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Ein langer Weg

// Sabina Drescher //
Für Landesrätin Waltraud Deeg stellte der Entwurf des neuen Landesgesetzes gegen Gewalt an Frauen einen Erfolg dar. Die Frauenhäuser warnten hingegen: Manche der Maßnahmen seien mitunter lebensgefährlich. Am Ende gab es einen Kompromiss.
Landesrätin Deeg am 31. August bei der Vorstellung der Details des neuen Landesgesetzes © LPA/Fabio Brucculeri
Es war Ende August, als die Landesregierung auf Vorschlag von Soziallandesrätin Waltraud Deeg den Entwurf zu einem neuen Landesgesetz guthieß. Konkret geht es darin um „Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und ihre Kinder“. Einige Wochen später meldeten sich jene zu Wort, die seit Jahrzehnten gegen geschlechterspezifische Gewalt kämpfen, nämlich die Frauenhäuser. In einem offenen Brief beschrieben sie, warum sie die Einführung für gefährlich halten. Die bisherigen Versuche, diesen Standpunkt der Politik zu vermitteln, waren fehlgeschlagen. Dabei hatte es so gut begonnen.
Was bisher geschah
Noch bis Ende des vergangenen Jahres waren Expertinnen der Frauenhausdienste an der Ausarbeitung des Gesetzesentwurfs beteiligt gewesen. Erst nach dem Ende dieser Zusammenarbeit wurden Änderungen vorgenommen, die die Expertinnen „für absolut unangemessen, ja sogar gefährlich halten“, wie es im offenen Brief heißt. Sie entsprächen nicht den internationalen Leitlinien für Interventionen zugunsten von Frauen und ihren Kindern, die geschlechterspezifische Gewalt durch einen Mann erfahren.
Diese Bedenken brachten die Vertreterinnen der Südtiroler Frauenhäuser erstmals im Frühling in einem Brief an die Landesrätin zum Ausdruck. Nach einem Monat erfolgte die schriftliche Antwort, die zwar höflich, jedoch inhaltslos gewesen sei, wie im offenen Brief vom September weiter ausgeführt wird.
Ebendiese offene Kritik, die zu Beginn des Herbstes an die Medien verschickt wurde, führte dazu, dass es erneut zu einer Annäherung kam, wenn man es denn so nennen möchte. Die Vertreterinnen der Frauenhäuser wurden auf Antrag der grünen Fraktion eingeladen, ihre Position im zuständigen IV. Gesetzgebungsausschuss darzulegen. Der Termin dafür wurde für den 25. Oktober angesetzt. Dabei warnten die Frauenhausvertreterinnen eindringlich vor einigen Passagen des Gesetzestextes. Die Vertretungen der Bezirksgemeinschaften und auch die zugeschaltete Monika Hauser von medica mondiale schlossen sich den Zweifeln an.
Die konkrete Kritik
Die Expertinnen haben somit erreicht, was sie mit dem offenen Brief beabsichtigt hatten: Aufmerksamkeit für ihre Kritik. Diese bezieht sich konkret auf zwei Artikel des Gesetzesentwurfs, nämlich auf die Artikel 7 und 8. Ersterer trägt den Titel „Territoriale Anlaufstelle“. Die Vertreterinnen der Frauenhäuser schreiben, sie seien der Meinung, „dass es für das Leben der Frauen höchst riskant ist, sich an eine Anlaufstelle zu wenden, die diese Grundsätze nicht garantieren kann und die nichts zu der Informationsfunktion beiträgt, die bereits von den Sozialdiensten der Bezirksgemeinschaften, von den Ordnungskräften und von den Gesundheitsdiensten durchgeführt werden sollte.“
Artikel 8 hingegen bezieht sich auf ein „Territoriales Anti-Gewalt-Netzwerk“. Dazu heißt es im offenen Brief: „Wir betonen, dass die Istanbul-Konvention (2013 von Italien ratifiziert und oft auch hierzulande diskutiert) die Kontaktstellen gegen Gewalt als Koordinations- und Referenzstellen ausweist, nicht nur in der fallbezogenen Intervention, sondern auch in Hinblick auf die Prävention und Zusammenarbeit, d.h. die Vernetzung der Dienste. Insofern ist der Vorschlag der Koordinierung der territorialen Netzwerke durch die Kontaktperson der territorialen Anlaufstelle, wie in Artikel 8 vorgesehen, völlig unangemessen.“
Anita Rossi schrieb dazu in einem Gastbeitrag auf dem Nachrichtenportal salto.bz „im Namen einer falsch verstandenen Niederschwelligkeit [sollen] Frauenhäuser und ihre Dienste ausgehöhlt werden, möchte die Landespolitik (mit welchen Fachkompetenzen?) die Arbeit der Expertinnen koordinieren […]“. Und Rossi fragt weiter: „Bitte erkläre mir eine*r, was daran niederschwellig sein soll, wenn eine Betroffene in ihrem Dorf – wo, wie wir wissen, nichts verborgen bleibt (Ist Südtirol als Ganzes nicht schon Dorf genug?) – ins Rathaus, zum Bürger*innen-Schalter oder sonst wohin schleichen muss, um einer*einem Schalterbeamten mitzuteilen, dass sie Gewalt erfährt und sich dort Erstberatung zu holen?“
Sigrid Pisanu vom Frauenhaus Meran ist es wichtig zu betonen, dass der Gesetzesentwurf nun nicht komplett zerlegt werden soll. „Wir wollen bloß nicht“, sagt sie, „dass der Fokus bei einem so wichtigen Punkt wie dem Kontakt zu den Frauen verloren geht. Wenn wir warnen, dass das gefährlich ist, übertreiben wir nicht.“
Die Position der Landesrätin
Die Landesrätin reagiert mit Bedauern auf die erneute Kritik. Die Arbeit der Frauenhäuser werde hochgeschätzt, ihre Kompetenz solle keineswegs untergraben werden. Deeg spricht von “einem Missverständnis”, man wolle mit dem Gesetz nichts wegnehmen, sondern Dienste ergänzen. Im Akutfall würden von Gewalt betroffene Frauen weiterhin in den spezialisierten Einrichtungen betreut.
In der Entstehung des Gesetzes sei stets die Sicht der Frauen vorangestellt worden. Zudem habe man Best-Practice-Modelle anderer Länder berücksichtigt. „Wir brauchen“, erklärt Deeg, „klare Bezugspunkte und ein einheitliches Anlaufkonzept.“ Die verschiedenen Notfallnummern sollen deshalb in einer einzelnen zusammengeschlossen werden.
Wie geht es weiter?
Die Hoffnung, dass die kritisierten Artikel abgeändert oder gestrichen werden, war bei Pisanu zunächst gering. „Wir geben dennoch weiterhin und bis zum Ende unser Bestes.“ Tatsächlich kam es nach der Anhörung zu einem Teilerfolg für die Frauenhäuser. Landesrätin Deeg ließ den Passus zur Einrichtung der territorialen Anlaufstellen ändern. Nun ist nur noch von einer Bezugsperson auf Bezirksebene die Rede, die das territoriale Anti-Gewalt-Netzwerk koordiniere. Der Entwurf wurde daraufhin – und nach eingehender Debatte – einstimmig gebilligt.
„Gewalt ist nie nur Privatsache, sondern hat immer auch gesellschaftliche Auswirkungen“, erklärte Ausschussvorsitzende Jasmin Ladurner. „Wir haben heute mit diesem Gesetzentwurf einen Meilenstein für die Zukunft im Interesse der Frauen gesetzt.“ Auch die Landtagsabgeordnete der Grünen, Brigitte Foppa, die Änderungsanträge eingebracht hatte, zeigte sich über den Ausgang zufrieden: „Das ist ein wichtiges Ergebnis. Das Gesetz setzt in dieser Form einen wichtigen Schritt für die Eingrenzung der Gewalt an Frauen in unserem Land.“
Über das Gesetz soll noch im November im Landtag abgestimmt werden.

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Märchen gegen das Schweigen

// Sabina Drescher //
Jahrelang schwieg Ntailan Lolkoki, die als Kind Opfer weiblicher Genitalverstümmelung wurde. Heute lebt die Kenianerin in Berlin. Sie hat ein afrikanisches Märchen geschrieben, um andere vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren.
© Ntailan Lolkoki / Frank Rothe
Es ist ein menschenverachtendes Ritual, das selbst im 21. Jahrhundert trotz gesetzlicher Verbote noch immer weit verbreitet ist, vor allem im subsaharischen Afrika, doch auch mitten in Europa: weibliche Genitalverstümmelung. Diese dient nach wie vor als Mittel der Kontrolle der weiblichen Selbstbestimmtheit und Freiheit und ist eng verbunden mit der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Abhängigkeit von Frauen.
Bei manchen Völkern markiert die Beschneidung den Übergang vom Mädchen- zum Frausein. Die Weltgesundheitsorganisation WHO unterscheidet drei verschiedene Arten. Bei Typ I wird die Klitoris entfernt. Bei Typ II werden zusätzlich die kleinen Labien abgeschnitten. Bei Typ III, der Infibulation, werden auch die großen Labien entfernt und die Wunde bis auf eine kleine Öffnung zugenäht.

Der Eingriff wird meist ohne Betäubung und sterile Werkzeuge vorgenommen. Als Folge erleiden zahlreiche Mädchen Gesundheitsprobleme: Zysten, Infektionen, Unfruchtbarkeit, Komplikationen bei der Geburt ihrer Kinder.
Auch Ntailan Lolkoki musste diese abscheuliche Prozedur über sich ergehen lassen. Sie wuchs in einem Dorf in der Nähe von Barsaloi im Norden Kenias auf, zur Hälfte Massai, zur Hälfte Samburu. Laut Unicef sind etwa ein Viertel der Kenianerinnen zwischen 15 und 49 Jahren beschnitten.
Lolkoki war zwölf, als sie verstümmelt wurde. Nachdem ihre Familie immer weiter zerbrochen war, zog es Lolkoki nach Nairobi. Dort lernte sie einen britischen Soldaten kennen, dem sie bald in seine Heimat und später nach Deutschland folgte. Doch die Ehe war unglücklich, vor allem, weil Lolkoki durch die Beschneidung den Kontakt zum eigenen Körper verloren hatte.
Heute lebt Lolkoki als Künstlerin in Berlin und engagiert sich u.a. für das Desert Flower Center gegen Gewalt an Frauen und gegen Beschneidung. Ihre Geschichte erzählt sie in dem Buch „Flügel für den Schmetterling“, erschienen 2017 im Droemer Knaur Verlag.

Um andere Mädchen und Frauen vor einem ähnlichen Schicksal wie dem ihren zu bewahren, hat Lolkoki ein afrikanisches Märchen geschrieben: „The Kingdom of Watetu and Songaland“ (bisher nur auf English erhältlich). Es erzählt die Geschichte zweier Stämme, die friedlich zusammenleben, bis sich die Prinzessin der Watetu gegen die in ihrem Stamm praktizierte Tradition auflehnt und vor ihrer eigenen Beschneidung flieht. Hilfe bekommt sie vom Prinzen der Songaland, die diese Praxis ablehnen. Zwischen den beiden Volksgruppen kommt es daraufhin zum Streit.
Mit Unterstützung der kenianischen Botschaft plant Lolkoki derzeit eine Reise quer durch das ostafrikanische Land, um mit Schulkindern über ihr Buch zu sprechen.