Interview

Das Kraftpaket

// Bettina Conci //
Melanie Pfeifer Ansaloni betreibt seit fünf Jahren Natural Bodybuilding. Die 39-Jährige hat sich im Dezember 2019 als Personal Trainer selbstständig gemacht und führt seither mit ihrem Mann Marco als Franchisepartner das Fitnessstudio „Garage Training“ in Vahrn bei Brixen.
© Davide Giannicoiannico
ëres: Seit wann bist du heute auf den Beinen?
Melanie Pfeifer: Heute bin ich seit 6 Uhr wach.
Ich dachte, du müsstest früher aufstehen…


(lacht) Nein. Es wird oft vermutet, dass man als Bodybuilderin ständig oder zumindest jeden Tag von früh bis spät trainieren muss. Das ist aber nicht so, zumindest bei mir nicht. Manchmal geht der Wecker schon um halb fünf, damit ich mich an meinen Trainingsplan halten kann. Heute ist ein trainingsfreier Tag.

Du warst ja bereits in deinen Teenagerjahren sportlich, allerdings auf eine andere Art…


Ich habe als Kind mit Contemporary und Jazz Dance angefangen, dann Ballett. Eine Zeitlang war ich sogar an einer Akademie in Reggio Emilia mit dem Ziel, eine klassische Tanzausbildung zu absolvieren, habe aber alles aus Heimweh hingeschmissen.

Wie würdest du dein damaliges Selbstbild beschreiben und wie hat es sich gewandelt?


Ich hatte ein gutes Verhältnis zu meinem Körper: Prinzipiell konnte ich essen, was ich wollte, ob gesund oder nicht – allerdings war kein Rhythmus und keine Routine in meinem Ernährungsplan.

Isst du gerne?


Oh ja, ich esse sehr gerne! Ich bin ein richtiger Fresssack und mag es auch gerne fett und gewürzt. Allerdings habe ich im Laufe der Zeit gelernt, mich einfach intelligenter zu ernähren. Es gibt die verschiedensten Möglichkeiten, sich auf gesunde und ausgewogene Weise bewusst zu ernähren, auch ohne alles abzuwiegen und je nach Phase, ob Wettkampfvorbereitung oder Alltag, genau darüber Buch zu führen.

Du hast zwei Kinder. Wie wirkten sich deine Schwangerschaften auf deinen Körper aus?


Beide Schwangerschaften schlugen bei mir mit einer Gewichtszunahme von jeweils fast 30 Kilogramm zu Buche. Nach der Geburt meines Sohnes 2010 schaffte ich es, mit Lauftraining und einigermaßen sauberer Ernährung abzunehmen. Mein Muskeltonus ließ jedoch zu wünschen übrig. Es war nicht exakt die Figur, die ich mir für meine damals 29 Jahre gewünscht hatte, aber ich wusste nicht, was ich machen konnte, um sie zu verbessern. 2015 kam meine Tochter zur Welt, und ich fing damit an, zuhause mit Gewichten zu trainieren: am Abend, nachdem die Kinder zu Bett gegangen waren, für eine Stunde.

Wie kam dir die Idee dazu?


Genähert habe ich mich dem Bodybuilding über die sozialen Medien. Heute rate ich allerdings davon ab, weil man zu viel falsch machen kann, wenn man nur auf diese oberflächliche Art und Weise trainiert.

Nenne die Top 3 der Vorurteile gegen weibliche Bodybuilder!
1. Wir werden zu Männern und verlieren unsere Weiblichkeit.
2. Wir sind krank, trainingssüchtig und vernachlässigen unsere Familie.
3. Wir ernähren uns von Reis und Truthahn.
Stammt die Mehrheit der Vorurteile von Männern oder von Frauen?
Ich stelle nicht so sehr Unterschiede nach Geschlechtern fest, sondern eher danach, ob diejenigen, die urteilen, selbst Bodybuilding machen oder nicht. Aber wenn jemand mit mir redet und Vorurteile hat, höre ich meistens gar nicht zu, so überzeugt bin ich von dem, was ich mache.
Was hast du Frauen zu entgegnen, die sagen: „Ich mache kein Krafttraining, weil ich Angst habe, zu viele Muskeln aufzubauen und nicht mehr feminin genug zu sein“?


Wenn es so einfach wäre, sich einen gut definierten, fitten Körper anzutrainieren, bräuchte man nicht so lange dafür! Im Ernst: Über das Körperliche hinaus stählt Krafttraining auch die Psyche, weshalb man es unbedingt ausprobieren sollte. Auch bin ich der Meinung, dass es unmöglich ist, seine Weiblichkeit zu verlieren, wenn man Bodybuilding auf natürliche Weise betreibt. Das gesamte Erscheinungsbild ist sexy.

Hast du selbst Vorurteile Menschen gegenüber, die unsportlich oder gar faul sind? Versuchst du sie zu bekehren?


Vorurteile? Überhaupt nicht! Eher tun mir Menschen leid, die sich selbst vernachlässigen. Ich muss gestehen: Von Natur aus bin ich selbst faul. Wenn ich den ganzen Tag auf der Couch liegen könnte und mir trotzdem noch im Spiegel gefallen würde, würde ich das auch tun! Weil dem aber nicht so ist und ich unglücklich bin, wenn ich nicht fit bin, tue ich alles, um meine Idealform zu erreichen.
Das mit dem Bekehren habe ich versucht, aber ohne Erfolg. Wenn der Wille zu einem gesünderen und sportlicheren Lebensstil nicht von der Person selbst kommt, schafft sie es nicht.

Was hat Bodybuilding für dich getan?


Das, was es immer noch für mich tut in meinem Leben! Es gibt mir ein Ziel, macht, dass ich mich in Form fühle, es hilft mir, Maß zu halten, und lässt mich gerne in den Spiegel schauen.

Wie hast du das vergangene Jahr erlebt, was hat sich für dich auf beruflicher und persönlicher Ebene geändert?


Es ist immer schwierig, beim Training zuhause am Ball zu bleiben. So mussten wir viel „psychologische“ Arbeit leisten im Umgang mit den Kunden. Wir sind dadurch immens gewachsen, haben viel gelernt und für die Zukunft mitgenommen.
Auf persönlicher Ebene habe ich erkannt, dass ich diese Zeit wohl mit keinem anderen Partner überlebt hätte! Vor allem die Kinder haben mich mit ihrer geistigen Reife im Umgang mit der Pandemie überrascht, worauf ich schon etwas stolz bin.

Zwischen diesem Foto von 2016 und dem Titelbild liegen vier Jahre harter Arbeit, aber auch voller Erfolgserlebnisse.
Maristella Trettel aus Brixen zählt mit ihren 66 Jahren zu den älteren Bodybuilderinnen, die von Melanie und Marco trainiert werden – aber noch lange nicht zum alten Eisen. Auch Tochter Alexa, 47, teilt ihre Leidenschaft.

Think

Der perfekte Körper

// Sabina Drescher //
In Zeiten von Social Media steigt der Druck, schön sein zu müssen – vor allem bei Frauen. Doch was ist ein schöner Körper? Und wer bestimmt das eigentlich?
© Unsplash / Jana Sabeth
Faltenloses Gesicht, Waschbrettbauch, lange Beine – was wir als schön empfinden, liegt nicht nur im Auge des oder der Betrachtenden. Wenn wir Schönheit beurteilen, folgen wir vielfach Idealen, die für fast alle unerreichbar sind. Dennoch messen wir uns und andere daran.
Körperliche Idealbilder betreffen dadurch jeden Menschen auf die ein oder andere Weise. In den sozialen Medien wird darüber immer mehr diskutiert. Dementsprechend greift auch die Forschung das Thema verstärkt auf – so wie Elisabeth Lechner, promovierte Kulturwissenschaftlerin und Autorin des Buchs Riot, don’t diet – Aufstand der widerspenstigen Körper. Sie beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, wer bestimmt, was als schön gilt. Entscheidend für die Antwort sei, um welche Zeit es sich handelt und in welchem Kulturkreis die Frage gestellt wird, denn Schönheitsideale, erklärt Lechner, unterliegen großen historischen und regionalen Schwankungen.
Weiß, jung und fit
Im Hier und Jetzt unserer westlichen Gesellschaft habe sich eine helle Hautfarbe als erstrebenswerte Norm etabliert, daneben aber auch „kommerzialisiert Exotisches“, erklärt Lechner. Schönheit wird zudem weiterhin mit Jugend verbunden, „ein großes Problem, das kaum thematisiert wird“, so Lechner. Die schöne Frau von heute solle überdies nicht so dünn sein, wie es die Models der 1990er-Jahre vorgemacht haben, sondern fit, das heißt Kurven an den richtigen Stellen haben.
Nicht toleriert würde hingegen jede Form von Behinderung, Körperbehaarung und wenn jemand nicht klar binärgeschlechtlich lesbar ist.
Wer sich dem entziehen möchte, muss mit Konsequenzen rechnen, denn Schönheit hat einen hohen Wert in unserer Gesellschaft: Wie wir aussehen entscheidet darüber, wie man uns behandelt.
Das Phänomen, dass es Menschen, die schön sind, einfacher haben im Leben, nennt sich Lookismus. „Schönheit“, sagt Lechner, „entscheidet über Lebenswege. Es gibt Studien, die belegen, dass Menschen, die als schön gelten, eine bessere Gesundheitsversorgung erhalten, leichter eine Wohnung oder Arbeit finden, eher Karriere machen.“ Doch wer bestimmt die Norm, also das, was wir als schön definieren?
Patriarchat und Kapitalismus sagen, was schön ist
Es seien dies zwei mächtige Strukturen unserer Gesellschaft, so Lechner, nämlich der Kapitalismus und das Patriarchat. Über ersteren würden immer mehr Körperregionen erschlossen – und immer breitere Zielgruppen, sprich immer jüngere bzw. ältere Frauen. „Es werden immer neue Probleme kreiert“, sagt Lechner, „für die immer neue Lösungen angepriesen und verkauft werden. Zugleich hat die Werbeindustrie verstanden, dass Kundinnen und Kunden nicht ständig beleidigt werden möchten und nicht mehr auf Hochglanzfotos und Topmodels anspringen.“
Immer mehr Unternehmen achten daher auf Diversität, manche allerdings betreiben rein oberflächliche Formen der Inklusion.
Und was hat das Patriarchat damit zu tun? „Über Schönheit wird Kontrolle ausgeübt“, betont Lechner. Jahrhundertelang sei der öffentliche Raum Männern vorbehalten gewesen. Nun, da sich auch Frauen dort bewegen, würde deren öffentliches Auftreten ständig kritisiert. „Denken wir an Angela Merkel, die häufig als asexuell dargestellt wird, oder auf der anderen Seite an die finnische Premierministerin Sanna Marin, die für ein zu freizügiges Outfit an den Pranger gestellt wurde. Egal wie sich Frauen präsentieren, sie können es eigentlich nicht richtig machen“, stellt Lechner fest.
Soziale Medien: Mehr Druck, mehr Widerstand
Tendenziell wird von Frauen erwartet, dass sie mehr Zeit und Geld in Schönheits- und Körperarbeit investieren als Männer. In der Forschung spricht man vom Grooming Gap (zu Deutsch der Körperpflege-Unterschied). Allerdings ist Schönheitsarbeit deshalb nicht per se etwas Schlechtes. „Sie kann auch eine Form der Selbstfürsorge sein“, erklärt Lechner. „Diese Ambivalenz werden wir aushalten müssen.“
Ähnlich zwiespältig verhalte es sich mit dem Bild von Schönheit, das in den sozialen Medien gezeichnet wird. Die digitale Welt ermögliche es, in kürzester Zeit ein Foto oder Video zu machen, nachzubearbeiten, mit anderen zu teilen und Feedback dazu zu erhalten. Auf der einen Seite wachse durch die Zunahme an (unrealistischen) Visualisierungen, mit denen wir konfrontiert werden, der Schönheitsdruck – besonders auf Frauen (aber nicht nur).
Auf der anderen Seite formiere sich zunehmend Widerstand, etwa in Form von Bewegungen wie MeToo und Body Positivity, und es werde verstärkt Aktivismus betrieben. „Soziale Medien sind deshalb nicht nur als negativ anzusehen“, unterstreicht Lechner. Wichtig sei ein kompetenter Umgang, weshalb sie für ein Schulfach „Medienkompetenz“ plädiert. Doch auch älteren Menschen gelte es, die Angst vor den sozialen Medien und insgesamt vor dem digitalen Raum zu nehmen.
Ältere Frauen haben wenig Sichtbarkeit
Gerade ältere Frauen hätten dort extrem wenig Sichtbarkeit, so Lechner, eben weil sie nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprächen. „In Hollywood übernehmen Schauspielerinnen die Rolle der Mutter von Protagonisten, die kaum zehn Jahre jünger sind als sie selbst.“ Während Schauspieler mit den Jahren stets begehrter und reicher werden, erleben die weiblichen Kolleginnen das Gegenteil. Altersdiskriminierung und Sexismus, die sich durch unsere Gesellschaft ziehen, werden dort im Kleinen deutlich ersichtlich.
„Viele werden sich fragen: Was soll ich gegen diesen sogenannten Ageismus und Lookismus im Allgemeinen unternehmen“, vermutet Lechner. „Wichtig ist, anzuerkennen, dass es sich um ein systemisches Problem handelt und dass man nicht selbst das Problem ist. Dann sollte es das Ziel sein, über Selbst- und Fremdwahrnehmung zu informieren und zu reflektieren, um weg zu kommen vom Zwang zur Selbstoptimierung und einen neutralen Zugang zur Körperlichkeit zu erreichen. Das schaffen wir nur gemeinsam.“
Elisabeth Lechner © Mercan Sümbültepe