das Emotionale betrifft, bin ich eine Mutter wie jede andere. La mamma é sempre la mamma.
Was wünschst Du Dir von der Politik in Bezug auf Unterstützungshilfen für Eltern mit Behinderung?
Ich wünsche mir eindeutig, dass Eltern mit Behinderung wahrgenommen werden. Dabei ist die UN-Behindertenrechtskonvention ganz klar auf unserer Seite: Wir haben das Recht auf eine Familiengründung, auf eine Sexualität und sogar unterstützt zu werden, falls der Kinderwunsch erschwert ist – so wie jedes andere Paar auch. Und wir haben das Recht auf Elternassistenz. Elternassistenz ist nicht persönliche Assistenz und gibt es so in Südtirol noch gar nicht. Es ist eine Mischung aus persönlicher Assistenz und einer Familienunterstützung. Die Assistenz soll aber auf gar keinen Fall meine Rolle als Mutter in Frage stellen. Es soll mir dabei helfen, die Tätigkeiten auszuführen, die mir meine körperlichen Einschränkungen erschweren.
Was ist Dein Rat an alle (noch) werdenden Eltern mit Behinderung?
Mein Rat: go for it. Lasst euch nicht von eurer Erkrankung oder Behinderung einschränken und geht offen damit um. Je mehr ihr eure eigenen Einschränkungen kennt, desto besser könnt ihr darauf reagieren und Hilfe holen.
Was bedeutet für dich Familie (in 1-2 Sätzen)?
Familie ist für mich Glück im Moment und Hoffnung für die Zukunft. Wenn jemand Kinder in die Welt setzt, dann hat man die Hoffnung, dass sie noch Gutes in der Welt finden werden und die Gewissheit, dass man den Kindern alles gibt, was man schafft, um glücklich zu sein. Anna*Betroffene bezeichnen sich als „Schmetterlingskinder“, weil ihre Haut so verletzlich ist wie die Flügel eines Schmetterlings. Weltweit gibt es 500.000 und in Südtirol rund 30 Betroffene.
*Ableismus ist das Fachwort für die ungerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen einer körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung oder aufgrund von Lernschwierigkeiten.
„Sei es als Frau, sei es als Schwangere und jetzt als Mama erfahre ich immer wieder Ableismus.“ © privat