Respekt

Es geht nicht mehr nur um Schwule und Lesben

// Jenny Cazzola //
Centaurus Arcigay feiert heuer seinen 30. Geburtstag. Der Verein hat sich in den drei Jahrzehnten sehr verändert.
Zwei Frauen aus der Historie von Centaurus: Ulrike Spitaler und Martine de Biasi © Manuela Tessaro
Dieses Jahr feiert Centaurus Arcigay sein 30-jähriges Bestehen. Der Verein für LGBTQIA+ Personen in Südtirol hat sich in dieser Zeit sehr verändert, besonders in den vergangenen Jahren. Aus der „Homosexuellen Initiative“ ist ein Verein geworden, dem Sichtbarkeit wichtig ist und der sich Queer- und Transfeminismus ganz groß auf die Fahnen geschrieben hat. Was hingegen gleichgeblieben ist, sind starke Frauen im Zentrum der Organisation.
Telefonberatung als Treffpunkt
Eine, die die Anfangsjahre von Centaurus selbst erlebt hat, ist die Sozialpädagogin Ulrike Spitaler. Sie beginnt sich Mitte der 90er Jahre bei Centaurus zu engagieren. Damals hatte Centaurus noch eine eigene Zeitschrift und einen Telefonberatungsdienst, bei dem Menschen anrufen und um Rat fragen konnten. „Diesen Telefondienst haben sich Männer und Frauen geteilt“, berichtet Spitaler, „dadurch war es eine Art Treffpunkt.“
Lesben mit feministischem Hintergrund
„Schon damals“, erzählt Spitaler weiter „gab es einige aktive Frauen im Verein. Es wurden Treffen für Frauen organisiert, kleine Partys, die vor allem der Finanzierung von Supervision und Weiterbildung und dem Kennenlernen dienten.“ Auch an Konflikte kann Spitaler sich erinnern: „Die gab es wie in jedem Verein. Manche waren persönlich geprägt, manche drehten sich um die Ausrichtung. Die im Verein aktiven Lesben hatten zum Beispiel oft einen feministischen Hintergrund. Da gab es durchaus Konflikte mit eher traditionell eingestellten Männern, besonders, wenn es um Frauenrechte ging.“
Diversität zulassen, Geschlechtsidentitäten hinterfragen
Diese feministischen Wurzen sieht Spitaler noch heute in der Vereinigung: „Ich denke, das Bedürfnis nach einem Treffpunkt besteht noch heute. Was hinzugekommen ist, ist die Sensibilität für Diskriminierung, das ganze Thema der Queerness und Transness. Wir haben gelernt, auch innerhalb der Community Diversität zuzulassen und nicht nur Rollenzuschreibungen, sondern auch Geschlechtsidentitäten zu hinterfragen. Es geht nicht mehr nur um Schwule und Lesben. Wir müssen nicht mehr nur verteidigen, sondern können uns auch entwickeln.“
Männern wird zugehört, Frauen werden exotisiert
Auch Martine de Biasi weiß nur Positives über ihre Zeit bei Centaurus zu berichten. Die Südtiroler Filmemacherin war insgesamt sieben Jahre lang im Verein aktiv. Sie habe ihn als einen Ort erlebt, „in dem das Gender egal ist und Leute gemeinsam für ihre Rechte kämpfen.“ Für de Biasi sind Frauen in queeren Organisation allgemein sehr präsent, auch wenn das wenig nach außen dringt. Sie sieht den Grund dafür in unserer patriarchalen Gesellschaft. „Männern wird immer noch mehr zugehört. Frauen hingegen werden immer noch exotisiert.“

Respekt

Wie geht barrierefrei gendern?

// Heidi Ulm //
Gendergerechte Sprache ist wichtig, aber ist sie auch barrierefrei?
© shutterstock
Die Forschung zeigt klar, dass gendergerechte Sprache positive Effekte hat. Frauen, aber auch nicht-binäre, inter- oder transsexuelle Menschen werden sichtbarer und gedanklich miteinbezogen. Gendern hat auch einen Einfluss auf die Berufswelt: Sind Stellenanzeigen gegendert, bewerben sich mehr Frauen für einen Job und werden darin bestärkt, auch männlich konnotierte Berufe auszuüben.
So weit, so gut. Dennoch gibt es den Einwand, dass das Gendern für Menschen mit einer Sehbehinderung oder kognitiven Einschränkungen mitunter neue Barrieren schafft. Raúl Krauthausen sitzt im Rollstuhl, ist Inklusionsaktivist und Gründer des Vereins Sozialheld*innen e.V. in Deutschland, der an Lösungen für mehr Teilhabe und Barrierefreiheit arbeitet. Krauthausen weiß um dieses Argument: „Es wird aber meistens von nichtbehinderten Menschen eingeworfen, die keine Lust aufs Gendern haben. Damit werden Menschen mit Behinderung instrumentalisiert, um ein Argument gegen das Gendern zu haben.“
Sprachausgabe: Genderzeichen irritieren Lesefluss
Dennoch gibt es Herausforderungen in Bezug auf barrierefreies Gendern, vor allem für blinde und sehbeeinträchtigte Menschen. Sie nutzen einen sogenannten Screenreader, der ihnen den Text auf einem Bildschirm vorliest. Je nach Sprachausgabesoftware gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, wie Sonderzeichen behandelt werden. Meistens aber werden Sonderzeichen wie der Genderstern oder der Unterstrich mitvorgelesen. Aus „Mitarbeiter*innen“ wird „MitarbeiterSterninnen“ – und das kann tatsächlich auf den Lesefluss störend wirken. Darum empfiehlt der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) wenn möglich, neutrale Formulierungen wie „die Mitarbeitenden“ zu nutzen: Sie sind barrierefrei und genderneutral. Als zweitbeste Lösung wird die Paarform, also „Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen“ empfohlen, diese jedoch berücksichtigt nur binäre Geschlechtsidentitäten. Falls mit Sonderzeichen gegendert werden soll, empfiehlt der DBSV, den Stern zu nutzen, weil es sich dabei laut Veröffentlichungen des Deutschen Rechtschreibrates um die am häufigsten verwendete Kurzform handelt und diese Lösung somit einem Konsens am nächsten kommt. Zudem ist davon auszugehen, dass Doppelpunkt und Unterstrich für sehbehinderte Menschen noch schlechter erkennbar sind als das Sternchen. „Das Problem mit den Sonderzeichen und den Screenreadern wird man mit der Zeit lösen und deshalb sollte es nie ein Argument gegen das Gendern sein“, unterstreicht Krauthausen, der aufgrund der DBSV- Stellungnahme das Gendersternchen verwendet.
Leichte Sprache – schwieriges Gendern
Auch die Umsetzung des Genderns in der Leichten Sprache bringt Schwierigkeiten mit sich. Leichte Sprache ist eine stark vereinfachte Form des Deutschen, die von und für Menschen mit Lernbehinderung entwickelt wurde. Aber auch andere Menschen nutzen die Leichte Sprache wie Demenzerkrankte, Analphabet*innen, und Personen, die gerade erst Deutsch lernen.
Die Übersetzerin für Leichte Sprache Sabrina Siemons kennt die Thematik gut. Sie arbeitet im Büro für Leichte Sprache OKAY der Lebenshilfe in Bozen. Dort werden Texte aus dem Standarddeutsch in die Leichte Sprache übersetzt und von Prüfleser*innen – das sind Menschen mit Lernschwierigkeiten – gegengelesen. Grundsätzlich kommt es auf den Auftraggebenden an, wie der Text gegendert werden soll.
Raul Krauthausen: „Menschen mit Behinderung werden instrumentalisiert, um ein Argument gegen das Gendern zu haben.“ © Anna Spindelndreier

Verständlichkeit und Lesbarkeit im Blick

Gibt es von den Auftraggebenden keine Vorgaben, wird der Genderstern benutzt, der für die Prüfleser*innen am einfachsten zu verstehen und zu lesen ist. Der Genderstern ist bereits so etabliert, dass sogar Irritationen aufkommen, wenn nicht gegendert wird.
In Bezug auf die Satzlänge wären neutrale Formen wie „die Mitarbeitenden“ die beste Variante. Jedoch gibt es für manche Begriffe keine neutrale Form (wie bei Ärzt*innen) oder sie werden nicht verstanden. Können in einem Text alle Begriffe in eine neutrale Form gebracht werden, wird in dieser Variante gegendert; andernfalls kommt das Gendersternchen zum Einsatz. Dort gibt es aber auch einen kleinen Haken, nämlich wenn es grammatikalisch nicht richtig ist. Beispielsweise wird aus „von den Lehrern und Lehrerinnen“ ein „von den Lehrer*innen“; das n bei Lehrer verschwindet. Aufgrund der grammatikalischen Korrektheit wird im Büro OKAY in solchen Fällen die Paarform mit dem „und“ verwendet.
„Und-Variante“ für das Italienische
Wesentlich schwieriger wird es im Italienischen. Weil das Gendersternchen nicht wie im Deutschen verwenden werden kann, greift das Büro OKAY eher auf die „Und-Variante“ zurück. Teilweise muss dann aber auch das Adjektiv angepasst werden, wodurch die Sätze für die Leichte Sprache sehr umfangreich werden, es gilt nämlich in der Leichten Sprache die Regel: Ein Satz darf nicht länger sein als eine Zeile. Die Prüflesergruppe für Italienisch hat solche gegenderten Texte auch als kompliziert wahrgenommen. Siemons unterstreicht: „Die Diskussion im Italienischen ist also noch nicht so weit, aber auch da probieren wir es weiter.“
Fazit
Gendergerechte Sprache und Barrierefreiheit sind vereinbar, auch wenn es hin und wieder Umsetzungsschwierigkeiten gibt, die sich mit der Zeit lösen können. Grundsätzlich empfiehlt es sich, wenn möglich mit neutralen Formen zu gendern. Bei den Genderzeichen hat sich der Stern etabliert. Dennoch: Es gibt nicht die eine „richtige“ Art barrierefrei zu gendern. Es kommt immer auf die Zielgruppe an, die in die Debatte miteinbezogen werden muss. Oder, wie Raúl Krauthausen sagt: „Ich glaube wir müssen weniger darüber reden, ob das Gendern sinnvoll ist und es Menschen wieder ausschließt. Wir müssen viel mehr darüber nachdenken und schreiben, dass Sprache sich schon immer verändert hat. Wenn Männer die Vorreiter waren, hat sich die Sprache ohne Widerstand verändert. Jetzt kommt das Gendern auf und Frauen möchten auch Polizistinnen, Feuerwehrfrauen usw. sein. Und auf einmal gibt es Widerstand. Ich glaube da steckt sehr viel Sexismus in dieser Debatte.“
Sabrina Siemons: „Der Genderstern ist für die Prüfleser und Prüfleserinnen am einfachsten zu verstehen und zu lesen.“ © Lene Wichmann