Fair ist anders
Arbeit für 100 Euro im Monat
// Heidi Ulm //
In vielen Orten Südtirols gibt es Werkstätten, die Menschen mit Behinderungen eine Möglichkeit zur Arbeit geben. Auf dem Papier klingt das gut, doch nicht alles ist Gold, was auf den ersten Blick glänzt.
In den Werkstätten stellen Menschen mit Behinderung hochwertige Waren wie Postkarten oder Holzspielzeuge her. Was den meisten aber nicht bewusst ist: Sie bekommen dafür nur ein mickriges Taschengeld von einigen wenigen Euro pro Stunde. In Österreich macht das insgesamt zwischen 35 Euro und 100 Euro im Monat aus, für Südtirol gibt es keine öffentlich verfügbaren Daten. Betroffene bestätigen jedoch, dass sie ebenfalls in dieser Größenordnung „verdienen.“ Das reicht nicht, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, vielmehr sind Menschen mit Behinderung auf staatliche Zahlungen angewiesen. Zudem fehlen grundlegende Arbeitsrechte wie Streikrecht, Sozialversicherung und eine Pension. Diejenigen, die Eltern werden wollen (und ja, Menschen mit Behinderung in Werkstätten dürfen und wollen Eltern werden) haben kein Anrecht auf Elternurlaub. Vielmehr müssen Mitarbeiter*innen von Werkstätten für ihren Platz (wenn sie nach langer Wartezeit einen ergattern), sogar bezahlen. Absurd! Dabei gilt: Je mehr Pflegegeld jemand bekommt, umso mehr zahlt er oder sie in der Regel auch.
Damit verstoßen die Werkstätten klar gegen die UN-Behindertenrechtskonvention (Art. 27) und dem Landesgesetz 7/2015. Beide Gesetzestexte besagen klar, dass Menschen mit Behinderung das Recht haben, sich ihren Lebensunterhalt durch frei gewählte oder frei angenommene Arbeit zu verdienen.
Damit verstoßen die Werkstätten klar gegen die UN-Behindertenrechtskonvention (Art. 27) und dem Landesgesetz 7/2015. Beide Gesetzestexte besagen klar, dass Menschen mit Behinderung das Recht haben, sich ihren Lebensunterhalt durch frei gewählte oder frei angenommene Arbeit zu verdienen.
Gerechter Lohn statt Taschengeld
Eine mögliche Lösung wäre die Einführung eines Lohns. Damit aber fallen staatliche Förderungen weg, die in der Regel einkommensabhängig sind. Was ist also besser? Ein erst kürzlich veröffentlichtes Forschungsprojekt an der Wirtschaftsuniversität Wien hat das analysiert. Dabei ist die derzeitige Situation mit einem Alternativ-Szenario verglichen worden, bei dem statt dem Taschengeld ein Gehalt von 1.180 Euro brutto (14-mal pro Jahr) gerechnet wurde. Die Ergebnisse zeigen, dass sich eine Umstellung für Menschen mit Behinderungen – trotz der Kürzung von Sozialleistungen – finanziell lohnen würde. Bei Menschen, die nur wenige Stunden pro Woche arbeiten können, ist das Taschengeld jedoch finanziell optimaler – sagen Kritiker dieser Studie. Österreichs Regierung hat angekündigt, dass auf einen Lohn umgestellt werden soll. Das ist zwar eine gute Veränderung, jedoch fehlt bei dieser Lösung ein entscheidender Punkt: die Inklusion. In Werkstätten arbeiten Menschen mit Behinderung getrennt von Menschen ohne Behinderung.
Chance auf den „ersten Arbeitsmarkt“?
Neben der Produktion von Waren haben Werkstätten auch die Aufgabe, Menschen mit Behinderung auf den freien Arbeitsmarkt vorzubereiten. Viele schaffen jedoch den Absprung nicht, in Deutschland liegt die Vermittlungsquote bei ein Prozent, in Südtirol sind dazu bislang keine Daten veröffentlicht worden.
Dennoch:
Werkstätten müssen nicht von heute auf morgen geschlossen werden, denn für einige Fälle können sie ein idealer Arbeitsort sein. Wenn wir Menschen mit Behinderung jedoch Selbstbestimmung und Teilhabe ermöglichen wollen, müssen sich das Konzept und die Rahmenbedingungen der Werkstätten ändern. Wie genau eine Lösung aussehen kann, das sollte in einem partizipativen Prozess mit Betroffenen und politischen Verantwortlichen erarbeitet werden. Und vor allem muss erreicht werden, dass der freie Arbeitsmarkt mehr Menschen mit Behinderung einen Arbeitsplatz bietet.