Role Models | Der ëres-Fragebogen

Larissa Leitner

// Kathinka Enderle //
Gebürtig aus Sterzing, ist Co-Founder & Co-CEO von Empion, einem HR-Tech-Startup, das mit einem KI-basierten Headhunting-System den Fachkräftemarkt revolutioniert hat. Mit Leidenschaft setzt sie sich für die Gleichstellung von Frauen ein und kämpft für die Vereinbarkeit von Familie und Karriere – zwei Themen, die ihr besonders am Herzen liegen.
© Patrycia Lukaszewicz
Was hat Dich inspiriert, Empion zu gründen?
Ich habe im Bereich Unternehmenskultur promoviert und dabei festgestellt, wie essenziell das Arbeitsumfeld für die Zufriedenheit am Arbeitsplatz ist. Meiner Meinung nach ist die Unternehmenskultur – also wie das Unternehmen tickt, wie die Menschen miteinander umgehen und wie die Arbeitsweise geprägt ist – oft wichtiger als die eigentlichen Aufgaben. Arbeit kann man anpassen, sich weiterentwickeln und neue Herausforderungen finden. Aber die Kultur eines Unternehmens ist das Fundament, auf dem alles aufbaut.
Während meiner Promotion habe ich den Markt genauer betrachtet und festgestellt, dass es trotzdem kaum jemanden gibt, der sich datenbasiert, wissenschaftlich und mithilfe von KI mit diesem Thema auseinandersetzt. Gleichzeitig verbringen wir einen Großteil unseres Lebens bei der Arbeit und dennoch sind über 70 Prozent der Menschen in Deutschland unzufrieden in ihrem Job. Das hat mich tief bewegt. Ich hatte das Gefühl, mit Empion etwas verändern zu können. Unser Ziel ist es, Menschen dabei zu helfen, den Arbeitsplatz zu finden, der wirklich zu ihnen passt – einen Ort, an dem sie sich wohlfühlen, wachsen und aufblühen können. Die Vorstellung, so viele Leben positiv beeinflussen zu können, ist meine größte Motivation, ganz nach dem Motto: Helping people find workplaces where they belong.

Was macht Dich in Deinem Beruf glücklich?
Mich macht vor allem unsere Vision glücklich – und das Feedback, das wir von unseren Kund*innen bekommen. Es ist unglaublich erfüllend zu hören, dass wir durch unsere Arbeit einen positiven Einfluss auf das Leben von Unternehmen und Talenten haben.
Außerdem ist das Unternehmertum an sich ein unglaublich vielseitiger und dynamischer Beruf. Jeden Tag gibt es unzählige Herausforderungen zu meistern und das schnelle Tempo ist sehr bereichernd. In den vergangenen drei Jahren habe ich so viel gelernt wie in all den Jahren zuvor nicht. Diese intensive Weiterentwicklung ist für mich eine große Bereicherung.
Besonders viel Freude bereitet mir unser Team, das mittlerweile auf rund 45 Menschen gewachsen ist. Es erfüllt mich, als Gründerin und Führungskraft einen positiven Einfluss auf unsere Mitarbeitenden zu haben. Wenn ich sehe, dass ich sie fördern, empowern und weiterbringen konnte – sei es durch Meetings, Gespräche oder einfach durch den Austausch – dann weiß ich, dass ich etwas Wertvolles beitrage. Menschen zu unterstützen und zu stärken, ist etwas, das mir unglaublich viel Spaß macht. Es ist ein zentraler Teil meiner Leidenschaft.

Gab es Momente, in denen Du mit Stereotypen konfrontiert warst?
Ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt, ist die geringe Anzahl an Gründerinnen – vor allem, weil diese Zahl im vergangenen Jahr wieder gesunken ist. Das schmerzt mich sehr, denn ich finde das nicht nur schade, sondern auch alarmierend. Annika von Mutius und ich haben gemeinsam gegründet – wir sind zwei Frauen, die ein Unternehmen aufgebaut haben. Das ist leider eine absolute Ausnahme. Es kommt schon selten vor, dass man überhaupt auf Gründerinnen trifft und ein Team aus zwei Frauen ist noch seltener.
Ich muss sagen, ich persönlich habe nicht das Gefühl, stark benachteiligt worden zu sein – zumindest nicht, dass es uns direkt geschadet hätte. Viele Investoren fanden es sogar spannend, mit einem rein weiblichen Gründerteam zusammenzuarbeiten und einige sahen es als ein Plus, dass wir zwei promovierte Frauen sind, die sie fördern können. Aber das heißt nicht, dass es keine Diskriminierung gibt – sie existiert definitiv und ich kenne einige Beispiele dafür. Weil Frauen leider immer noch Diskriminierung(en) ausgesetzt sind, möchte ich es besser machen. Wenn ich die Chance habe, andere Frauen zu unterstützen, dann will ich dafür sorgen, dass sie gute Erfahrungen machen – Erfahrungen, die Frauen stärken, statt sie zu bremsen.

Was können Investor*innen tun, um Frauen zu ermutigen? Wie waren Deine Erfahrungen?
Wir haben uns gezielt Investor*innen gesucht, die uns empowern und uns pushen – darunter drei inspirierende Frauen, die absolute Power-Frauen sind. Sie geben uns Mut, nehmen uns Sorgen und helfen uns, über uns hinauszuwachsen. Was uns Frauen oft von männlichen Gründern unterscheidet – und ich weiß, dass ich hier in Stereotypen spreche – ist, dass wir eher dazu neigen, an uns selbst zu zweifeln und uns unter Druck zu setzen. Wir stellen uns oft nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit hin und sagen: Wir sind die Besten der Welt. Das führt dazu, dass wir manchmal andere Formen von Unterstützung brauchen.
Frauen brauchen keine zusätzliche Kritik von oben oder unnötigen Druck – das machen wir uns selbst schon genug. Was Frauen brauchen, ist ein positiver Push, Ermutigung und Unterstützung, die uns wachsen lässt. Genau das haben uns unsere weiblichen Business Angels gegeben und das macht einen riesigen Unterschied. Deshalb möchte ich auch Frauen stärken, ihnen Mut zusprechen und helfen, ihr Potenzial voll auszuschöpfen – so, wie es bei uns war.

Hattest Du das Gefühl, dass Du als Frau in der Tech- und Start-up-Branche weniger ernst genommen wurdest oder härter arbeiten musstest, weil Du eine Frau bist?
Als Gründerin arbeitet man generell extrem hart und gibt sein ganzes Herzblut in das eigene Unternehmen – das gilt für jeden, unabhängig vom Geschlecht. In unserem Fall hatte ich nicht das Gefühl, dass wir härter arbeiten mussten, um an Investor*innen oder Kund*innen zu kommen oder um unsere Glaubwürdigkeit als Team zu beweisen. Wir haben sehr bewusst darauf geachtet, Investor*innen auszuwählen, die zu uns passen und unsere Vision teilen. Das hat uns sicherlich geholfen. Auch bei Kund*innen hatten wir keine spürbaren Nachteile, weil wir Frauen sind.
Natürlich gibt es in unserer Gesellschaft nach wie vor keine vollständige Gleichberechtigung, und Frauen werden in vielen Bereichen benachteiligt. Es gibt noch viel zu tun. Aber ich glaube, man kann es auch positiv für sich nutzen. Als Frau in einer männerdominierten Branche ist man oft ein Ausreißer – und genau das kann man bewusst als Stärke sehen. Wenn man diese Position für sich positiv framed und selbstbewusst in die Welt hinausträgt, trägt man auch zur Veränderung bei.
Ich denke, Gleichberechtigung beginnt nicht nur in Strukturen, sondern auch in den Köpfen – darin, wie wir denken, wie wir auftreten und wie wir uns selbst präsentieren. Auch das ist ein Weg, die Welt ein kleines Stück gerechter zu machen.

Werden Frauen in Europa genug ermutigt, Führungspositionen zu übernehmen, oder braucht es gesellschaftliche Veränderungen, auch in Südtirol?
Ich lebe schon lange nicht mehr dauerhaft in Südtirol, bin aber immer wieder dort und mir fällt jedes Mal das Gleiche auf: Wenn man in Schulen oder Kindergärten schaut, wer die Kinder abholt, sind es zu 95 Prozent Frauen – und das gilt besonders stark für Südtirol. Es ist selten, dass Väter diese Aufgabe übernehmen. Das spiegelt für mich einen zentralen Punkt wider: Eine der wichtigsten Entscheidungen, die Frauen für ihre Karriere treffen, ist die Wahl des richtigen Partners.
Mein Partner ist ebenfalls Unternehmer, und wir sind uns einig, dass wir – wenn wir eines Tages Kinder bekommen – die Verantwortung 50/50 teilen werden. Wir haben beide Unternehmen und tragen beide Verantwortung. Es ist für mich selbstverständlich, dass ich nicht diejenige sein werde, die immer das Kind abholt. Aber das erfordert nicht nur Partnerschaften auf Augenhöhe, sondern auch eine bessere Infrastruktur für Kinderbetreuung und vor allem einen Wandel in den Köpfen der Menschen.
Leider gibt es in unserer Gesellschaft immer noch tief verankerte Glaubenssätze, die Frauen belasten. Frauen werden oft dafür verurteilt, wenn sie arbeiten gehen, statt sich ausschließlich um die Familie zu kümmern – Stichwort „Rabenmütter“. Dabei sollte klar sein: Nur eine glückliche Mutter kann auch eine gute Mutter sein. Doch für viele Frauen bedeutet das Kinder-kriegen immer noch einen Knick in der Karriere.
Das Problem liegt nicht nur in der Infrastruktur oder den staatlichen Angeboten, sondern auch in unseren kulturellen Werten. In Südtirol, das sehr traditionell geprägt ist, ist dieses Denken besonders präsent. Aber auch in Deutschland oder Österreich sieht es oft nicht anders aus. Als ich in Skandinavien gelebt habe, war das anders. Dort ist die Elternzeit von Anfang an so gestaltet, dass beide Elternteile sie zu gleichen Teilen wahrnehmen – sonst verliert die Familie bestimmte Ansprüche. Diese Strukturen sorgen für eine natürliche 50/50-Aufteilung und tragen dazu bei, dass Frauen und Männer beruflich gleichberechtigt werden können.
Um wirklich Veränderung zu schaffen, braucht es einen umfassenden kulturellen und gesellschaftlichen Wandel. Der Staat muss mehr tun, um Frauen echte Möglichkeiten zu geben, aber auch die Gesellschaft muss umdenken. Es sollte selbstverständlich sein, dass Frauen – wenn sie das möchten – eine Führungsposition übernehmen können, ohne dafür verurteilt zu werden. Gleichzeitig ist es völlig in Ordnung, wenn eine Frau das nicht möchte. Wichtig ist, dass jede Frau die Wahlfreiheit hat und sich nicht gezwungen fühlt, eine bestimmte Rolle einzunehmen.

Gibt es eine Frau, die Dich besonders inspiriert hat?
Ja, es gibt eine Frau, die mich sehr inspiriert hat: unsere Investorin Anna Kaiser. Sie ist eine unglaublich positive Persönlichkeit. Anna hat in uns investiert und war immer diejenige, die wir angerufen haben, wenn es uns mal nicht gut ging, wenn wir Rat oder einfach jemanden zum Reden gebraucht haben. Sie war nicht nur eine Investorin, sondern auch eine vertrauensvolle Begleiterin, die uns mit ihrer Positivität Mut gemacht hat.
Was mich an Anna besonders inspiriert, ist die Mischung aus ihrer beruflichen Kompetenz und ihrer positiven Ausstrahlung. Sie ist fachlich extrem erfolgreich, hat ihren eigenen Weg gemacht und zeigt, dass man viel von ihr lernen kann. Gleichzeitig strahlt sie so viel Wärme und Energie aus, dass man sich automatisch gestärkt fühlt. Für mich müssen beide Aspekte zusammenpassen, um jemanden wirklich als Vorbild zu sehen: die fachliche Stärke und die persönliche Integrität. Und genau das vereint Anna für mich.

Wenn Du auf Deine Karriere zurückblickst, gibt es einen Moment, in dem Du besonders stolz auf Dich warst?
Es sind oft die kleinen Momente im Alltag, die mich stolz machen. Wenn ich das Gefühl habe, einen positiven Effekt auf jemanden gehabt zu haben, sei es auf unser Team, unsere Kund*innen oder unser Unternehmen, dann erfüllt mich das schon mit Stolz. Ich versuche auch bewusst, jeden Tag auf dem Weg nach Hause darüber nachzudenken, was heute positiv passiert ist. Denn obwohl ich viel Positives über das Gründen erzählen kann, ist es auch unglaublich hart und ich verstehe, warum nicht jeder diesen Weg gehen möchte.
Ein besonders stolzer Moment war Ende 2023, als wir eine große Finanzierungsrunde abgeschlossen haben. Das war ein riesiger Meilenstein für uns und für mich persönlich. Ebenso ein Highlight war, als wir vom Handelsblatt zu den Menschen des Jahres in der Kategorie „Newcomer“ gewählt wurden. Damit hatte ich nicht gerechnet. Solche Erlebnisse helfen mir, innezuhalten und mir bewusst zu machen, was in den vergangenen Jahren alles passiert ist. Es ist wichtig, die positiven Momente wertzuschätzen und sie bewusst mitzunehmen – gerade weil das Unternehmertum oft auch anstrengend und herausfordernd ist. Diese Augenblicke geben Kraft für die harten Phasen und machen den Weg umso lohnenswerter.

Siehst Du Dich selbst als Feministin? Was bedeutet Feminismus für Dich?
Ja, ich sehe mich als Feministin. Was ich jedoch schade finde, ist, dass der Begriff Feminismus oft einen negativen Beigeschmack hat. Vor allem bei älteren Männern löst das Wort häufig Klischees und negative Assoziationen aus, wie die Vorstellung von sogenannten „Kampffeministinnen“. Das empfinde ich als sehr schwierig, denn Feminismus bedeutet für mich etwas vollkommen anderes. Für mich geht es darum, Frauen zu fördern, zu fordern und für sie einzustehen, wann immer ich die Möglichkeit dazu habe. Jeder kleine Effekt, den ich in diese Richtung erzielen kann, macht mich glücklich. Seit Januar bin ich auch Mitglied im Wirtschaftsrat Deutschland in einer Arbeitskommission, und mein Hauptthema dort ist die Rolle der Frau in der Arbeitswelt, insbesondere in Verbindung mit der Vereinbarkeit von Familie und Karriere. Ich bin überzeugt, dass gerade hier ein enormes Potenzial für mehr Gleichberechtigung liegt. Wir haben in unserer Gesellschaft noch keine echte Gleichberechtigung erreicht. Es gibt noch so viel zu tun – sowohl auf politischer Ebene als auch in den Köpfen der Menschen. Es braucht ein radikales Umdenken, damit echte Gleichberechtigung möglich wird. Feminismus bedeutet für mich, genau daran zu arbeiten und diese Veränderung aktiv voranzutreiben.

Was würdest Du jungen Frauen raten, die zögern, einen ähnlichen Weg wie Deinen zu gehen?
Mein Rat wäre: Einfach machen! Keine Angst haben und nicht darauf warten, dass alles perfekt sein muss – denn das erwartet niemand. Und es ist vollkommen okay, wenn nicht alles von Anfang an perfekt verläuft.
Ich stelle mir in solchen Momenten immer die Frage: Was ist das Schlimmste, das passieren könnte? Dann spiele ich das Szenario gedanklich durch, bis mir klar wird, dass es eigentlich gar nicht so schlimm wäre. Dieser Gedanke hilft mir, die Angst vor Entscheidungen oder Risiken zu überwinden.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Man wächst mit seinen Aufgaben. Dinge, die mich vor einem Jahr noch völlig aus der Bahn geworfen hätten, sind mir heute egal. Natürlich kommen immer neue Herausforderungen, die einen fordern – aber genau darin liegt das Wachstum.
Mein Tipp für junge Frauen: Habt Mut, zweifelt nicht zu sehr an euch selbst und geht einfach los. Die meisten Ängste, die wir uns ausmalen, treten ohnehin nicht ein. Und selbst wenn etwas schiefgeht, ist es selten wirklich schlimm. Am Ende des Tages zählt, dass ihr es versucht habt – und darauf könnt ihr immer stolz sein.

Editorial

Visionär - visionarie

Was wäre die Welt ohne die Menschen, die an das glauben, was den meisten von uns unmöglich, unmachbar, unschaffbar scheint? Ohne Menschen, die brennen für ihre Ideen, für die Zukunft, für eine Vision? Menschen, die zielgerichtet, leidenschaftlich, vertrauensvoll und ja, durchaus auch hartnäckig und dominant, an bahnbrechenden und wegweisenden Entwicklungen arbeiten? In dieser ëres-Ausgabe zeigen wir solche Menschen, die – auch wenn ihre Fähigkeiten verkannt, ihre Karrieren gebremst und ihre Errungenschaften geklaut worden sind – nicht vergessen, ausgeklammert oder ignoriert, sondern gefeiert werden müssen: Frauen* in der Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, Vorreiterinnen, Wegbereiterinnen, Motivatorinnen und Mentorinnen, die es – die jüngste Debatte im Regionalrat hat es einmal mehr klar aufgezeigt – nach wie vor dringend braucht, damit unsere Vision einer geschlechtergerechteren Welt nicht in die Kategorie „unerfüllbare Wünsche an das Christkind“ fällt.

Wir wünschen Ihnen eine gute Lektüre!
Maria Pichler, Chefredakteurin